Die vorgestern
stattgefundene Militärparade zum 25. Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit
der Ukraine in Kiew war für mich mustergültig arrangiert.
Dazu hatte der Himmel
ein Einsehen mit den in Erwartung harrenden Soldaten – es hatte in der Nacht
geregnet und war am Tage bewölkt. Wer wie ich schon hatte in Paradeformation abwarten
müssen, mag die Erleichterung für die Teilnehmer körperlich spüren.
Die Verleihung
hoher staatlicher Auszeichnungen an Soldaten und Offiziere sowie die Übergabe
von Truppenfahnen vor einer großen Paradeformation gehört zu den ukrainischen
Neuerungen in diesem militärischen Zeremoniell.
Die Rede des ukrainischen
Präsidenten war bei aller militärischen Ausrichtung doch sehr sachlich. Mir gefiel
die von seinen Redeschreibern in sie eingestreute Bemerkung des russischen
Dichters Majakowskij: „Moskowiter, gegen den Ukrainer sollst du die Zähne nicht
fletschen.“
Allerdings hat am
Folgetag der russische Präsident Putin bekannt geben lassen, dass die
Gefechtsbereitschaft der russischen Armee überprüft werde. Diese „Antwort“ ist
mit dem Dichterwort wohl kaum vereinbar…
Noch vor der Parade
hat der gegenwärtige ukrainische Generalstaatsanwalt Luzenko gegen eine Reihe
russischer Führungspersönlichkeiten aus dem Bereich militärischer
Präsidentenberater, den russischen Verteidigungsminister und einige Generale
des Ministeriums juristische Schritte eingeleitet und um internationale
Rechtshilfe ersucht.
Allerdings ist in einem anderen Zusammenhang dieser
Generalstaatsanwalt mit dem Leiter des Nationalen Antikorruptionsbüros
aneinandergeraten. In der Fernsehsendung kamen beide zu einer eigenartigen
Einschätzung der rechtlichen Situation und der damit verbundenen
Untersuchungsmethoden bzw. –ergebnisse. Ein Kommentator summierte ihre
Auslassungen so: „Wenn nur der Sicherheitsdienst wahre bzw. relevante
Ergebnisse liefert – wozu existieren denn noch Staatsanwaltschaft und andere
Machtorgane?“
In einer anderen
Sendung sagte der Kommentator fast wörtlich: „Wir hatten gar keine Revolution. In
jeder Revolution der Vergangenheit wurde das System verändert. Wir hatten einen
Staatsstreich. Am System änderte sich nichts – nur die Personen in den
Führungsetagen wurden ausgetauscht.“ Erstaunlich
– so ähnlich ist russische Propaganda…
Der Vorsitzende der
neuen Partei „Leben“ – der noch-Rada-Abgeordnete Vadim Rabinovitch – hat auf
eine Frage eines Zuschauers in seiner Wochenzusammenfassung der vergangenen
Woche auf Fernsehsender 112 danach, weshalb so wenig echte Korruptionsfälle gerichtlich verhandelt
und geahndet werden, im Sinne des darüber stehenden Absatzes geantwortet: „Weil
eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.“
Außerdem hat er darauf hingewiesen,
dass seine Voraussage vor drei Monaten, die Hafenwirtschaft Odessa betreffend,
eingetroffen ist. Mit der Begründung, dass die Auktion mehr Teilnehmer haben solle,
ist der Anfangspreis des Milliardenobjekts auf die Hälfte reduziert worden. Somit
wird – nach seiner Meinung – einer interessierten Gruppierung von Oligarchen
ein Filetstück aus der ukrainischen Wirtschaft serviert.
Da die Wahlen näher
kommen, werden positive Ergebnisse gesucht oder konstruiert. Der Fernsehauftritt
eines ukrainischen Bankers war für mich eine solche Veranstaltung. Nach seinen
Worten haben die Ukrainer Vertrauen zu ihrem Finanzsystem. Die gegenwärtigen
Einlagen seien gegenüber denen des Vorjahrs um bedeutende Werte in Hrywna höher
als im Vorjahr. Lassen Sie uns überlegen. Wenn vierzig Millionen Ukrainer nur
je fünf Hrywna ansparen, sind das 200 Millionen Hrywna. Wenn am Jahresende 2015
– Sie lesen richtig – auf eine eingelegte Milliarde Hrywna die hier üblichen 20
% Zinsen ausgeschüttet wurden, wachsen die Einlagen mit einem Computerbefehl um
eben diese 200 Millionen. Ohne dass ein Ukrainer auch nur eine müde Hrywna
eingezahlt hat! Es ist für mich unerfindlich, wie eine so manipulierte Grüße
vertrauenerweckend wirken kann. Bei jemanden, der nachrechnet. Wie es bei Bert
Brecht heißt: „Lege den Finger auf jeden Posten. Denn du musst die Rechnung
bezahlen.“
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger