Mittwoch, 31. Dezember 2014

Geschafft!

Die Ukraine hat nun nach zweiter Lesung und Abstimmung vom 29. Dezember 2014 ihr Budget für 2015. Die Tatsache ist positiv zu werten, selbst wenn nur 233 Abgeordnete für das Dokument gestimmt haben. Das sind bei 420 aktuellen "Volksvertretern" knapp über 50 %. Nicht gerade üppig. Wie im vorangegangenen Post mit Bert Brecht formuliert: es beginnen "...die Mühen der Ebene...".
Die ökonomische Situation ist eindeutig eine Krise. Daran haben alle Bereiche ihren Anteil, dazu der "verdeckte Krieg" im Donbass. Die zwar vom Brennwert hochwertige, aber nur mit Subventionen kostendeckend zu fördernde Kohle aus dieser Region fehlt gegenwärtig. Da sind wegen Problemen bei der Einfuhr von dazu noch minderwertigerer Kohle schon die Stromabschaltungen vorprogrammiert. In unserem Hausaufgang war die Zeittafel aufgehängt: von 08 bis 10 Uhr, 16 bis 18 Uhr uns 20 bis 23 Uhr waren veranschlagt. Noch hat allerdings keine Warnung sich bewahrheitet. Denn der in Saporoshe wegen Schäden im elektrischen System  zeitweilig ausgefallene Block des dortigen AKW ist inzwischen wieder ans Netz geschaltet. 
Allerdings hat gegenwärtig der Winter mit Schnee und Frost zugeschlagen. Das könnte nach den Feiertagen, bei Beginn der täglichen Arbeit erneut zu Energieengpässen führen.

Der Oligarch Rinat Achmetov hat für die Ostukraine eine beispielgebende Struktur geschaffen. Der Stab seines Fondes hat etwa 1,5 Millionen Hilfspakete mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und anderen Waren des täglichen Bedarfs direkt an Bedürftige verteilt. Die logistische Sicherstellung ist für mich bewundernswert. Eine Gruppe von Offizieren des ukrainischen Offiziersbundes hat diese Aktion eine gewisse Zeit begleitet und festgestellt, dass sie organisiert und sehr zielgerichtet abläuft, die Pakete wirklich an die bedürftigen Rentner, kinderreiche Familien, Alleinerziehende gelangen. Personalisierte Hilfe also. Die wenigstens Überleben sichert.  

Anschließend an den vorangehenden Post noch einige Bemerkungen zu den USA. Es geht nicht darum, alle Bürger dieses Landes in einen Topf zu werfen. Nur sind die in vielen Artikeln unterschiedlicher Medien genannten Ziffern für mich dazu da, das kritische Gegengewicht zu der lobenden Berichterstattung zu bilden. Das meiste hier stammt, um aktuell zu sein, aus dem vor Kurzem entdeckten http://www.contra-magazin.com 

Offiziell gibt es rund 9 Millionen Arbeitslose in den USA - die Kenner gehen von der doppelten Zahl aus. Die Dunkelziffer kommt deshalb zustande, weil sich schon sehr viele der zahlreichen Langzeitarbeitslosen nicht mehr registrieren lassen. Ukrainer sind erstaunt, wenn ich ihnen von den dort lebenden rund 3,5 Millionen Obdachlosen berichte. Wollen mir das nicht glauben. Dass ebenfalls mehr als 46 Millionen Personen auf Lebensmittelmarken angewiesen sind. Zum Überleben! Im Frieden! Dazu sind fast ebenso viele nicht in der Lage, sich eine Krankenversicherung zu leisten. Werden also häufig, selbst unter Lebensgefahr, nicht einmal notversorgt. 
Die hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen in den USA werden häufig auch von den vielen "eingekauften" Wissenschaftlern erzielt, welche mit vergleichsweise in den Heimatländern großartigen Gehältern und exzellenten Arbeitsbedingungen in die Vereinigten Staaten gelockt werden. Da ist es fast erheiternd, wenn der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazejuk davon spricht, dass in den Jahren der Unabhängigkeit im Lande keine mit dem Nobelpreis gewürdigte wissenschaftliche Leistung erzielt wurde.

