In der direkten
Übersetzung war das ein Kreuzzug – „Krestny Chod“. Schon hier gehen sprachlich
die Ansichten auseinander. Denn der deutsche – und, soweit ich weiß auch der
westeuropäische Begriff dafür – ist ein Waffengang im Zeichen des göttlichen
Auftrags.
Diese Sichtweise ist seit der Taufe des Kiewer Rus durch Vorbild von Fürst
Wladimir (allerdings laut Berichten für das einfache Volk nicht ganz ohne
Gewalt…) am 28. Juli 988 von der orthodoxen Kirche nie übernommen worden.
Alle Bekehrungen
vor allem von Urvölkern in Sibirien fanden ohne solche Kreuzzüge mit Waffen
statt. Die Ukraine und auch Russland haben diesen Tag zu einem Feiertag erklärt
– erstaunlicher Weise jedoch nicht als arbeitsfrei.
Das, was in diesem Jahr in
der Ukraine stattfand, wurde als wörtlich „Kreuzzug“ bezeichne. Ich erlaube mir
davon abweichend die beeindruckende Wallfahrt als „Pilgerreise für den Frieden
im Lande“ zu bezeichnen. So, wie sie auch durch die Kirchenleitung des Moskauer
Patriarchats benannt wurde – „Allukrrainische Wallfahrt für Frieden, Liebe und
Gebet für die Ukraine“.
Die zweite orthodoxe Kirche im Lande – die des Kiewer
Patriarchats – hat der Demonstration des Moskauer Patriarchats nur eine kurze
Wallfahrt nach Beendigung der vorhergehenden entgegengesetzt. Von der
Wladimirkirche zum Denkmal des heiligen Wladimir.
Also kein Marsch von 25 Tagen
über 700 Kilometer vom Kloster Svatogorsk (Ostukraine) zum Denkmal des heiligen
Wladimir nach Kiew. Oder vom Kloster Potschaewsk (Westukraine) um sechs Tage
geringer und entsprechend weniger Kilometer – aber dennoch beeindruckend.
Die
Organisatoren rechneten mit rund 10 000 Pilgern über die gesamte Zeit der
Wallfahrt.
Was ich außer den eigenen Empfindungen hier anmerken will, sind die
politischen Aspekte der ganzen Vorgänge. Wladimir hat 988 nicht etwa den Übergang
vom recht sündhaften Heiden zum guten Christen einer Eingebung wegen vollzogen.
Wesentlich war: er heiratete die Prinzessin Anna von Byzanz, Tochter des
byzantinischen Kaisers Romanos II. und gewann damit großen politischen Einfluss
in der damaligen Welt.
Heute wenden sich viele Ukrainer auf Grund der
militärischen Ereignisse in der Ostukraine von der orthodoxen Kirche des
russischen Patriarchats ab zur ukrainisch gelenkten. Dieser Bewegung etwas
entgegen zu wirken ist eine solche durch die Massenmedien besonders wirksam in
Szene gesetzte Wallfahrt recht gut
geeignet.
Wenn vor Beginn der Gesänge und Gebete in Kiew je ein noch nicht
14-jähriges Mädchen aus dem Ost-und Westteil des Landes als Beispiel für
Pilgerstandhaftigkeit vorgestellt wurden, eines davon auch noch Geburtstag
hatte und beide von kirchlichen Würdenträgern Erinnerungsgeschenke bekamen, machte
das auch auf die Zuschauer vor dem Bildschirm Eindruck.
Die Betgesänge nach
slawisch-orthodoxer Art wirkten auch auf mich – dank der Stimmen aus dem Chor
des Doms, wenn ich richtig verstand. Erstmalig sah ich, wie der Patriarch vor
seinem persönlichen Gebet die Kopfbedeckung abnahm. Also bei Hinwendung zum
Chef immer formvollendet.
Die Sicherheitsvorkehrungen waren extrem. Jeder Pilger
hatte den Metalldetektor zu passieren, es wurde eine recht bedeutende Anzahl an
Messern eingezogen.
Im Vorfeld hatten die Sicherheitskräfte eine Gruppe von
Extremisten aus der Westukraine abgefangen, deren Ziel eindeutig die
Destabilisierung der Situation war. Wenn ich richtig verstanden habe, gehörten
diese in den Bereich „Rechter Sektor“.
Wichtig war – neben den logistischen
Leistungen – die Vermeidung von Zusammenstößen. Oder von Blutvergießen wie in
einer französischen Kirche.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger