Freitag, 28. Dezember 2012

Ohne Linie ...


        Dass der wiedergewählte Präsident der USA seinen Weihnachtsurlaub abbrach, um mit den Abgeordneten kurz vor Zapfenstreich zu beraten, wie der technische Bankrott des größten Schuldnerstaates dieser Welt hinausgeschoben werden kann, ist unverständlich. Für mich - aber bald frage ich mich selbst, ob ich richtig ticke. So eine wichtige Sache hätte ich vor dem Urlaub erledigt...

        Nur: "Man soll nicht das Geld im fremden Portemonnaie zählen." - heißt eine Regel für gutes Benehmen.  Also: die Börsen der Welt und viele andere Spezialisten warten ungeduldig. Ich kann mir vorstellen, dass Finanz- und Wirtschaftsminister in aller Welt unruhig bis schlecht schlafen... Ist mir egal, sie wälzen sich ja nicht neben mir im Bett.
        Allerdings hat für mich die nächste Krise wieder einen Namen: USA. Nicht die einfachen Leute. Die sind ja seit Jahrzehnten gewöhnt, dass es bei ihnen wie die Achterbahn geht. Die bei den Slawen "amerikanische Berge" heißt (amerikanskije gorki). Sondern die sogenannten "Macher". Welche seit Jahrzehnten das Land der unbegrenzten Möglichkeiten daran gewöhnt haben, weit über diesen zu leben - auf Kosten derjenigen, die nach Verständnis der dortigen Großkopfeten den "Rest der Welt" ausmachen. Mit der Last ist Obama angetreten und wird irgendwie weiter wursteln müssen... Dass er die traditionelle Lebensart ohne extreme Verwerfungen umkrempeln sollte...

        Dem Wladimir Wladimirowitsch Putin geht es nicht besser als dem Barack Obama. Ja, ich habe für den russischen Präsidenten etwas mehr Verständnis und Sympathie. Die beiden letzten Blogs hier stellen das wohl heraus.
        Dazu gehört: ich habe nicht das Recht, an seinen Originaltexten auch nur ein Wort auszulassen oder falsch zu übersetzen. Das hat er von mir an Redlichkeit zu erwarten. Die Ehrlichkeit und Redlichkeit der "kleinen Leute".

        Wenn ich seine Erläuterungen und Entscheidungen zu allem sehe und höre, was mit dem Fall des Sergeij Magnitzkij alles hochkommt und irgendwie verknüpft ist und scheint, tut er mir leid.
        In den letzten beiden Jahrzehnten haben die russischen Entscheidungsträger und ihre Armee von Bürokraten sehr rasch von ihren westlichen Kollegen gelernt. Putin weiß sehr wohl, wovon er spricht, wenn es um Fragen in Russland allgegenwärtiger Korruption geht. Nur: woher kamen denn die Beispiele? Nicht nur aus der asiatischen Bakschisch-Tradition, sondern auch aus dem amerikanischen und westeuropäischen way-of-life. Man sehe nur auf den laufenden Skandal bei der Deutschen Bank - um im Vaterland zu bleiben.
        Es kommt dann etwas merkwürdig bei mir an, wenn aus der Ecke deutscher Journalisten Putin als dem Korruptionssumpf ohnmächtig  gegenüberstehender Politiker eingeschätzt wird. Dabei lese/höre ich nicht einen brauchbaren Vorschlag, wie dem Übel beizukommen wäre... Kritik soll helfend sein - eine alte Regel. Offensichtlich muss man in meinem Alter sein, um das noch zu wissen...

        Aus den mit Sergeij Magnitzkij verbundenen Problemen wird mir eines klar: Wladimir Wladimirowitsch hat bei seinen Bestrebungen zu Russlands Reform in vielen Beziehungen wohl einen psychologischen Brocken zu bewältigen, wie er größer nicht sein kann: den Verrat von Leuten, denen er vertraute, für Geld, viel Geld. Deshalb ist für mich nachvollziehbar, dass er vielleicht sich nicht so viel mit der Dreckwäsche beschäftigen möchte. Nur: er wird es müssen...

        Beide, Obama und Putin, können sich daran erinnern, was einst dem Reformer Martin Luther gesagt wurde, der gegen Macht- und Denkstrukturen anging: "Mönchlein, du tuest einen schweren Gang!"

        Glück auf den Weg!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger










Dienstag, 25. Dezember 2012

Tendenzen...


        Im Post "Nachlese" habe ich mit Grund geendet, dass jede Meinungsäußerung tendenziös ist. Wenn auf einem Sender im ukrainischen Fernsehen die folgende Nachricht sofort herausgestellt wird, ist das erst recht Tendenz "In den USA läuft eine Unterschriftensammlung, um Wladimir Putin unter Nutzung des Magnitzkij-Gesetzes die Einreise in die USA zu verbieten."

        Das ist Wasser auf die Mühle jener Kräfte, welchen unter Planungshoheit des Herrn Beresowkij die Destabilisierung der russischen Gesellschaft organisierten. Der Dokumentarfilm "Beresowkij", der vor zwei Tagen im russischen Fernsehen lief, hat mit bisher nie gezeigten Leuten und Fakten belegt, wie der genannte Herr unter anderem mit der geschickt eingefädelten Entführung eines Präsidentschaftskandidaten erreichen wollte, dass die Wahlen in Russland nicht stattfinden konnten und alle Kandidaten - darunter auch Putin - das Recht auf eine Kandidatur für immer einbüßten.

        Verhindert haben diesen Plan die Spezialdienste (Gegenspionage z. B.) der ukrainischen Seite. Ein wenig erinnerten mich die Informationen der beteiligten Herren aber doch an das Buch "1984" ...
        Das Beresowskij auch und weshalb in Brasilien persona non grata ist, wusste ich bislang nicht. Allerdings haben die sehr aufmerksam recherchierten Details aus seinem Leben als "graue Eminenz" in Russland und nun in London bei mir die Tendenz bestärkt, ihn weiter als gerissen und gewissenlos zu beobachten -aus relativ großer Entfernung...

        Noch ein Ereignis "aus dem wilden Osten" gab Stoff zum Überlegen. Es gibt eine alte Formulierung "Wenn über eine Sache endlich Gras gewachsen ist, kommt immer ein Hammel, der das wieder abfrisst."
        Auf irgendeiner Konferenz hat ein von mir namentlich nicht erfasster russischer Regionalpolitiker aus dem Gebiet Rostow vielleicht scherzen wollen. Allerdings war er sich offensichtlich nicht klar, welchen Bärendienst er seinem Lande und dem Präsidenten leistete, der soeben in seiner Pressekonferenz das Fragenbündel "Ukraine und die Zollunion" zu einem vernünftigen Zwischenstand gebracht hatte.
        Besagter Politiker hat - nach Aussagen der ukrainischen Journalisten - formuliert, dass nach Beitritt der Ukraine zur Zollunion es günstig wäre, 7 Millionen UkrainerInnen nach Sibirien umzusiedeln, um ein demografisches Gegengewicht gegen die chinesische Infiltration zu schaffen.

        Angesichts der sowjetischen Geschichte muss man schon mit extremer politischer Instinktlosigkeit gesegnet sein, solche Idee auch nur in aller Stille zu überlegen! Es bleibt abzuwarten, was angesichts einer sehr beherrschten Reaktion aus dem ukrainischen Außenministerium mit diesem "Volksvertreter" in zivilisierter Weise geschieht. Ihn dorthin zu versetzen, wo er die angedeutete Aufgabe mit übernehmen könnte, wäre vielleicht angebracht...

        Aber das wäre denn schon wieder zu tendenziös...

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






       

Sonntag, 23. Dezember 2012

Autoritär?



        Die Pressekonferenz von Wladimir Putin ist noch einmal Ausgangspunkt für einige Betrachtungen. Zum Protokoll:

        Der Korrespondent der „Iswestija“ vergaß – wie einige andere auch – sich verabredungsgemäß vorzustellen. Gründe: Aufregung oder Unhöflichkeit? Kann man tendenziös bewerten… Deshalb kann ich ihn hier nicht mit Namen nennen.

        „Lachen sie jetzt nicht, es kann sein, dass ihnen meine Frage nicht gefällt.
Wladimir Wladimirowitsch, hier sind viele Journalisten, wir haben viele Fragen an die Mächtigen. Mit der Macht assoziieren wir in erster Linie sie, das ergab sich so.
        In den 12 Jahren haben sie ein recht strenges, in einigen Bereichen sogar autoritäres Regime persönlicher Macht aufgebaut. Wie ist ihre Meinung, ist dieses System im neuen Jahrhundert lebensfähig? Schätzen sie nicht ein, dass es der Entwicklung in Russland schadet?"

        W. Putin: „Ich meine, dass wir damit jene Stabilität herstellten, zu welcher Sergeij Briljow seine Frage stellte, und das ausschließlich als eine unabdingbare Voraussetzung für Entwicklung. Das, darüber sprach ich schon, halte ich für außerordentlich wichtig.
Das System autoritär zu nennen kann ich nicht, der These kann ich nicht zustimmen. Der allerdeutlichste Beweis dafür ist doch, dass ich mich entschied, nach zwei Präsidentschaften auf die zweite Position zu rücken. Hätte ich gemeint, dass ein totalitäres oder autoritäres System für uns das vorzuziehende sei, da hätte ich lediglich die Verfassung geändert, sie verstehen, dass das leicht geworden wäre.
        Das verlangt doch nicht einmal irgendeine umfassende Volksbefragung, da hätte es ausgereicht, den Beschluss im Parlament durchzubringen, in welchem wir mehr als 300 Stimmen hatten. Ich bin bewusst in die zweite Position gegangen, um damit einerseits die Kontinuität der Macht zu sichern, andererseits die Achtung unserer Verfassung und unserer Gesetze zu demonstrieren.
        Sie verstehen sicher, dass ich mir damals nicht als Ziel stellen konnte, nach vier Jahren unbedingt zurückzukehren (auf den Posten – d. Ü.). Das war einfach absurd, vor allem auch weil die Krise begann, unklar, was dann sein würde. Wir alle haben eine schwere Prüfung hinter uns. Aber deshalb das System autoritär nennen – nein. Wenn jemand meint, dass Demokratie und Einhaltung von Gesetzen verschiedene Dinge sind – der Mensch irrt sich tiefgreifend.
        Demokratie – das ist vor allem die Einhaltung der Gesetze. Bei uns hat sich der Eindruck ergeben, dass Demokratie – Trotzkismus ist, Anarchie. Das aber ist nicht so! Bakunin war ein bewundernswerter Mensch und sehr klug. Allerdings brauchen wir keine Anarchie, ebenfalls keinen Trotzkismus.
        Sie wissen, wie die Anarchie der 90-er Jahre sowohl die Marktwirtschaft diskreditierte, auch die Demokratie als solche. Die Menschenbegannen beides zu fürchten.  Aber das sind unterschiedliche Sachen. Ich meine, dass Ordnung, Disziplin, die buchstäbliche Beachtung der Gesetze den Formen demokratischer Leitung nicht widersprechen. 

        Wieder ein kleiner Sprung – ich wähle tendenziös aus, wenn das jemand wissen möchte… Als der ehemalige Finanzminister Kudrin vom damaligen Präsidenten Medwedjew sowohl öffentlich als auch recht kultiviert „in die Wüste geschickt“ wurde, habe ich das kommentiert. Deshalb erscheinen die folgenden Abschnitte  in diesem Post.

        „Guten Tag, Wladimir Wladimirowitsch! Viktorija Prichodjko, „Moskowskij komsomolez“. Sie sagten heute, dass ihnen ihre Mitarbeiter aus Furcht die Witze über sie nicht erzählen.“

        W. Putin: „Das war ein Scherz. Sie erzählen.“
        W.Prichodjko: „Verstehe. Aber nun ernsthaft. Sie haben früher nie verheimlicht, dass Kudrin für sie die Quelle alternativer Meinungen darstellte: wenn andere „Ja!“ sagten, sagte er „Nein!“
        W. Putin: „Das setzt er auch heute so fort.“
        W.Prichodjko: „Aber wer sagt ihnen das heute so – aus der im Amt befindlichen Mannschaft; wer ist gegenwärtig für sie die Quelle alternativer Ansichten?“

        W. Putin: „Erst einmal: Herr Kudrin ist nicht verschwunden, nirgends hin ausgereist mit Aufenthaltstitel, er ist hier, die Verbindung mit ihm funktioniert – jedoch in völlig anderer Qualität, jedoch treffe ich mich mit ihm regelmäßig, selten – der Arbeitsbelastung wegen, wie man in diesem Falle sagt – aber regelmäßig. Und ich höre auf seine Meinung, sie ist für mich, so wie auch früher, wichtig. Alexeij Leonidowitsch ist nicht zufällig zweifach als „bester Finanzminister der Welt“ erwählt worden, er ist ein guter Experte.
        Der Unterschied zwischen Experten und Entscheidungsträgern ist einfach der, dass die Experten für die politischen Entscheidungen keine Verantwortung tragen, allerdings ist ihre Meinung nicht einfach interessant, sondern wichtig zu wissen, um eine ausbalancierte Entscheidung zu treffen. Es gibt auf der Welt ausreichend Personen, mit Autorität, gebildet, erfahren; eine aus ihnen – so aus dem Stegreif – Frau Lagarde, welche den Internationale Währungsfond leitet.
        In den europäischen Staaten gibt es sehr gute Spezialisten im direkten Sinne dieser Bezeichnung, darunter auch jene, die in der Sphäre Wirtschaft und Finanzen tätig sind, auch in den USA gibt es sie. Ich lese von ihnen, höre ihre Meinung, bin bemüht, sie immer mit unseren Plänen zu konfrontieren und mit jenen Instrumenten,  welche wir einsetzen zur Lösung der vor dem Lande stehenden Aufgaben.
        W.Prichodjko: „Wenn sie sich mit Kudrin beraten – gibt es da etwa Pläne, ihn in die Mannschaft zurück zu rufen?“
        W. Putin: „Die Frage war doch: gibt es vielleicht Pläne, dass Kudrin in die Mannschaft zurückkehrt. Mannschaft – das ist einen bedingte Bezeichnung. Wenn ich mich mit ihm berate, ist er in diesem Sinne „in der Mannschaft“.

        Auch etwas davon, wovon nicht vordergründig gesprochen wird: Putins achtungsvoller Umgang mit Menschen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







Samstag, 22. Dezember 2012

Nachlese...


        Die Reaktionen auf die Pressekonferenz von Wladimir Putin sind gemischt. Wie die politischen und moralischen Werte, welche die diskutierenden Personen vertreten. Sehr bekannt und nicht anders zu erwarten. Meine ukrainischen Opponenten sind recht genau in für und wider einzuordnen.
        Der russische Journalist Schuster hat hier mit seiner Sendung "Schuster life" eine relativ große Anhängerschaft. Seine persönliche Haltung ist für mich nicht anders als "stark Ukraine-lastig" zu bezeichnen. Am 18. 12. 2012 gab es die Sendung zur Frage: "Kann die Ukraine es sich leisten, der Zollunion nicht beizutreten"? Die Befragung des Publikums auch mit Hilfe des Internets zu Sendebeginn und am Ende der Sendung gab einen Beitrag zum Thema "Politische Meinungsbildung durch Massenmedien". Während anfangs etwa jeder zweite zur Frage "Ja!" sagte, war zum Schluß bis auf wenige das befragte Auditorium dafür, die Zollunion als für ihr Vaterland nicht brauchbar zu betrachten.

        Die Begründungen vieler Politiker im Saal waren weniger von ökonomischer Zweckmäßigkeit der Vereinigung (bis jetzt Belorussland, Kasachstan, Russland) geprägt - also dem Wegfall der Zollgrenzen mit allen daraus sich ergebenden bürokratischen Abläufen, Personalkosten u. a., sondern mit Zeitgewinnen beim Grenzübergang und so weiter... Deren ökonomischen Nutzen hat sogar die ukrainische Akademie der Wissenschaften belegt. Sondern von einer in meinen Augen historisch gewachsenen, nur unter heutigen Bedingungen unbrauchbaren "Furcht vor dem russischen Bären" sowie in extremem Hang zur "Europäisierung" des Landes. Man will nicht länger "Osteuropa" sein...
        Die politisierte Beweisführung geht sogar bis in Wortspiele. Die ukrainische Zeitschrift "Wochenspiegel der Ukraine" (Зеркало недели Украины) formulierte in ihrer Ausgabe Nr. 13 von 08. April 2012 das so: "Bundesgenosse oder Mithäftling?" (В союзники или соузники?" - W sojusniki ili sousniki?).

        Für mich ist - ohne extrem viel politisches Hintergrundwissen - also als gewöhnlicher Zuschauer/Leser/Hörer - die Antwort doch einfach. Wer in Westeuropa wird ukrainische Waren kaufen, welche im Lande sogar Ladenhüter sind? Wie soll die westeuropäische Wirtschaft mit der dort deutlichen Arbeitslosigkeit den Beitritt eines Landes mit mehr als 40 Millionen auf ein ökonomisches Wunder hoffenden Einwohnern verkraften? Mir schmeckt Buchweizengrütze vorzüglich, nur die Deutschen zum Beispiel wird man nicht an die Teller mit dieser gesunden Speise treiben können, um den ukrainischen Export landwirtschaftlicher Produkte anzukurbeln.

        Andererseits hat in der Pressekonferenz Putin nach meinem Empfinden zu den ukrainischen Problemen klare Antworten gegeben. Hier gibt es ein Sprichwort (sehr grob, ich vereinfache stark): "Du kannst nicht einen Fisch essen, während du Sex hast." Für unsere Zeit ist doch typisch, dass auch das Vertragswerk der EU den nationalen Belangen nicht immer entspricht, aber insgesamt mehr oder weniger eingehalten wird. Putin wies in seiner Antwort an die ukrainische Journalistin (s. Post "Pressemarathon") darauf hin, wie erstaunt seine ukrainischen Kollegen die Einhaltung eines Vertragswerkes durch die russische Seite zur Kenntnis nahmen.

        In Diskussionen mit einigen Ukrainern höre ich nicht selten: "Putin beachtet nicht die ukrainischen Interessen."
        Dann reagiere ich gereizt. Sie sollen mir doch einmal erklären, warum Barack Obama die Interessen der Ukraine nicht vordergründig betrachtet? Oder Angela Merkel? Jeder Präsident hat doch erst einmal sein Land zu vertreten - oder? Ist die Sorge um einen geografisch zusammenhängenden euroasiatischen Wirtschaftsraum unter Beachtung nationaler Besonderheiten auch der Ukraine nicht mehr "Sorge" um die Ukraine als halbherzige Erklärungen aus Westeuropa? Meine Befürchtungen für die mir nahen Ukrainer: sie werden hinter einer sachlich vernünftigen Entwicklung wahrscheinlich aus nationalistischen Erwägungen zurückbleiben...

        Während der Name "Magnitzkij" zur Zeit in aller Munde ist, hat der von Anna Polikowskaja mit dem Augenblick an propagandistischem Glanz für eine Reihe von Journalisten verloren, als das Urteil gegen den Organisator des Mordes an ihr verkündet wurde.
        Wenn ich vergleiche, welche Zeiten die Rechtssprechung in den westlichen Ländern brauchte, um sogenannte "große Fälle" aufzuklären und mit Urteil zu beenden, komme ich nicht an der Erkenntnis vorbei, die Präsident Putin in seiner Antwort an Mister Loijko so formulierte: "Ich verstehe, dass sie in der Zeitung "Los-Angeles Times" arbeiten, nicht bei der "Prawda" oder "Iswestija", und dass sie eine bestimmte Position vertreten." (s. Post "Pressemarathon")

        Tendenziöse Berichterstattung betreibt ein jeder von uns - unsere eigene Meinung zu unseren Erlebnissen ist doch schon Tendenz - oder?

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





     

Freitag, 21. Dezember 2012

Pressemarathon


        Pünktlich auf die Sekunde kam Russlands Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin in den Saal, in welchem 1226 Journalisten ihn erwarteten.
        In Vorbereitung hatte ich mir extra starken Tee zubereitet. Denn bequem auf der Couch neigt man doch dazu, bei langweiligen Passagen wegzunicken. Allerdings gab es - zumindest für mich - diese Erscheinung heute nicht. Denn der souveräne Präsident gab auf viele Fragen selbst zu etwas kitzligen Erscheinungen seine ruhigen, manchmal auch ironischen Antworten. Auch wenn er nach 4 Stunden und 33 Minuten die Veranstaltung mit der Bemerkung beendete, sie erinnere ihn ein wenig an eine Renovierung einer Wohnung - man werde nie fertig, müsse sich aber doch dazu zwingen, sie abzubrechen - wirkte er nicht ermüdet, aber doch nicht mehr ganz frisch.

        Hier will ich die erste Frage erwähnen, zu der Wladimir Putin mehrfach von anderen Fragestellern genötigt war, Kommentare zu geben - für mich ein Zeichen, dass die in der Psychologie bekannte Tatsache zutrifft: man erfasst vorwiegend, was man hören will. Das sagte der Präsident aber nicht. Sondern einfach nur seine, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Meinung, die von einigen Vertretern sowohl russischer als auch internationaler Medien so ohne weiteres nicht übernommen werden wollte.


        Gestellt wurde die erste Frage von Ksenia Sokolowa, aus der Zeitschrift "Snob":

        "Als Antwort auf das von den Amerikanern angenommene "Magnitzki-Gesetz" hat die Duma eine Gesetzesinitiative beraten, welche Verbote enthält für amerikanische Bürger, welche russische Waisenkinder adoptieren wollen. Sehen sie diese Antwort al adäquat an? Stört sie daran nicht, dass Kinder, und besonders die absolut obdachlosen und hilflosen darunter, zu Instrumenten in politischen Auseinandersetzungen werden?"

        W. Putin gab als erstes eine Einschätzung der beklagenswerten Situation im eigenen Lande, aber auch einiges zu bedenken, was sich in Änderung befindet, jedoch mehr gefördert werden muss.

        Dann Folgendes, was ich die "politisch relevante Seite" der Antwort nenne (auszugsweise):
        "Nun das, was die amerikanische Seite anbelangt. Da geht es nicht um konkrete Leute, um amerikanische Bürger, welche unsere Kinder adoptieren. Dabei gibt es Tragödien, das ist uns bekannt, doch die überwiegende Anzahl der Personen, welche unsere Kinder als die ihren aufnehmen, führen sich sehr adäquat, das sind gütige und ordentliche Menschen. Die Reaktion der Staatlichen Duma ist nicht gegen diese Personen gerichtet, sondern gegen die Position der amerikanischen staatlichen Behörden. Worin besteht diese Position? Darin, dass wenn Verbrechen gegen die adoptierten Kinder begangen werden, häufig die amerikanische Femida ganz und gar nicht darauf reagiert und so diejenigen Leute von strafrechtlicher Verantwortung befreit, welche rechtswidrige Vergehen gegenüber einem Kind begingen. Das ist aber noch nicht alles. Zu den Prozessen werden Vertreter Russlands faktisch nicht einmal als Beobachter zugelassen.
        Wir haben erst vor Kurzem zwischen dem Staatsdepartament für Äußeres der USA und unserem Außenministerium eine Vereinbarung zu dem Anlass unterzeichnet, was russische offizielle Repräsentanten im Verlauf der Entwicklung solcher Krisen- oder Konfliktsituationen tun können. In der Praxis erwies sich, dass diese Einflusssphäre in der Jurisdiktion der einzelnen Bundesstaaten liegt. Wenn also unsere Repräsentanten kommen, um ihre Verpflichtungen im Rahmen genannter Vereinbarung wahrzunehmen, sagt man ihnen: "Diese Sache gehört nicht in die Kompetenz der föderalen Machtorgane, sondern in die des Bundesstaates, und auf dieser Ebene existiert keine Vereinbarung. Gehen sie zum Staatsdepartament und klären sie alles mit jenen, mit welchen sie die erwähnte Vereinbarung getroffen haben." In den föderalen Machtbereichen der USA verweist man auf die Ebene Bundesstaat. Wer braucht denn dann solche Vereinbarung? Man "hält uns zum Narren" - so einfach ist das. Auch werden unsere Vertreter nicht einmal als Beobachter zu den Prozessen geduldet, geschweige den als Teilnehmer daran. 
........
        Worum sorgen sich unsere Partner in den Staaten und die amerikanischen Gesetzesgeber? Um die Menschenrechte in unseren Gefängnissen, in Einrichtungen zum Freiheitsentzug. Eine gute Sache, allerdings haben sie selbst damit doch viele Probleme. Darüber habe ich schon gesprochen: Abu Ghraib, Guantanamo - jahrelang werden dort im Gefängnis Menschen  festgehalten, ohne dass ihnen eine Anklage vorgelegt wird. Das ist überhaupt nicht vorstellbar. Vor allem, weil nicht nur ohne Anklage eingesperrt wird, sondern die Menschen dort wie im Mittelalter in Fußfesseln gehen müssen. Im eigenen Land ist sogar Folter zulässig."

       Es reizte natürlich, dass gesamte Protokoll der Veranstaltung zu übersetzen. Aber es folgen die Passagen, welche hier in der Heimat meiner Frau interessieren und am Ende noch einmal zurück zum Teilthema des Anfangs.


          Folgendes fragte Margarita Zytnik, Spezialkorrespondent des ukrainischen Fernsehkanals "Eins plus eins": "Wladimir Wladimirowitsch, am Dienstag sollte hier ein Besuch von Viktor Janukowitsch stattfinden, er wurde abgesagt. Aus welchen Gründen, worin bestehen im Allgemeinen die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Ukraine und Russland? Überhaupt werden jetzt alle Verhandlungen zwischen diesen beiden Staaten geheim gehalten, niemand kommentiert etwas, obwohl alle wissen, dass über den Eintritt der Ukraine in die Zollunion geredet wird und über die Frage des Gases. Gibt es da Absprachen zu irgend etwas in dieser Hinsicht? Erklären sie bitte generell die Situation, was geht vor sich? Danke."

        Hier zitiere ich W. Putin nur in einer Beziehung - die "Gasprobleme" lasse ich weg. Der Blog fasst das nicht.

        "Wissen sie, hier ist die Rede nicht von der Einbindung der Ukraine in die Zollunion. Wenn eben gerade das behandelt werden sollte, müssten wir eine offizielle Erklärung der Ukraine vorgelegt bekommen haben, welche den Beitritt in die Zollunion betrifft. Solche Erklärung gibt es nicht. Allerdings verstehen wir die Besorgnis der ukrainischen Führung darüber, dass mit der Entwicklung der Zollunion eine Reihe von Funktionen der nationalen Staaten auf übernationale Ebene abgegeben werden, darunter an die schon bekannte Kommission der Zollunion, und es deshalb der Ukraine zunehmend schwerer fallen wird, die eigenen ökonomischen Fragen zu beantworten, welche mit der Arbeit auf unserem Markt verbunden sind, auf dem Markt von Drittstaaten. 
        Angenommen, wir haben bisher Entscheidungen getroffen - das hat mit Gas nichts zu tun - über Quoten aus der Rohrproduktion der Ukraine und hatten eine gewisse Quote festgelegt - aber auch Mengen für andere Waren, zum Beispiel Süßwaren und so weiter. Was weiter? Es kommt zum Tragen, dass wir das jetzt nicht mehr selbständig tun können, wir die der Ukraine wesentlichen Quoten nicht mehr nicht etwa deshalb nicht zusagen, weil wir das nicht wollen, sondern weil der Vorgang in die Kompetenz eines übernationalen Organs übergegangen ist. Bis zu einem gewissen Moment dachten unsere ukrainischen Kollegen, dass wir scherzen, bis sie verstanden, dass das Ganze kein Scherz ist.
        Unter Beachtung der Tiefe unserer Kooperation nämlich hat alles dies wesentliche Bedeutung für die ukrainische Wirtschaft. Sie verstehen, dass dieses die ernsteste Frage ist, verbunden mit dem Funktionieren ganzer ukrainischer Wirtschaftszweige und der Aufrechterhaltung des erforderlichen Niveaus auf dem Arbeitsmarkt, das heißt mit der  Sicherung von Arbeitsplätzen. Nun suchen die ukrainischen Kollegen selbstverständlich einen Ausweg aus der Situation, suchen solche Formen der Zusammenarbeit mit der Zollunion, welche für die Ukraine annehmbar sind, aber auch die rechtlichen Normen beachten, welche als Grundlage für das Funktionieren dieser integrativen Vereinigung geschaffen wurden. Das ist, was die Thematik Zollunion betrifft."
        Eine kleine Begebenheit am Rande. Die sehr resoluten Journalistin Maria Solovjenko aus Wladiwostok nahm sich etwas viel Zeit.  Putin: "Wie heißen sie?" "Maria." "Setzt dich bitte, Mariechen." "Danke, Wladimirchen." Familiär...
        Aus dem folgenden Frage-Vortrag von Mister Loijko habe ich recht viel nicht übersetzt. Nur die Fragen am Ende.
        "Verehrter Herr Präsident. Sergeij Loijko, "Los-Angeles Times".
        Was ist mit Sergeij Magnitzki passiert? Weshalb ist für ihn das Jahr 1937 wiedergekommen (Jahr blutiger Massenrepressionen in Sowjetrussland - meine Erläuterung)? Gut, dass das nicht für alle geschieht. Aber weshalb kommt es doch wieder in unser Leben?"
        Wladimir Putin: " Als diese Tragödie mit Herrn Magnitzkij geschah, hat ihr ergebener Diener die Pflichten des Ministerpräsidenten der Russischen Föderation erfüllt. Die Informationen zu der Tragödie bekam ich aus den Massenmedien. Offen gesagt, auch heute habe ich keine Details zum tragischen Tod dieses Menschen im Untersuchungsgefängnis. Allerdings merke ich, dass ich dazu Gründlicheres wissen sollte.
        Jedoch ist die Frage damit nicht beantwortet. Ich will, dass sie auch diesen Teil hören. Ich verstehe, dass sie in der Zeitung "Los-Angeles Times" arbeiten, nicht bei der "Prawda" oder "Iswestija", und dass sie eine bestimmte Position vertreten. Ich will, dass auch unsere Position klar ist. Die Frage besteht nicht in Magnitzkij. Das Problem ist, dass die amerikanischen Gesetzgeber, als sie sich von einem antirussischen, antisowjetischen Akt verabschiedeten - Jackson-Vanik-Amendment - was sie aus wirtschaftlichen Zwängen mussten - für erforderlich erachteten, sofort einen anderen antirussischen Akt anzunehmen. Wir empfanden das so, dass die amerikanischen Gesetzgeber uns allen auf diese Weise zeigten, wer hier der Hausherr ist, damit wir nicht entspannen. Wäre kein Magnitzkij da, hätte man einen anderen Vorwand gefunden. Das verärgert uns. Dies zum Ersten. Zum Zweiten: ohne Details zu kennen, weiß ich jedoch so viel, dass Herr Magnitzkij nicht im Ergebnis von Folterungen starb, ihn hat niemand gefoltert, sondern er starb an einem Herzanfall. Der  Grund für die Untersuchungen - hat man ihm rechtzeitig Hilfe geleistet oder nicht. Wenn man den Menschen ohne Hilfe gelassen hat, und das in einer staatlichen Einrichtung, dann ist zu klären, was da vorging. Das ist das Zweite.  Drittens. Meinen sie wirklich, dass in amerikanischen Gefängnissen niemand stirbt? Aber jede Menge. Und was wird? Werden wir das jetzt alles aufrühren? Sie wissen, wie viel Menschen die amerikanischen Rechtsschutzorgane in aller Welt "einsammeln", obwohl sie damit die Jurisdiktion der betreffenden Länder verletzen, und diese Leute in die eigenen Gefängnisse zerrt - sowie dort auch verurteilt? Ist das normal? Ich denke, das ist es nicht. Dazu habe ich schon einmal gesprochen: weshalb meint ein Land berechtigt zu sein, seine juristische Vollmacht auf alle Welt zu übertragen? Das untergräbt die grundlegenden Prinzipien des internationalen Rechts.
        Außerdem war Herr Magnitzkij, wie bekannt, nicht irgendein Menschenrechtler, er kämpfte nicht für die Menschenrechte. Sondern er war Anwalt des Herrn Browder, welcher von unseren Rechtsorganen verdächtigt wird, auf dem Territorium der Russischen Föderation ökonomische Verbrechen verübt zu haben, dessen Interessen verteidigte er. Alles, was mit dieser Sache verbunden ist, wurde extrem politisiert - jedoch nicht von uns."

        Was erwartet die Welt, was erwarten Berichterstatter von einem Staatschef?

        Dass er mit allem dem vor die Öffentlichkeit tritt, was ihm Probleme bereitet? Dass er Pessimismus, Unzufriedenheit, Hoffnungslosigkeit, Tatenlosigkeit verbreitet? Johann Wolfgang von Goethe hat dazu etwas für mich Bleibendes formuliert: "Wahrheitsliebe zeigt sich darin, dass man überall das Gute zu finden und zu schätzen weiß." Wie Putin bezüglich der US-Amerikaner, welche Kindern adoptieren und gut behandeln.
        Die mit professionellem Lächeln vorgetragenen Zukunftsvisionen der führenden Männer auf der ganzen Welt, welche damit über die Bildschirme flimmern, und ihre Aussagen beißen sich nicht selten mit der Wirklichkeit.
        Viel einfacher formulierte das vor 55 Jahren die Begleiterin unserer Gruppe von "Jugendtourist" aus der DDR, als eine Frau aus dem dortigen Strafvollzug sie bat, ihr einen Besuch in einem sowjetischen Gefängnis zu organisieren: "Bitte sagen sie mir ehrlich - führen sie ihre Gäste auch als erstes vor den Korb mit schmutziger Wäsche? Oder zeigen sie die gute Stube?"

        Wer sich das Protokoll selbst übersetzen oder übersetzen lassen will - hier die Quelle:
"kremlin.ru". 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






        


Sonntag, 16. Dezember 2012

Dreschflegel...


        Der Boxer Vitali Klitschko ist mit seiner Partei "UDAR" (auf Deutsch "Schlag" oder auch "Fausthieb") im ukrainischen Parlament vertreten. Wo es gleich in der ersten Sitzung so herging, als wollten sich viele bei ihm einschreiben lassen: man prügelte sich ganz ordinär. Dazu gibt es drei Bemerkungen von mir.


        Vitali hat sich von dieser Art politischer Auseinandersetzung eindeutig distanziert. Das finde ich schon recht ordentlich. Es passt zu einem der Brüder Klitschko, dass Gewalt von ihm im sportlichen Gefecht bejaht, sonst aber nicht ausgeübt wird. Vor allem nicht gegen Untrainierte...


        Die Zurückhaltung Westeuropas gegenüber der Ukraine dürfte nach den gezeigten Szenen noch zugenommen haben. Man stelle sich solch aggressive Volksvertreter im Europaparlament vor.  Da wendet sich der kultivierte westliche Parlamentarier mit Furcht und Grausen...


        Aber am besten beschreibt ein Zitat aus der Feder des amerikanischen Biologen und Schriftstellers Isaac Asimov das Unbehagen, welches auch die ukrainischen Wähler im Nachhinein beschleicht: "Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen." Die Bemerkungen in meiner Umgebung sind noch ein wenig giftiger...


        Beim Nachbarn im Norden gab es auch Erschütterungen. Die wurden von der Botschaft des russischen Präsidenten an die Föderale Versammlung am 12.12.2012 mit bestimmt, von der Unterschrift des amerikanischen Präsidenten unter ein Gesetz, welches Einmischung in russische Rechtssprechung bedeutet und in der sehr einmütigen Reaktion der russischen Duma auf diese Handlung mit der Lesung eines Gesetzentwurfes, welcher eine direkte Reaktion auf die Anmaßung der USA darstellt. 


        Es ist müßig, hier die Texte zu diskutieren. Denn es bleibt abzuwarten, was die praktischen Folgen sein werden. In "Wie geht das weiter?" habe ich meine Meinung ansatzweise gepostet. Die Entwicklung werde ich verfolgen und mich melden. Auch mit Kritik. Seltener. Weil ich meine, sie sollte auch Vorschläge für vernünftige Handlungen enthalten. Die fehlen mir leider noch.


        Besonders interessant wird für mich die öffentliche Pressekonferenz von Wladimir Putin am 20. Dezember dieses Jahres werden. Die Erwartung geht dahin, dass selbst überkritische Journalisten, die keinerlei konstruktive Ideen in die Diskussion einbringen, dafür aber mir geläufige destruktive Ansichten äußern, die passenden Antworten bekommen. Bisher war noch jede dieser Pressekonferenzen sprachlich und sachlich ein Erlebnis. Vorfreude ist die reinste Freude...

Bleiben Sie recht gesund!


Ihr


Siegfried Newiger








        

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Wie geht das weiter...


        Mein letzter Besuch in Moskau hatte wie gewöhnlich bei meinen Reisen wieder einen nicht ganz alltäglichen Verlauf - zu lesen unter "Wieder Moskau" auf meinen "Nachbarblog" mit nicht ganz so die Dinge hinterfragenden Themen   http://erlebnis-leben.blogspot.com/
        Denn ich wurde dort mit einigen Informationen konfrontiert, die mich mehr als schockierten.

        Da in der Ukraine lebend, muss ich ja auch hier im Stoff stehen. Sonst habe ich innerfamiliäre Probleme wegen "Nichtachtung" der Heimat meiner Eheliebsten. Deshalb habe ich zwar den anlaufenden Skandal um den ehemaligen russischen Verteidigungsminister mitbekommen. Allerdings nicht, dass die ehemalige Ministerin für Landwirtschaft in der Regierung Putin auch an millionenschweren Machinationen beteiligt war. So dass die Dame für eine etwa 40 Millionen Euro teuere Villa in Paris fast 28 Millionen davon bar hinlegen konnte - dafür aber Programme zu Unterstützung der russischen Landwirte nur auf dem Papier erfüllt wurden...

        Was da noch im von mir so bezeichneten "Beschaffungsamt" des russischen Verteidigungsministeriums hochkommt, will ich nicht abschätzen. Allerdings beruhigt, dass der neue Verteidigungsminister Schoigu schon eine Reihe sinnvoller Festlegungen getroffen hat. (s. auch "Wieder Minister!" auf diesem Blog).

        Wenn aber in St. Petersburg Schaden von 3 Milliarden Rubel (etwa 75 Millionen Eure) im Stadtsäckel durch Wiedereinsatz verbrauchter Großrohre im Wasserleitungssystem angerichtet wurde, ist das schlimm. Denn seit Mitte November brechen die nacheinander auf. Allein die Sicherung von Beweismaterial durch ausbuddeln eines Teil der 600 Kilometer langen "Schrottrohrleitungen" dürfte zusätzliche Aufwendungen bringen. Im Fernsehen gezeigt - bedrückend...

        Der Selbstmord eines höheren Beamten in Moskau zeigt nur, dass der es noch nicht geschafft hatte, nach London zu kommen (s. Post "Verlegte Hauptstadt..." vom 3. Dezember auf diesem Blog).

        Allerdings ist hier in der Ukraine die - als Umleitung gedachte - Erdölleitung Odessa-Brody mit einer Länge von ebenfalls rund 600 km ein ökonomischer Flop. Sie ist - leer. Wie ein eingerührtes Milliardengeschäft unter höchstem Patronat hier abgeschlossen werden konnte, ist auch so eine Geschichte aus der Un-Wirklichkeit...

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Montag, 3. Dezember 2012

Verlegte Hauptstadt...



Dieser kleine Artikel ist mir zugestellt worden. Ohne Hinweise auf den Autor. Allerdings im Rahmen der Informationen auf meiner letzten Reise in Moskau eine sehr interessante Notiz. Ich verwende sie – gekürzt und bearbeitet. So, dass es dem Autor schwer fallen sollte, juristische Haken zu finden.

            „Wohin fliegst du, mein Bester?“ fragte ich meinen Bekannten, einen amerikanischen Rechtsanwalt, den ich auf dem Kennedy-Flughafen in New York traf. „In die russische Hauptstadt“. „Bleibst du lange in Moskau?“ Die Antwort: „Ich fliege nach London.“ „Die Hauptstadt Russlands ist Moskau.“ „Ich sagte dir doch: ich fliege nach London. Das ist die russische Hauptstadt. Auch wenn man das so öffentlich nicht sagt.“
            Mein Flug wurde angekündigt. Ich checkte ein, ging an Bord. Bestellte ein Getränk und fiel ins Grübeln. Nach der dritten „Bloody Mary“ sagte ich mir: „Der amerikanische Kollege hat Recht!“
            Die russische Diaspora in London – das sind reiche oder sogar sehr reiche Leute – einige hunderttausend. Die Frauen und Kinder der überwiegenden Gesellschaft von so genannten Oligarchen, aber auch der obersten Schicht des Beamtentums wohnen in London. Der erdrückendste Teil russischer Gelder, welche aus dem Erdöl- und Erdgas-Geschäft stammen, liegen auf Konten bei britischen Banken. Das sind etwa drei Viertel des russischen Exportvolumens.
            Die Oligarchen selbst und die Lenker der gewaltigsten Firmen verbringen einen großen Teil ihrer Zeit in London. Sie lenken ihre Imperien von dort, obwohl sich jene in Russland befinden. Sollte das bestohlene erboste russische Volk einmal zum Sturm auf die „Rubljowka“ antreten – die Straße der Superreichen in Moskau – es würde leere Villen vorfinden.
            Im 20. Jahrhundert stürzten das britische und das russische Imperium – die über Jahrhunderte gegeneinander wirkten – offiziell das auch heute tun. Plötzlich, ganz unerwartet und heimlich, wurde die Hauptstadt des englischen Imperiums auch zu der des russischen: echt surrealistische Realität. Darüber könnte Bunuel eben jetzt einen Film drehen. Oder einen Blockbuster aus Hollywood oder Deutschland müsste man erwarten. Es wäre auch schlau, einen Roman zum Thema zu schreiben – mit Millionenauflagen in allen Sprachen der Welt.
Allerdings bin ich das nicht – ich versuche nur, den gerissenen roten Faden nicht zu verlieren. London – Russlands Hauptstadt!...
Wie kam es dazu? Doch nicht, weil das Bildungsniveau in Großbritannien traditionell hoch ist, also der Grund ist trivial – die Sorge um die eigenen Kindlein (wie in der russischen Presse offiziell dem Volk vorgelegt wird). Und nicht deshalb, weil man in London gewöhnt ist, entfernte Territorien zu lenken (die Zunge wehrt sich zu sagen, dass eine Supermacht des 20. Jahrhunderts zur Kolonie Londons wurde – denn das ist nicht so, zumindest noch nicht…). Auch spielt keine Rolle, dass für Leute mit dickem Konto das Leben in England angenehmer und harmonischer ist.
Sondern auch deshalb, weil London seine Bürger an andere Staaten nicht ausliefert. Die Tatsache, dass das britische Rechtssystem Beresowski trotz vielfacher und dringlicher Aufforderungen der russischen Staatsanwaltschaft nicht ausliefert, ruft offiziell Proteste der russischen Machtorgane hervor, sachlich gesehen – Beruhigung bei der russischen Elite: so ein Land passt uns! (hat die herrschende Klasse entschieden).        
Wenn das russische Volk (das „lange anspannt, dafür aber rascher fährt“) eines schönen Tages auf die Idee kommt, die „Absahner“ nicht nur zu enteignen, gibt England sie einfach nicht heraus. Genauer: die Wahrscheinlichkeit dessen, dass England seine Bürger ausliefert (und auch seine noch-nicht-Bürger, welche einen Aufenthaltstitel für das englische Königreich haben – das sind Minister, Gouverneure, Beamte aller Ränge, deren Frauen und Kinder fast alle schon britische Bürger sind), ist geringer als in einem beliebigen anderen Land auf dieser Welt.
            Mit einer Ausnahme – Israel. Allerdings wäre für jeden noch so an Absonderlichkeiten gewöhnten Bürger des Heiligen Russland die Idee, Israel zur Hauptstadt Russlands zu machen, wohl das Absurdeste von allem. Wenn plötzlich der Iran eine Atombombe dort abwirft?
Das Leben im Heiligen Land nervt ganz schön, noch mehr, als das auf der heiligen Erde Russlands. In Großbritannien ist die Ruhe gesichert. Und deshalb hat die herrschende Klasse Russlands nach oben genannten mehreren Merkmalen England als Wohnort auserkoren. Lenkt Russland von dort. Auch den Großteil ihres Kapitals bewahrt sie dort auf. Käme es in der Föderation zu einer Revolution – das erschüttert die herrschende Klasse nicht eine Winzigkeit. Na ja, vielleicht werden die Villen an der „Rubljowka“ ausgeraubt, deren Bewohner – nicht dort gemeldet, aber physisch anwesend – sind doch nur Security und Dienstboten. Jedoch mehr von den „abgeschöpften“ Geldern zu nehmen, gelingt nicht. Und auch an die „Absahner“, die zu russischen Machtstrukturen gehören und sich in London aufhalten, kommt man ganz einfach nicht heran.

            Der Ausdruck des Rechtsanwalt aus dem Etablissement, der ohne eine Spur von Ironie formulierte, dass LONDON RUSSLANDS HAUPTSTADT ist, welcher in seinen Kreisen anscheinend als selbstverständlich angesehen wird, ist in jedem Falle als Fakt unbestreitbar.

            Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts im einundzwanzigsten Jahrhundert ist London die Hauptstadt Russlands. Das muss man deutlich verstehen. Wie darauf zu reagieren ist, dass sich die Hauptstadt Russlands außerhalb Russlands befindet (dieses Geheimnis Policinellos ist nur in der Föderation unbekannt), wie das darzustellen und wie die entstandene Situation zu ändern wäre – das entscheide ich nicht.

No comment!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger