Die Vorgänge in der Ukraine – genauer: in der Hauptstadt Kiew und einigen
Gebietshauptstädten möchte ich eigentlich nicht kommentieren. Uneigentlich –
ich kann mich nicht daran vorbeimogeln. Dazu veranlassen mich die Fakten, die
mir zugänglich werden.
Wenn mich ein Bekannter in Belaja Zerkov beim
Morgenspaziergang mit Hund so begrüßt: „Komme mit in unseren Stab. Da kannst du
nachträglich General werden!“ – dann ist das kein gutes Zeichen. Selbst wenn
das Angebot als solches ehrenhaft scheint.
Dem Vorschlag habe ich mich entzogen
mit der Bemerkung, ich würde mich als Ausländer im Gegensatz zu Anderen – auch hochgestellten
Politikern – nicht in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einmischen. Für politische
Unkorrektheiten besitze ich nicht genügend diplomatischen Schutz.
Dann bekomme
ich von einem anderen so beiläufig gesagt, dass jeder Krieg die Nation säubere.
Das „reinigende Stahlgewitter“ unseliger deutscher Vergangenheit lebt
auf!?...
Am Abend des 21. Januar 2014
sah ich einen Teil des Fernsehauftritts von Arsenij Jazenjuk. Einer der
Anführer der Protestbewegung der Opposition. Die Formulierungen in seiner
Ansprache in Ukrainisch verstehe ich nicht ganz, bin aber zu Familiendisziplin
vor der Mattscheibe angehalten. Allerdings habe ich die heimische Sitzung
verlassen, als ich folgende Sentenz sinngemäß voll verstand. „Wir haben zwei
Handlungsmöglichkeiten. Für eine bleiben uns 24 Stunden Zeit. Dann ist nur noch
eine offen. Ich werde nicht mit Schande weiterleben. Dann lieber eine Kugel
ehrlich in die Stirn.“
Der für mich große Politiker Vaclav Havel hat einmal in
etwa formuliert, dass Politik nicht nur bedeute, das erdenklich Mögliche
umzusetzen, sondern auch das scheinbar Unmögliche einer vernünftigen Lösung
zuzuführen.
Mir erscheint der mit einer scheinbaren persönlichen Entscheidung getarnte Aufruf des Arsenij Jazenjuk zur Erduldung von
Gewalt bis hin zur Todesfolge, um einen Bürgerkrieg auszulösen, eine „Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln“ – wie ich das einmal gelehrt bekam. Für sich kann er das ja gerne entscheiden
–
aber anderen zu empfehlen, das Unwiderbringliche zu opfern
–
das LEBEN
–
erscheint mir denn doch als sehr bedenklich.
Vor den
möglichen Opfern der „Revolution“ habe ich in meinem vergangenen Post gewarnt („Führer
gesucht…“). Nun sind auch sie da. Jazenjuk will offensichtlich weitere. Da muss ich
erneut auf Vaclav Havel zurückkommen – mit einem belegten Zitat: „Ich bin
zutiefst davon überzeugt, dass die Politik kein unredliches Geschäft ist. Und
insofern sie es doch ist, wurde sie von Politikern dazu gemacht.“
Auch habe ich
zu der politischen Aktivität der Opposition formuliert, mir scheint, dass für
die „Zeit nach der Machtübernahme“ keine deutlichen Konzepte existieren.
Letztmalig Havel in diesem Post: „Solange wir um die Freiheit kämpfen mussten,
kannten wir unser Ziel. Jetzt haben wir die Freiheit und wissen gar nicht mehr
so genau, was wir wollen.“ Bestürzend ehrlich – damals. Die Oppositionäre hier
haben – wie mir scheint – noch nicht begriffen, was ich am 18. Dezember 2013 in
„Rathenau aktuell?“ schon schrieb und der deutsche Satiriker Dieter Hildebrandt
sehr knapp formulierte: „Politik ist nur der Spielraum, den die Wirtschaft ihr
lässt.“.
Denn die ukrainische Wirtschaft ist mehr mit dem nördlichen Nachbarn
verzahnt, als vor allem Herr Tjagnibok wahr haben will. Und als Premierminister
– was das Schicksal verhüten möge! – anzuerkennen genötigt wäre.
Bei mir
entsteht der Eindruck, dass im Interview mit dem ukrainischen Journalisten
Olesj Busina seine Gesprächsbasis passend zu „westeuropäischer Demokratie“ war.
Er bezog sich auf die ständigen handgreiflichen Auseinandersetzungen im
ukrainischen Parlament und wies darauf hin, dass er in seinen Artikeln und
Reportagen immer Formulierungen gebraucht hätte, welche bei aller Kritik nie
persönlich verletzend waren. So dass immer die Möglichkeit weiterer fruchtbarer
beruflicher Kontakte erhalten blieb.
Er verwies weiter darauf, dass in keiner
der westlichen Demokratien während Protestdemonstrationen durch Besetzung der
Arbeitsräume von Behörden die tägliche Funktion des gesellschaftlichen Lebens
(Munizipalität) gefährdet wurde. Warum verschlechtern, was so schon nicht ordentlich
läuft... Hierher passt eine Formulierung von Robert Quillen: „Diskussion ist
ein Austausch von Intelligenz, Streit ein Austausch von Dummheit.‘‘
Bleiben Sie
recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger