Dienstag, 23. Juni 2015

Erinnerungen



Am Freitag, dem 19.06.2015 waren wir zum Essen anlässlich des 40-sten Tages nach Ableben unserer Nachbarin eingeladen. Im engsten Familienkreis. Das ist in der Ukraine Sitte, Tradition. Für Westeuropäer etwas ungewöhnlich. Allerdings habe ich nun schon – in 20 Jahren – dazu Erfahrungen sammeln müssen. Es ist jedoch für uns Ältere immer ein wenig vom eigenen Abschied mit dabei. 
Von der Verschiedenen wurde berechtigt gut gesprochen. Das persische Sprichwort ist stimmt auf jeden wie auch diesen Fall: „Nur der ist tot, der keinen guten Namen hinterlässt.“ Bewundert habe ich die 83-jährige Mutter der Verstorbenen. Die allen Gästen zugewandt sich um deren leibliches Wohl kümmerte.   

Das Folgende war am Sonnabend, dem 20. Juni 2015, beim Morgenspaziergang. Vor einer Parkbank lag eine Münze. Von oben gesehen anscheinend ein 2-Kopeken-Stück. Also 0,04 Eurocents etwa. Von Kind an gewohnt, Brot aufzuessen und Geld aufzuheben, bückte ich mich in einem Land, wo das Aufheben von Münzen verpönt ist. Jemand könne die Münze mit einem bösen Wunsch belastet extra weggeworfen haben. 
Erstaunt war ich jedoch, dass sich die Monete als ein DDR-Sechser erwies. Ein 5-Pfennig-Stück aus einem seit 25 Jahren nicht mehr existierenden Staat. In welchem ich einen Großteil meines Lebens gelebt hatte. Dazu etwa 1400 km von dessen ehemaliger Grenze entfernt in einer ukrainischen Stadt… 
Es hat mich keine Nostalgie erfasst. Denn zurzeit erlebe ich hier die Farce auf die DDR. Die russischen Sender werden von den Providern der Ukraine nicht mehr übertragen. Wir lebten lange in Bautzen, also noch weiter östlich als das „Tal der Ahnungslosen“ um Dresden herum. Das so hieß, weil dorthin bundesdeutsches Fernsehen nicht gelangte. Nun geht mir das so mit dem russischen.  

Danach traf ich einen mir bekannten Mann. Krebskrank. Er beklagte sich ein wenig bei mir, dass ein für ihn wichtiges Medikament zeitweilig nicht mehr verfügbar sei – außerdem sei es in der letzten Zeit sehr teuer geworden. Das hat meine Natascha auch schon erfahren. Unsere Pillen und Tinkturen sind etwa auf mehr als das Doppelte verteuert. Außerdem habe ich in einem Fernsehinterview erfasst, dass umfangreiche Bestellungen an einfachsten Medikamenten aus Import nicht rechtzeitig getätigt wurden. 
Um einiges zu erfahren, was bei den Menschen auf der Schattenseite hier vorgeht, empfehle ich auf Facebook: https://www.facebook.com/charis.haska/posts/843204319079594  Die Ehefrau des deutschen Pastors Haska spricht von den Alltagserlebnissen. Er selbst hat ein Buch zu den Vorgängen auf dem Maidan geschrieben, wie ich soeben erfuhr. Das werde ich mir auch besorgen. 

Gestern nun ein Tag der Erinnerungen an ganz andere Zeiten. Vor 74 Jahren begann der Überfall auf die Sowjetunion. Die Ehrung der Opfer durch den Präsidenten der Ukraine fand bei strömendem Regen statt. Nicht ohne ein Wort zu jenen, die Opfer sind des gegenwärtigen, unerklärten und dennoch menschliche Verluste auf beiden Seiten fordernden Krieges. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Sonntag, 21. Juni 2015

Turbulenzen...



Die Gerüchteküche brodelte seit langem. Geht er selbst – wird er gegangen? Dabei handelte es sich um den Chef des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU – Slushba Bespeki Ukrainy. Deutlich ausgedrückt um den Dienst, welchen mit der DDR-Stasi und dem heutigen Bundesnachrichtendienst in etwa zu vergleichen nicht falsch sein sollte. 
Ihr oberster beamteter Dienstherr hieß bis zum 18. Juni 2015 Valentin Alexandrovitsch Naliwaitshenko. Dieser lange im diplomatischen Dienst der Ukraine tätig gewesene Politiker (Norwegen, USA) hat auf mich bei seinen Fernsehauftritten immer einen sehr seriösen Eindruck gemacht. Wer wie er in bestimmten Dienststellungen nicht nur im Inland tätig war, hat aus politischer und Lebenserfahrung ein Gefühl dafür, was im Interesse des Landes wie gesagt (oder verschwiegen) werden sollte. Der zeitweilige Hochschullehrer für russische Sprache hat auch noch aus dieser Richtung her die Voraussetzungen für sachlich richtige Aussagen. 
Als vorgestern Abend in der Sendung „Schuster live“ Herr Naliwaitshenko fast direkt gefragt wurde, ob er denn nun gegangen worden sei, hat er sich nach meiner Auffassung wie ein echter Offizier verhalten. Er hat zum seiner Entlassung durch die Werchowna Rada vorausgegangenen Gespräch mit Präsident Poroschenko nur das Allernotwendigste gesagt. Jenen, welche sein einziges A4-Blatt bemängelten, das er zu seinen Ergebnissen in etwas über einem Jahr Amtszeit beim Parlament vorgezeigt hatte, antwortete er im vollen Ernst und für mich nachvollziehbar: „Die vorzeigbaren Ergebnisse des SBU sind durch die einfachen Mitarbeiter erzielt worden, von denen sogar einige an der Ostfront gefallen sind.“ Die Ausführungen zu Personalfragen im Rahmen der Reform des SBU waren ebenso schlüssig, zeigten mir echte Reformbestrebungen. Das, was Präsident Poroschenko zur Überwindung der Bestechlichkeit als Programm formuliert hatte. Ist der Bürger Naliwaitshenko etwa nur naiv, gutgläubig gewesen? Wie anders ist sonst die Unzufriedenheit des Präsidenten mit der Arbeit seines Sicherheitschefs zu verstehen? 
Umso wesentlicher erschienen den im Studio Anwesenden und mir seine Bemerkungen zur Staatsanwaltschaft, welche er, recht vorsichtig von mir so formuliert, als eine bestechliche Gruppierung bezeichnete. In einer diesbezüglichen Abstimmung haben 87 % der Studiogäste dafür gestimmt, dass eben diese Haltung Grund für die Ablösung des einstigen SBU-Chefs gewesen ist. 
Offensichtlich bröckelt es auch im Lager von Präsident Poroschenko. Der Austritt eines bekannten Journalisten aus Lwow aus der Parlamentsfraktion „Block Poroschenko“ und dessen sehr überlegte Antwort im Fernsehen lassen von den im Hintergrund brodelnden Leidenschaften ahnen. 

Die sechste Welle der teilweisen Mobilisierung ist mit dem gestrigen Tag in der Ukraine eingeleitet. Wie während den vorherigen werden außer Wehrpflichtigen alle jene einberufen, welche nach kurzer Neuformierung vorhandener militärischer Kenntnisse und Fertigkeiten die in der dritten Welle Einberufenen an der Front ersetzen können. In diesem Zusammenhang war auch kurz etwas zur russischen Waffenschau zu sehen mit der Bemerkung von Präsident Putin zu neuester Nukleartechnik inclusive deren Transportmitteln. Meine Ansicht: hier wird versucht, den Eindruck zu vertiefen, dass die von Herrn Turtshinow formulierte Idee, der NATO die Stationierung von Teilen der Systeme des US-amerikanischen Raketenabwehr-Schildes in der Ukraine vorzuschlagen, reale Notwendigkeit ist. Allerdings haben einige Journalisten schon vermutet, dass diese angedachte Möglichkeit den Handel um eine Umschuldung bzw. einen Schuldenerlass für die Ukraine für diese positiv beeinflussen soll. 

Auf diesem schillernden politischen Hintergrund kommt noch eine vernünftige Gesetzesinitiative zum Tragen. Auf die bin ich gestoßen, als ich kurzzeitig dem Fraktionschef der ukrainischen Radikalen zuhörte. Sein Ukrainisch ist laut, dafür aber recht sauber und sehr deutlich. Er befürwortete einen Gesetzentwurf, der 14 Millionen Bürger des Landes von einem Teil Bürokratie befreien könnte. Von den Anträgen auf Subsidien im Ausgleich für die extrem gestiegenen Energiekosten sowie Mieten und Dienstleistungen der Wohnungswirtschaft. Denn Rentenbescheide, Nachweise für Invalidität und ähnliches liegen gesammelt vor. Daraus lassen sich automatisch die Berechtigten für Subsidien herausfiltern und die entsprechenden Zahlungen anweisen. Die zentralen Mittel sind im Haushalt ausgewiesen, Laufereien, Kosten und Ärger könnten vermieden werden. 
In erster Lesung ging der Vorschlag durch. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Montag, 15. Juni 2015

Journalistische Recherchen



Wenn Präsident Poroschenko davon spricht, dass die russische Seite es wegen der stabilisierten Kampfkraft der ukrainischen bewaffneten Kräfte nicht mehr auf eine direkte militärische Konfrontation ankommen lassen wird, sondern auf Auflösungserscheinungen im Inneren des Landes setzt, sollte das kommentiert werden. 

Da ist als erstes die sehr notwendige, aber vor allem bei den Ärmsten am meisten fühlbare Erhöhung der Tarife für Mieten und Energie- sowie Wasserversorgung als auch die relativ umfassende Begrenzung von Renten und Mindestlöhnen. Dazu kommen eine Reihe hausgemachter Probleme. 

Eines der spektakulärsten: die Brand-Katastrophe in einem Tanklager bei Wassilkow, einer Kleinstadt unweit Kiew. Aus einem Luftbild der Umgebung dieses Objekts geht hervor, dass schon mit der Genehmigung zum Ausbau des Tanklagers die ukrainische Gesetzgebung massiv verletzt wurde. Denn in unmittelbarer Nähe liegt eine militärische Kaserne, in deren Lagern Gefechtsmunition aufbewahrt wird. Des Weiteren gibt es auf der anderen angrenzenden Fläche auch noch ein Tanklager. Dieses mit nicht ungefährlichen Chemikalien. Leider habe ich nicht genau erfassen können, was dort konkret eingelagert ist. Aber die Reporter haben unter Berufung auf Experten des Bauwesens klar machen können, dass die geschilderte Konzentration von gefährlichen Objekten eindeutig den ukrainischen Sicherheitsbestimmungen widerspricht. Vor allem betrifft das an den Behältern des Tanklagers fehlenden Überlaufschutz und geforderte Löschautomatik… Da die Anlagen schon vor längerem gebaut wurden, können diese „Altlasten“ der neuen Staatsmacht allerdings nicht angelastet werden. 
Der Grund für die Katastrophe war angeblich der wie gewohnt praktizierte Versuch, gepanschtes Benzin herzustellen, um an der Preisdifferenz zu verdienen. Ein Schlauch sei geplatzt, hätte die Beteiligten sowie ihre unmittelbare Umgebung mit Benzin durchnässt. Durch Funkenflug aus dem Bereich der elektrisch betriebenen Pumpe wäre das Feuer entstanden. Die erste Reaktion: es mit eigenen Mitteln löschen, damit nichts von der Panscherei an die Öffentlichkeit dringt. Dadurch ist die weitaus mächtigere Feuerwehr erst gerufen worden, als es zu spät war. 

In einem Fernsehprogramm zur Veröffentlichung von Ergebnissen journalistischer Untersuchungen ein Fall, der mich erschauern lässt. 
In Donezk gab es ein Unternehmen, das mit seiner patentierten Technologie preisgünstig Borsäure höchster Qualität herstellte. Diese wird als so genannte „Bremsflüssigkeit“ in der ersten Kontur von Atommeilern in Kernkraftwerken verwendet. Um die dort frei werdenden Elektronen zu bremsen, also unkontrollierte Kernreaktionen zu verhindern. 
Weil die Produktion in Donezk nicht aufrechterhalten werden konnte, ist der entscheidende Unternehmer mit seinem Stab in eine andere Stadt gezogen. Wenn ich recht erinnere, nach Tscherkassy. Um sein Werk im Interesse auch des Landes dort neu aufzubauen, dessen Produktion fortzusetzen. Das durch diese Tatsache allein schon widerlegte Gerücht, er sei ein „offener Separatist“, hat den Sicherheitsdienst auf den Plan gerufen. Obwohl die Reserven der Atomkraftwerke an Borsäure beginnen, langsam ihre kritische Grenze zu erreichen, die Konkurrenten zu höheren Preisen minderwertigere Ware liefern, muss der Mann, der Arbeitsplätze schaffen und ein strategisch wichtiges Produkt produzieren lassen will, von einem Amt zu anderen rasen und auch noch den Sicherheitsdienst von seiner Rechtschaffenheit überzeugen. 
Eine moderne Variante der Arie „Die Verleumdung, sie ist ein Lüftchen …“ aus dem „Barbier von Sevilla“. Nur untergräbt dieses Vorgehen das Vertrauen in die Staatsmacht weiter… So bekommt unlauterer Konkurrenzkampf eine politische Komponente… 

Wie gefällt das folgende Schema? Mit einem oder einigen Federstrichen verwandelte der damalige Beamte und heutige Bürgermeister einer idyllischen Kleinstadt nahe Kiew einige hundert Quadratmeter Boden in einem begehrten Areal in Bauland, das er seinem einstigen Unternehmen zum Spottpreis zuschanzte. Danach brachte er diese Fläche zum wahren Marktwert als seinen Anteil in ein Bauunternehmen ein. Als Gegenleistung bekam er laut Steuererklärung von 2013 nach deren Fertigstellung 47 Wohnungen übereignet. Davon waren zum Zeitpunkt der gesendeten Reportage schon 24 verkauft. Selbst wenn sich die Immobilienpreise in der Ukraine sehr von deutschen unterscheiden – für die erlöste Summe müsste eine ukrainische Rentnerin ganz schön lange stricken… 

Auch aus den Ergebnissen der journalistischen Nachforschungen: die eindeutigen Absprachen zwischen am Gewinn aus staatlichen Aufträgen sehr interessierten Firmen führten dazu, dass auf Ausschreibungen für Lieferung von Kraftstoffen an bewaffnete Kräfte der Zuschlag an jene ging, welche mit ihren Lieferungen Sondergewinne aus der Staatskasse einfuhren…

Als letztes trauriges Beispiel eins aus dem Bereich Rechtsprechung. Da gab es das Amtshilfeersuchen italienischer Stellen über Interpol, einen Grusinier (Georgier) auszuliefern, der es geschafft hatte, als Mitglied einer mafiaähnlichen Gruppierung doch in die Ukraine zu entkommen. Hier wurde er festgesetzt. Trotz der erdrückenden Beweise hob ein ukrainischer Richter den Haftbefehl auf. Der Mafiosi ist auf freiem Fuß. Wo - das war unbekannt. 
Nicht nur beim erwähnten Richter tauchen in den Steuererklärungen unter „Geschenke“ Summen wie 1,2 Millionen Hrywna auf. Ein Schelm, der Arges dabei denkt … 
Da ist es sicher noch ein weiter Weg, bis die seit einiger Zeit eingeleiteten Antikorruptionsmassnahmen und die so genannte „Lustration“ (Durchleuchtung ehemaliger dienstlicher Tätigkeit von Amtsinhabern) so greifen, dass die Bevölkerung deren Wirkung deutlich spürt. Zu dem Staat, den viele aktiv verteidigen, eine begründetere Bindung findet. Den damit Beschäftigten wünsche ich Erfolg und Rechtschaffenheit. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





Dienstag, 9. Juni 2015

Meinungsvielfalt...



Bevor der ukrainische Präsident Petro Poroschenko am 04. Juni 2015 seine erste jährliche Botschaft an die Werchownaja Rada – das ukrainische Parlament - vortrug, hatte es schon Stimmen zu seinem Jahr im Amt im Fernsehen gegeben. Am Tag nach dieser politischen Erklärung war für Journalisten eine große Pressekonferenz organisiert. Auf ihr stand der Präsident den Massenmedien Rede und Antwort zu Passagen aus genannter Botschaft, welche den Journalisten und vor allem dem „Mann von der Straße“ nicht bis zum Ende verständlich geworden waren. Nebenbei gesagt ist der berühmte „mittlere Bürger“ schon recht politikmüde. Deswegen kommentieren vor allem jüngere Personen, die noch politische Illusionen haben, die aktuellen Ereignisse. 
Poroschenko kritisierte sowohl sich als auch alle Bereiche der Staatsmacht für die zwar geleistete, allerdings nicht genügend effektive Arbeit. Wenn nicht eben wenige Bürger des Landes zu den schon auf den Weg gebrachten  Reformen und anderen Vorgängen keine positive Meinung haben, werde man in Zukunft das Prinzip der persönlichen Verantwortung für Amtsinhaber noch radikaler anwenden müssen. 
Seine Haltung zu den westlichen Verbündeten ist geprägt von Verständnis dafür, dass diese sachlich gesehen zwischen zwei Stühlen sitzen. Russland ist für viele Bereiche der Weltpolitik ein unverzichtbarer, wenn auch schwieriger Partner.
Der Kampf einerseits an der ukrainischen Ostfront, zum anderen an der diplomatischen geht weiter mit dem Ziel, die Vereinbarungen von Minsk voll durchzusetzen. Von der Meinung, dass der Donbass und auch die Krim zur Ukraine gehören, gehe man nicht ab. Er dankte den ukrainischen Kämpfern und den Volontären für beider aufopferungsvollen Einsatz. 
Die gesamte Rede habe ich nicht verfolgt oder nachgelesen. Das saubere Ukrainisch des Präsidenten ist für mich bei komplexen Zusammenhängen auf Dauer doch nicht fehlerfrei fassbar. Weil ich nur Russisch genügend verstehe.

Die Pressekonferenz am Folgetag hat mir mehr gegeben. Meist kurze Fragen und relativ übersichtliche, sachliche, mir doch verständliche Antworten. Die politischen Bestandteile entsprachen seiner Rada-Botschaft, waren etwas mit Beispielen untersetzt. Zwei Fragen, welche die ukrainischen Menschen interessieren. 
Jene, die im Ausland arbeiten wollen, beunruhigt jede Verzögerung bei der Frage visafreier Reisen. Da gibt es ukrainischen Nachholebedarf, meinte der Präsident – das wären vor allem technologische Probleme, aber auch der Reformstau. Er informierte in seiner Antwort gleich darüber, dass der Chef der Immigrationsbehörde seinen Rücktritt eingereicht hätte. Aus dem, was ich bisher verfolgt habe, ist das nur eine Hälfte der Antwort. Die andere besteht – nach meiner Meinung – in der unberechtigt geschürten Auffassung vor den Präsidentenwahlen, dass die Visafreiheit schon zum Jahresende 2014 Wirklichkeit werden könne. Obwohl von Seiten der EU recht deutliche Forderungen gestellt wurden, welche ein vorsichtigeres Herangehen an das Problem signalisiert haben. Poroschenko wird in diesem Bereich noch viele Stimmen verlieren. 
Zur Veräußerung seiner Unternehmen bekamen die Journalisten eine Antwort, die bei aufmerksamer Verfolgung russischer Verlautbarungen hätte bekannt sein können. Das Unternehmen in Lipezk ist von russischer Seite beschlagnahmt. Poroschenko sucht mit Hilfe spezieller westlicher Beratungsunternehmen den Weg, es für die Transaktion frei zu bekommen. 
Eine Journalistin, welche den verzögerten Befestigungsausbau an der Frontlinie ansprach, lud der Präsident dazu ein, ihn Mitte Juni mit dorthin zu begleiten, damit sie nicht nur Worte zu hören bekäme. 
Neu und folgerichtig war die Antwort an einen japanischen Journalisten. Dieser sprach den Besuch des japanischen Ministerpräsidenten  Shinzo Abe an und fragte nach den damit verbundenen Erwartungen. Präsident Poroschenko erwiderte, dass es der erste Besuch eines so hochrangigen japanischen Politikers in der Ukraine sei. Die Beziehungen zu Japan seien so gut wie nie zuvor. Er habe vor, seinem Gast zu sagen, dass die russische unrechtmäßige Truppenpräsenz auf nicht zu Russland gehörigen Inseln Verurteilens wert sei. Noch nie hat meines Wissens ein ukrainischer Politiker verbal so deutlich in den Konflikt zwischen Russland und Japan um die südlichen Kurilen-Inseln eingegriffen. 
Zudem sollte da offensichtlich etwas politisch bereinigt werden. Denn im März 2015 hatte erstaunlicher Weise der ehemalige japanische Ministerpräsident Yukio Hatoyama die Krim besucht. Außenminister Fumio Kishida erklärte damals, dass  dieser Besuch mit der Position der Regierung Japans nicht übereinstimmt, welche die russische Annexion der Krim nicht anerkenne. 

Verfolgt man die Diskussionen in unterschiedlichen Talkshows, ist deutlich, wie extrem unterschiedlich die Meinungen im Land sind. Das kommt auch in zwei Episoden zum Vorschein. 
Der Wirtschaftsminister der „Oppositionsregierung“ – die gibt es wahrhaftig! – sagte z. B. in einem Fernsehgespräch (Meinungsfreiheit!), dass die Kreditaufnahme der Ukraine zwar gesichert sei, die Kreditgeber an diese aber „antiukrainische Bedingungen“ gebunden haben, welche die gegenwärtige Regierung akzeptiert. Hier erinnere ich mich erneut an das Buch "Showdown" von Dirk Müller. Das darin sachlich überzeugend erläuterte Kredit-Szenarium Griechenland läßt grüßen...
Dann rechnete  Ministerpräsident Jazenjuk in der Werchowna Rada öffentlich vor, dass die Ukraine dank des von Julia Timoschenko unterschriebene Vertrages an Gazprom seitdem mehr als 16 Milliarden US-$ überzahlt habe, welche man hätte für soziale Zwecke im Lande einsetzen können. Die Dame reagierte prompt. Es sei nicht nur eben einmalig der Versuch, der Partei „Batkovtshina“ (Vaterland) Dinge anzulasten, für welche die nicht verantwortlich sei. Natürlich hat eine Partei keine Verantwortung für die Handlung ihrer Oberen – aber so kann man von persönlicher Verantwortung ablenken. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger