Dienstag, 23. Oktober 2012

10 Jahre "Nordost"

        Als ich am Abend des 19. Oktober 2012 leider nicht von Beginn an die Sendung im russischen Fernsehen sah, die anlässlich des 10-ten Jahrestags der verbrecherischen Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater ausgestrahlt wurde, habe ich mit tiefster Bewegung die Dokumentation und die Berichte Beteiligter gesehen. Mich auch daran erinnert, was damals von Journalisten nicht eben besonders objektiv dargestellt wurde.
        Ganz tief, nach Sitte der slawischen Länder, denen ich gute Freunde, Hochschulbildung und viel Lebenserfahrung verdanke, verneige ich mich vor den Opfern dieses Gewaltverbrechens.
        Die journalistische Aufarbeitung in dieser gegenwärtigen Sendung war eindeutig und so objektiv, wie das nach einer solch langen Zeit mit dazu gesammeltem Material möglich ist. Ohne Spekulationen, mit bewegenden Augenzeugenberichten und dem wie immer nachträglich umfangreicherem Wissen um Zusammenhänge.

        Für mich wurde erstmals die Menschenverachtung der Terroristen so deutlich, dass es mir vor dem Bildschirm bald schlecht wurde. Jedoch konnte mich die erwiesene Menschlichkeit zweier Ärzte wieder aufbauen. Ein Militärarzt, der trotz der Gefahr, als solcher erkannt und wie andere Militärs erschossen zu werden, gemeinsam mit einer damals noch sehr jungen Ärztin medizinische Hilfe leisteten - bewundernswert!

        Dann alle jene, die versuchten, Dank ihres Grades an Bekanntheit in der russischen Öffentlichkeit bei den Banditen zu erreichen, dass diese zumindest Frauen und Kinder frei ließen - was teilweise gelang.

        In erster Linie der so anrührend bescheidene, als Mediziner hoch angesehene  und als Mensch, als Mann so bewundernswerte Doktor Leonid Roschal. Seine Schilderung kurz, knapp, ohne seine eigene Leistung zu betonen! Mehrfach brachte er Trinkwasser, Medikamente, seine Hilfe als Arzt zu den Geiseln. Beim ersten Besuch mit ihm auch der jordanische Arzt Anwar El-Said.

        Eine weitere bewundernswerte Persönlichkeit: der weltbekannte Sänger Josif Kobzon. Auch von ihm kamen in der Sendung nur die sorgfältig auf das Geschehen damals um ihn herum beschränkten Worte. Mit den Kindern, heute junge Frauen, die er damals frei bekam, hält er auch heute noch Kontakt.
        Er erwähnte zu Recht, dass sich im Stab für die Katastrophenbewältigung und vor diesem hunderte von Personen des öffentlichen Lebens und einfache Bürger eingefunden hatte, die anboten, sich an Stelle der Frauen und Kinder in die Gewalt der Terroristen zu begeben.

        Zu denen, welche persönlichen Mut bewiesen, um bei den Unterhandlungen dabei zu sein oder zu berichten, gehörten zwei Frauen - die Politikerin Irina Chakamada und die Journalistin Anna Politkowskaja, dazu Politiker und Journalisten wie Jewgeni Primakow, Boris Nemzow, Aslambek Aslamchanow, Ruslan Chasbulatow, Sergei Goworuchin und Mark Franchetti.

        Heldenhaft-unvernünftig fand die 26-jährige Olga Romanowa ihren Weg durch die Absperrung, gelangte in den Saal und rief die Geiseln zum Widerstand auf. Sie wurde von den Terroristen erschossen.

        Es sei erstmalig in der Geschichte der Spezialeinheit "Alpha" gewesen, dass den Offizieren der Rücktritt vom Sturm freigestellt wurde - für mich ein Zeichen höchster psychologischer Anspannung. Von außergewöhnlichem Mut - denn niemand nutzte diese Möglichkeit.


        Auch ihnen allen erweise ich mit meiner tiefen Verbeugung größte Hochachtung!

        In den Recherchen zur Sache fand ich dann auch noch einige Bemerkungen, die sich sehr scharfsinnig mit vielem beschäftigten, was unter anderem bei der Befreiung der Geiseln und deren medizinischer Versorgung im Anschluss sehr kritikwürdig war. Sicher sind diese Vorwürfe berechtigt.
        Auch eine Entscheidung  des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der den Klägern das Recht auf eine Entschädigung zusprach mit der Begründung, die "Befreiungsaktion sei unsachgemäß verlaufen, was die hohe Anzahl an Opfern verursacht hätte".

        Es geht hier nicht darum, den Verlust nur eines einzigen Menschen zu verniedlichen. Allerdings ist die Sicht auf einen Terroranschlag abhängig davon, ob man hinter dem Abzug einer Waffe steht oder vor deren Mündung! 

        Für mich sind alle die Meinungen, welche vorrangig die Opfer den staatlichen Stelle "in die Schuhe schieben wollen", etwas sehr tendenziöses. Denn dabei wird vergessen, dass ohne die Terroristen der Theaterabend unblutig verlaufen wäre. Sie, die "Kämpfer für Gerechtigkeit", waren die Ursache des Ganzen - auch bei der Aufdeckung signifikanter Schwächen anderer Systeme.

        Es bleibt zu hoffen, dass die Freiheit nicht darunter leidet, weil die Spezialdienste effektiver arbeiten wollen ...

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






        

       


        

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