Montag, 22. Oktober 2012

"Die Kuh im Propeller" V


        Vor etwa 30 Jahren habe ich im Buch des Professors Werner Gilde „Wege zum Erfolg“ den sehr wesentlichen Satz gelesen: „Informationen zu bekommen ist Hole- und nicht Bringepflicht.“ Das japanische Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg und das heutige chinesische Aufstreben beruhen darauf. Darauf sind selbst Geheimdienste ausgerichtet… Allerdings hat auch der erfolgreichste deutsche Geheimdienstchef Markus Wolff in seinen Memoiren festgestellt, dass unter schwierigsten Bedingungen die den Politikern verschafften Informationen nicht selten unzweckmäßig verwendet wurden … 
        Hier in der Visastelle bekommt man sie ganz offiziell – oder?

        Das „Informationen bekommen“ bedeutet aber immer noch, Fragen zu stellen – richtig? Vielleicht auch anders – richtig Fragen zu stellen – einverstanden?

        Bevor wir weitermachen: wir haben eine Verabredung in der Familie: sag die Wahrheit. Vor allem bei deutschen Behörden. Wo so viel Information gespeichert ist, kommt jede Schwindelei teuer zu stehen.    
        Deshalb hat Pavlo auch ohne Bedenken die Belehrung zum Visaantrag unterschrieben, in der unter anderem vor Falschaussagen gewarnt wird.

        Nun greife ich zurück auf den Visaantrag. In dem werden Fragen gestellt. Unter anderem die nach dem Besuchszweck. Unter Punkt 21. stehen dazu 11 Fragen mit vorgegebenen Antworten – mit Kästchen zum Ankreuzen. Pavlo hatte angekreuzt „Besuch von Familienangehörigen oder Freunden“. Mit mir hat er ja Verwandte angeheiratet bekommen und ein paar Freunde existieren aus vorherigen Besuchen auch schon (siehe „Die Kuh im Propeller“ I). Antwort also: wahr!

        Hier ziehe ich – weil mein Temperament das verlangt – den ersten Satz aus den vier Seiten (!)  Begründung der Ablehnung heraus. Von gleicher Güte sind darin mindestens 12 lange Sätze. Die zu verarbeiten, fällt sogar einen deutschen „Bäuerlein“ schwer. Die ukrainischen Bäuerlein schauen einfach weg!

        Deshalb hier ein Zitat aus dem Brief der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland  Kiew, Visastelle, vom 29.08. 2012:

„Ukrainische Staatsangehörige bedürfen gem. § 4Abs. 1 Satz 1 AufenthG i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 539/201, geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1932/2006, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1244 vom 30.11.2009 i. V. m. Art 2 Nr. 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (im folgenden Visakodex) für die Einreise und den Aufenthalt im so genannten Schengengebiet (und damit auch Bundesgebiet) eines Aufenthaltstitels in der Form des Visums.“

        Ach nee – das alles wussten wir natürlich nicht! Schon am 13. Juli 2009 letztmalig geändert?
        Haben wir instinktiv richtig gehandelt, einen Visaantrag zu stellen anstatt gleich zur Grenze zu fahren --))
        Für mich nenne ich alle diese "Literaturhinweise" (§ 4Abs. 1 Satz 1 AufenthG i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 539/201, geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1932/2006, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1244 vom 30.11.2009 i. V. m. Art 2 Nr. 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009), die nichts für den Empfänger verwertbares enthalten, schlicht und einfach "Informationsmüll".

        Weil bei mir langsam die Lust vergeht, mich mit dem für normale Menschen unverträglichen Beamtendeutsch zu befassen (in anderen Sprachen reden die Beamten ähnlich!), will ich auch meine Leser nicht weiter ermüden. Kommen wir zu den angeblichen „Fakten“.

Zitat (Quelle siehe oben):

„Sie sind ledig, arbeitslos und haben keine Kinder. Sie verfügen daher über keine ausreichende familiäre und berufliche Verwurzelung in der Ukraine. Sie machen auch keine Umstände geltend, anhand derer erkennbar wäre, dass Sie über eine besondere finanzielle oder soziale Bindung verfügen. Wie Sie Ihren Lebensunterhalt tatsächlich bestreiten, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass Sie dafür aus eigener Kraft aufkommen können. Eine gesicherte Existenzgrundlage besitzen Sie daher nicht.“

        Klasse finde ich auch diesen Satz im obigen Abschnitt: „Sie machen auch keine Umstände geltend, anhand derer erkennbar wäre, dass Sie über eine besondere finanzielle oder soziale Bindung verfügen.“

Hier wiederhole ich mich:
Das „Informationen bekommen“ bedeutet aber immer noch, Fragen zu stellen – richtig? Vielleicht auch anders – richtig Fragen zu stellen – einverstanden?

        Fragt die Leute doch! Woher, verdammt nochmal, soll der Antragsteller wissen, was Ihr von ihm wissen wollt? Wie kann er ungefragt „etwas geltend machen“? Haben die für solche Texte Verantwortlichen denn gänzlich die Verbindung für sinnvolle sprachliche Formulierungen und Verbindungen verloren? Ist das bundesdeutsche Bildungssystem noch schlechter, als ich von ihm denke?

        Nehmen wir den Satz noch weiter auseinander.
        „Sie sind ledig, arbeitslos und haben keine Kinder.“

        Müssen ein Mann (respektive eine Frau) verheiratet sein, um ein Visum zu bekommen? Steht das in der Änderung vom 13. Juli 2009?
        Die Visastelle lebt, wie mir scheint, neben dem Leben. Auch in Westeuropa gibt es den Trend, die Ehe als ein soziales Auslaufmodell anzusehen. In der Ukraine heißt die Lebensform „gemeinsamer Haushalt“ etwas anders – „grashdanskij brak“ (in etwa „Bürgerehe“ – also ohne behördliche oder kirchliche Absegnung).

        Muss eine Person – aus obigem Grund – zwingend in Arbeit sein? Und Rentner? Behinderte?

        Ist es Pflicht, auch Kinder zu haben?
        Der höchste Dienstherr der Visastelle - der deutsche Außenminister - ist weder verheiratet, noch hat er Kinder. Kennt er diese drei merkwürdigen Gründe für eine Ablehnung von Visa?
        Vor allem die beiden letzten Gründe schließen automatisch jeden zehnten Antragsteller aus dem Verfahren aus. 11 % der Weltbevölkerung sind gleichgeschlechtlich orientiert – werden folglich in der Ukraine noch nicht offiziell als Lebensgefährten registriert und können den Beweis nicht erbringen, verheiratet zu sein und Kinder zu haben (bei Frauen biologisch jedoch denkbar …).

        Die drei letzten Sätze:
„Wie Sie Ihren Lebensunterhalt tatsächlich bestreiten, ist nicht ersichtlich. Es ist nicht davon auszugehen, dass Sie dafür aus eigener Kraft aufkommen können. Eine gesicherte Existenzgrundlage besitzen Sie daher nicht.“

       Warum wurde nicht nachgefragt? „Es ist nicht davon auszugehen … „ sollte wohl heißen: „Wir gehen davon aus, dass Sie dafür aus eigener Kraft nicht aufkommen können.“ Der Satz ist dann klarer, also zweckmäßiger für das Verständnis – aber soll er das denn? Auf welcher Information beruht dieses Herumgeeiere?  Dass eine Reihe von Leuten in aller Welt „Mieteinkünfte“ haben und davon leben – nie gehört, weil nicht erfragt! Die erzielte Miete beträgt das Mehrfache von Muttis Rente – die wird aber hier als Existenzgrundlage begriffen. Also in der deutschen Visastelle wieder „das Leben leben neben der Wirklichkeit“!                                                                                                                     

        Heute mache ich hier erst einmal Schluss. Wie es so schön heißt: mir läuft die Galle über. Sie werden noch die Folge 6 zu lesen bekommen. Wenn ich wieder ruhiger formulieren kann.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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