Für 2015 würde ich mir wünschen, dass die UA (Ukraine in der Autonummern-Schrift) bei allen Schwierigkeiten doch kein $-Zeichen zwischen die beiden Buchstaben bekäme.

Bleiben Sie vor Allem recht gesund!

Denn dann können Sie Erfolg, Liebesglück, Anerkennung und andere Freuden voll auskosten.
Frei nach Johann Wolfgang von Goethe: "Kein kranker Mensch genießt die Welt." 

Ihr

Siegfried Newiger 


P. S.
Über einen Like oder einen Kommentar würde ich mich freuen...


Montag, 29. Dezember 2014

Arbeitsstress im Parlament...

Die Werchowna Rada, das ukrainische Parliament, tagt in den letzten Tagen fast ohne Unterbrechung. Denn zum Jahresbeginn sollte das Budget für 2015 beschlossen sein. In der Diskussion kam es zu erregten Auseinandersetzungen. Eine Abgeordnete forderte wegen der nach ihrer Auffassung unsozialen Ausarbeitungen der Regierung im Projekt des Dokuments den Rücktritt derselben. 

Wenn ich die Diskussionsbeiträge der populistischen Abgeordneten höre, scheint mir der Wunsch nach einer sozialen Gerechtigkeit à la UdSSR immer noch in deren Köpfen zu stecken. Mit den überall und fast für alle gleichen Einkünften, aber zumindest mit den wie heute gefüllten Warenregalen. Gewohnheiten aus der Vergangenheit sind eben langlebig. 

Die Beobachtungen der Situation in den westeuropäischen Staaten, den USA und so weiter sind hier überwiegend positiv getunt, unterscheiden sich so deutlich von sowjetischer Medienpräsenz. Allerdings sollte den Abgeordneten mehr Information zum Nachdenken zugänglich sein. Es fehlt für mich in ihren Überlegungen grundlegende politökonomische Substanz. Beispielsweise die Tatsache, dass ein jeglicher Staat in erster Linie der Interessenvertreter des in ihm beheimateten Großkapitals ist. Oder wie das der deutsche Kabarettist Dieter Hildebrandt so knapp und treffend, relativ neutral formulierte: "Politik ist nur der Spielraum, welchen die Wirtschaft ihr lässt."

Wenn die westeuropäische Presse besser, weniger subjektiv ausgewertet würde, die Arbeitslosenzahlen etwas genauer interpretiert, die statistischen Zahlen für Obdachlose und an der Armutsgrenze Lebenden kritisch erfasst würden, ergäbe sich daraus für den ukrainischen Bürger ein weit weniger anziehendes Wunschbild "Europäische Union". Lediglich die Auswertung der an der Armutsgrenze existierenden Menschen gäbe Hoffnung: in der Ukraine jeder vierte, in Deutschland nur jeder neunte Bürger. Das macht Mut zum Wagnis - wenn man Spanien und Griechenland übersieht und andere Länder der EU auch.

Wahrscheinlich wird Dirk Müllers mich aufregendes Buch "SHOWDOWN - Der Kampf um Europa und unser Geld" (Verlag Knaur, ISBN 978-3-426-78612-3) hier nicht bald erscheinen. Daraus könnten wache Ukrainer absehen, wohin der Wagen wirklich rollt. Das dann noch zusammen mit den Tatsachen aus Paul Watsons "Bekenntnisse eines Öko-Terroristen" zur Korrektur ihrer Erwartungen nutzen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger 





Sonntag, 21. Dezember 2014

Gegensätzliches...

Genau kann ich das Datum nicht mehr nennen - aber die erwartete Sendung "Zu Gast bei Gordon" mit einem der beachtenswertesten ukrainischen Fernsehjournalisten war wie immer voll Spannung und Überraschung. 
Zumal ich von seinem Gast einiges erwartete. Das war der Chefredakteur des Senders "Moskauer Echo" - Alexej Wenediktow. Mir war bekannt, dass er die russische Politik seit Jahren sehr kritisch und dazu intelligent gekonnt, mit Sachkenntnis begleitete. 
Als profilierter Historiker und Philosoph, hat er in seinem Leben mit extrem vielen hoch interessanten sowie einflussreichen Persönlichkeiten über die Probleme von gestern und heute gesprochen. Seine Bemerkungen zum russischen Präsidenten Putin waren für mich deshalb wichtig, weil dieser von den meisten Ukrainern mit direktem Widerwillen genannt wird (verständlich, denn er ist Oberkommandierender des mit der Ukraine verdeckt kriegführenden Militärs). Mir gefiel, dass Wenediktow den russischen Präsidenten nicht als Apparatschik des Sicherheitsdienstes darstellte, sondern auf die direkte Frage von Dmitri Gordon auch antwortete, dass er bei aller oppositioneller Einstellung zu Putin diesen doch für einen sehr klugen Menschen halte. Auch andere Mitglieder der russischen Führungsebene kamen nicht eben schlecht weg.
Wenediktow verteidigte dabei, ohne das so hervorzuheben, die Haltung, dass man auch einen politischen Gegner nie intellektuell unterschätzen soll. 
Das Gesagte ist auf dem Hintergrund zu sehen, dass der Gast sehr wohl die Probleme für die ukrainische Bevölkerung sieht und eine proukrainische Haltung einnahm.
Die von Gordon wie gewohnt geschickt gelenkte Unterhaltung hatte immer dann ihre Glanzlichter, wenn der Vollblutjournalist Wenediktow mit seinen unerwarteten, stets humorvollen Antworten ein wenig "Unordnung" in die Veranstaltung einbrachte. Eine Sendung, die mir wegen ihrer inneren Wärme Genuss brachte.

Die Abstimmung in der Werchownaja Rada zum Aktionsprogramm der neuen ukrainischen Regierung fiel sehr zugunsten von Ministerpräsident Jazenjuk aus. Allerdings hatte ein wenig die inzwischen etwas mehr sensibilisierte "öffentliche Meinung" doch dafür gesorgt, dass keine 100 % - Mehrheit da war. Denn vor allem der Vorwurf, dass trotz einiger Erleichterungen der so wichtige Mittelstand und vor allem die Bevölkerung mit Einkünften am unteren Level die ökonomische Hauptlast zu tragen bekommen, hat für Nachdenken beim "Mann auf der Straße" und nicht nur dort gesorgt. Von der Vision "EU-Mitgliedschaft" als Retter aus den ökonomischen Turbulenzen wird - nach meiner unmassgeblichen Meinung - doch nicht alles Erwartete reifen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Fehlinformation...

Um aus einem Land mit kriegs- und krisengeschütteltem Leben aktuell zu berichten, darf man sich nicht auf Stückwerk bei der Information stützen. 

In meinem vorhergegangenen Post hatte ich dem General a. D. zugestimmt, welcher eine offensivere Informationspolitik bezüglich der militärischen Wirklichkeit forderte. Von einer zu schaffenden Institution dafür sprach. 
Das hatte ich als eine Art Beirat bei den höchsten Entscheidungsträgern aufgefasst. 

Nun ist doch wahrlich zu genanntem Zweck ein neues Ministerium aus der Taufe gehoben worden. Für Informationspolitik. Das hat eine Reihe von öffentlichen Diskussionen veranlasst. Auch solche der Leute auf der Straße: "Kein Geld für Panzer, aber für Beamte." Etwas härter war es auf den Plakaten zu lesen. Recht achtbare Journalisten fürchten um den Verlust der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit überhaupt. Und ich finde mich erinnert an Orwells "1984" mit dem "Ministerium für Wahrheit" und dessen Neusprech-Erfindung. 

Die Schaffung des Ministerium für  Informationspolitik hat nicht nur wegen der Besetzung des Ministerpostens durch Juri Stez, einen Poroshenko-Vertrauten, auch bei Journalisten aller Medien und in ihren öffentlichen Organisationen eine Protestwelle ausgelöst.

Die öffentlich übertragenen Teile der Sitzung des Ministerrats hat mir bewiesen, dass Ministerpräsident Jazenjuk die Probleme kennt und auch ausspricht. Das kann er noch ohne Einschränkungen, weil er an der Verursachung der meisten von ihnen keinen Anteil hatte. Allerdings wird sein diesbezügliches Polster immer dünner, die Geduld der Gesellschaft nimmt langsam und beängstigend ab. Denn Jazenjuk ist als Premier nun doch schon mehr als 100 Tage im Amt. Sein und seiner Minister Probleme sind doch, die zu hoch gespannten  Erwartungen ihrer Anhänger in so kurzer Zeit zu erfüllen.  
Wenn sogar aus dem Block Peter Poroshenkos Stimmen laut werden, dass das vorgestellte Programm der Regierung kein Meisterstück ist, sondern "chaltura" - also Flickwerk, sagt das schon etwas aus.
Der Abgeordnete der Werchowna Rada Juri Derewjanko sagte gegenüber einem Journalisten von IA REGNUM, dass vor allem die angekündigte Kürzung sozialer Ausgaben die ukrainische Verfassung verletzt.

Es beginnen, um das mit B. Brecht zu sagen, für die neue ukrainische Regierung "...die Mühen der Ebenen."

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Mittwoch, 3. Dezember 2014

Kein GAU...

Sofort nachdem gegen 23.30 Uhr am 02. Dezember 2014 die Meldung über eine Havarie im KKW Saparosje (Ukraine) mit darauf folgender automatischer Abschaltung des Blocks Drei vom allgemeinen Netz an die Massenmedien gegangen war, begannen die Spekulationen. Auch in Deutschland.

Die Kommentare von offizieller Seite in der Ukraine waren spärlich. Vor allem: sie begannen erst am 02. Dezember 2014, obwohl das folgenbehaftete Ereignis schon am 29.11.2014 eingetreten war. Nach meiner Meinung ganz unberechtigt. Denn das erzeugt den Eindruck, dass sowjetische Medienpolitik des gesteuerten Verschweigens auch heute und hier immer noch betrieben wird. Die Menschen im Lande und auch in aller Welt haben nicht vor mangelnder Elektroenergie Furcht, sondern vor den schädigenden und sogar tödlichen Strahlen des Kernbrennstoffes. 
Eine sachlich zutreffende Bemerkung der Art, dass die Havarie die Baugruppen der eigentlichen Erzeugung der Elektroenergie betrifft, die Kernenergieanlage nicht betroffen ist, hätte sofort Klarheit in die Auffassungen von Freund und Feind gebracht. 

Als Ingenieur erlaube ich mir die Meinung, dass eine Formulierung wie "...wir verfügen noch nicht über genügend genaue Informationen..." genannten Spekulationen Tür und Tor öffnen. Der Chefingenieur des Werkes hatte spätestens 60 Minuten nach automatischer Abschaltung des betroffenen Großgenerators die Gründe dafür auf dem Tisch liegen. Mit sofortiger, technisch belegter sachlicher Darstellung hätten die Menschen Vertrauen gefasst. Damit hätte Angst, die das Leben im krisengeschüttelten Land mit unerklärtem, aber echtem Krieg heute ständig begleitet, verringert und nicht angeheizt werden können. Eine Information zur rechten Zeit (keine Echtzeit, aber so kurz wie möglich danach) würde die Glaubwürdigkeit der politischen Führung des Landes auch erhöhen...
Zufällig sah ich am heutigen Abend ein Studio-Gespräch mit einem ukrainischen Generalleutnant a. D. zur Medienpolitik. Seine Formulierung gefiel mir, ich zitiere sie sinngemäß. 
"Die neu geschaffene Institution muss eine offensive Medienpolitik durchsetzen. Ja, es gab im militärischen Bereich Fehler und Mängel. Sie vor dem Hintergrund der deutlichen militärischen Erfolge unserer tapferen Soldaten an der Front überzubetonen, eine Niederlagen-Stimmung zu bestärken, ist ungerechtfertigt."
Das Verhalten der offiziellen Entscheidungsträger ist in diesem Falle alles andere als verantwortungsbewusst.

Um eine genauere Betrachtung zur Sache selbst zu finden, empfehle ich Ihnen  http://maidantranslations.com/2014/12/03/wie-mache-ich-einen-ukrainischen-atomunfall/

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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Donnerstag, 27. November 2014

Stimmung...

Es verwundert deutsche Landsleute nicht selten, dass Slawen recht traurige Ereignisse unter Lachen schildern können. An diese Besonderheit habe ich mich inzwischen gewöhnt.

Deshalb hat mich der unverblümte Kommentar eines Kämpfers an der ukrainischen Ostfront gegenüber einer Fernsehjournalistin nicht gewundert. Sie fragte, ob es denn nicht besonders gefährlich sei, dass der Einheit tschetschenische Söldner gegenüber in Stellung liegen. Er antwortete: "Das sind auch nur Menschen. Allerdings bärtige. Aber wenn wir die greifen, ist der Bart ab - wir rasieren sie." Wahrscheinlich ist dieser Scherz eine versteckte Drohung. Wenn ich mich recht entsinne, ist der Verlust des Bartes für einen erwachsenen Mann dieser Völker eine große persönliche Schande. 

Die bisherige Zurückhaltung der USA bei Waffenlieferungen an die Ukraine kommentierte ein Bekannter so: "Ich wünsche denen, dass sich bei ihnen mal ein paar Staaten von den Vereinigten lossagen, damit sie wirklich mitbekommen, wie das ist."

Eine Verkäuferin hielt mir ihr Mobilgerät unter die Nase und schaltete für mich ein aktuelles Interview mit dem deutschen Außenminister ein sowie auf "Laut". Frank-Walter Steinmeier formulierte darin, dass es für die Ukraine noch ein langer Weg durch Reformen bis zum Mitglied der EU sein. Eine Mitgliedschaft in der NATO sähe er in noch weiterer Ferne. Es dauerte anschließend eine Weile, bis ich sie davon überzeugen konnte, dass die Äußerungen der jetzigen ukrainischen Spitzenpolitiker und ihre eigenen Wünsche nicht erst seit heute etwas auseinanderstreben. Dass auch Präsident und Premier die Erwartungen deutlich als solche definiert haben und dazu schwierige Etappen absteckten. So unterschiedlich sind hier Meinungen und Stimmungen...

Ein weiterer formulierte ziemlich endgültig: 
 
"Vor hundertfünfzig Jahren schon hat Dostojewski etwas formuliert, was heute erneut bewiesen wird: Alles, alles kann man von der Weltgeschichte sagen, was der hirnverbranntesten Einbildungskraft nur einfallen mag, bloß dieses nicht, dass sie vernünftig sei."
 
Da ist wenig zuzufügen.
 
Bleiben Sie recht gesund!
 
Ihr

Siegfried Newiger





Sonntag, 23. November 2014

Volontäre...

Das Wort "Volontär" bekommt man zur Zeit in der Ukraine fast überall und ständig zu hören und zu sehen. 
Seine ursprüngliche Bedeutung ist "Freiwilliger" oder auch "für geringe Bezahlung einen Beruf praktisch Erlernender". Häufig für angehende Reporter gebraucht, die so ihre Eignung für diese Tätigkeit beweisen. 
Hier in der Ukraine sind gegenwärtig die Volontäre fast das Rückrat der ukrainischen Armee. Das erkennen sowohl Präsident Poroshenko wie auch Ministerpräsident Jazenjuk in vielen ihrer offiziellen Verlautbarungen an.
Wesentlich drastischer sagen das die Männer an vorderster Front. Sie formulieren nicht selten, dass die Sicherstellung mit militärischen Verbrauchsgütern (Uniformen, kugelsicheren Westen, Helmen, Schuhwerk...) durch das ukrainische Verteidigungsministerium absolut unzureichend ist, die Truppenverpflegung fast ausschließlich durch die Volontäre gesichert wird. Auch an der medizinischen Betreuung der Verwundeten haben die Volontäre - unter ihnen allen extrem viele Frauen - überragenden Anteil.

Es ist bewundernswert, wie die meisten Ukrainer und Ukrainerinnen sich für ihn einsetzen, ungeachtet der Tatsache, dass ihr Staat die Krise, geschaffen durch oft unzweckmäßige politische Führung in den Jahren der Unabhängigkeit, noch nicht überwunden hat. 
Wer hier erwartet, dass ich die Verantwortung allein dem geflohenen Herrn Janukowitsch zuordne, geht verkehrt. Ich bleibe bei meiner im Satz darüber geäußerten Meinung, da der erste Präsident der Ukraine nach Zerfall der Sowjetunion selbst im Fernsehen sagte: "An dieser Situation sind wir alle Schuld!" Seine Präsidenten-Kollegen schauten dazu betreten in die Talk-Runde der Vier. 

Zurück zu den Volontären. Ein Beispiel für viele. Einprägsam, so dass es für russische Politiker eine Warnung sein könnte. Ein Ehepaar aus dem ukrainischen Mittelstand gab sein Geschäft an andere. Opferte einen großen Teil seiner Ersparnisse für an der Front notwendige Dinge. Der Mann wurde "Voll-Volontär" in meiner Auffassung. Er kämpft als Freiwilliger. Seine Frau ist bei der Einheit bekannt - sie versorgt diese als ebenso achtenswerter Volontär. Hier könnten noch viele Beispiele zu lesen sein. Das änderte nichts daran, dass trotz beginnendem Schneetreiben auch heute wieder die Volontäre ihre sich selbst auferlegte Pflicht verantwortungsbewusst erfüllen werden. Wünschen wir ihnen Erfolg und dass ihr aufopferungsvoller "Dienst an der Heimat" in dieser Form bald unnötig wird. 
Frieden und Gesundheit ihnen allen!

Bleiben auch Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




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Freitag, 21. November 2014

Alternativen?

Die wesentlichsten Entscheidungen zum erklärten Beginn ukrainischer Reformpolitik sind gefallen. Der neue Präsident handelt aus meiner Sicht vernünftig. 
Es existiert ein neues Parlament. Auch eine neue Regierung wird es bald geben. Selbst an den äußeren Bedingungen hat sich einiges positiv verändert. 
Allerdings ist der unerklärte Krieg in der Ostukraine mit der dort sehr deutlich nachweisbaren aktiven russischen Unterstützung noch immer nicht beendet. Wenn die USA aller Wahrscheinlichkeit nach in absehbarer Zeit für die ukrainischen Streitkräfte modernste Waffen liefern werden, weitet sich der Konflikt auch noch zu einem Versuchsfeld für Militärtechnik aus. Das lässt die "Hinauszögerung" eines friedlichen Endes durch politisch einsichtige Handlungen für mich noch wahrscheinlicher werden. Weil die Hintermänner des Konfliktes und die beteiligten militärindustriellen Konzerne auf möglichst viel auswertbare Ergebnisse (Tote, Verwundete, Zerstörungen...) warten. 
Dazu kommt die ökonomisch sinnvolle Verweigerung der ukrainischen Seite für Zahlung von Gehältern, Löhnen und Renten an Bewohner der Gebiete, welche vom Krieg überzogen sind. "Wer den Separatisten und ihren Helfershelfern folgt, soll sich von denen auch den versprochenen Lebensunterhalt sichern lassen." Sinnvoll, um inneren Widerstand zu provozieren. Der schon merkbar wurde. Unverantwortlich, wenn man die vielen Menschen betrachtet, welche die Kampfgebiete nicht verlassen können...  
Habe ich, haben Sie Alternativen?

Der Aufruf in Medien nach neuen Sanktionen, z. B. nach einem zeitweiligen Überflugverbot europäischer Staaten für russische Zivilflugzeuge, könnte nach Verwirklichung solche Präzedenzfälle schaffen, welche ihren heutigen Befürwortern morgen auf die eigenen Füße fallen. Wie immer wird vergessen, dass in unserer Welt immer die Polarität wirkt, jede Medaille zwei Seiten hat.

Morgen will ich etwas zu den Volontären posten. Sie sind die hier gegenwärtig am häufigsten genannten und auch wirkungsvoll handelnden Persönlichkeiten.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger 




 

Sonntag, 16. November 2014

Troubadur in Odessa

Am 11. November waren wir in Kiew, um nacheinander einige Freunde zu treffen, ebenfalls sachliche Dinge zu klären und außerdem den Busfahrschein nach Odessa zu kaufen. 
Unsere Freundin Xenia berichtete von ihrem Weg in die Ferne - sie hat in Lugansk ihr eben endlich bezahltes kleines Haus verlassen, ihren Eltern in Obhut gegeben und ist mit Familie in die Nähe von Kiew geflohen. Von ihr habe ich erfahren, welche Einbußen sie und Freunde sowie Verwandte durch die "regulierenden Maßnahmen" der Separatisten und ihrer Hintermänner erlitten. 
Auch die relativ hohe Beteiligung an den "Wahlen" wurde durch die gleichzeitige Koppelung an die Vergabe von Rentenberechtigungen, Lebensmittelkarten und außerdem von Berechtigungsscheinen für medizinische Behandlung erreicht. 
Perfider geht es bald nicht mehr. Personen, die nichts anderes sein wollen als ukrainische Staatsangehörige, die sie bisher waren - also nicht zu den Wahlen gingen, werden ökonomisch abgestraft! Sollen sie durch Hunger und fehlende medizinische Betreuung langsam und sicher die ukrainische Diaspora ausdünnen?

Mit meinen Freunden in Odessa, bei denen ich seit dem Abend des 13. November zu Gast bin, herrscht auch eine angespannte Stimmung. Sie haben ebenfalls Familien aus den Krisenregionen in der Nähe und authentische Informationen zu den Bedingungen dort vor Ort. Aber sie wollten dem Gast doch etwas mehr bieten als nur politische Gespräche. 
Nach einem Spaziergang auf einer Uferstraße parallel zum Badestrand "Lansheron", gingen wir in das dem Cafe "Mozart" gegenüber gelegene Cafe "Salerie". 
Die bestellten Getränke und Desserts waren vom Feinsten. Ich hatte einen Sanddornbeeren-Tee mit frisch gepressten Sanddornbeeren darin - köstlich. 
Anschließend begaben wir uns rechtzeitig in das nahe gelegene Opernhaus. Architektonisch entworfen von einem Wiener Architektenbüro. Die Innenräume im Rokoko-Stil, für mich zwar beeindruckend, aber nicht extrem herrlich.  Die Besucher zahlreich und unter ihnen viele Jugendliche. Positiv. Zur Qualität der Vorstellung: die meisten Solisten, Chöre und Orchester erstklassig, insgesamt ein Erlebnis.

In der Mitte der Aufführung etwa blitzartig ein gedanklicher Vergleich. Auf der Szene die Forderung, jemanden zu töten, blitzende Schwerter wurden geschwenkt. Die Gedanken fliegen über hunderte von Kilometern. Dort in den Gebieten von Lugansk und Donezk liegen die Jungen frierend in Schützengräben mit dem Auftrag, andere gegenüber zu töten. Hier künstlerische Erhöhung der Spannung - dort blutige Wirklichkeit. Eine bizarre Gedankenverbindung. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

Sonntag, 9. November 2014

Einigkeit und Recht und Freiheit...


Es werden immer weniger von denen, die wahrhaft Bilanz ziehen können. Weil sie sowohl Beginn als auch Ende eines geschichtlichen Abschnitts bewusst erlebt haben. Was dennoch viel wichtiger ist: sind sie dazu bereit, eine möglichst durch ganz persönliche Vorlieben unverfälschte Einschätzung zu geben? Da habe ich selbst an mir so meine Zweifel… 

Etwa eine Woche vor der berühmt-berüchtigten Erklärung zur „Reisefreiheit“ von Günter Schabowski aus dem Zentralkomitee der SED fuhr ich abends an einem Sonntag durch Berlin-Weißensee. Zu einer Zeit, als selbst die absoluten Hardliner der „Partei“ in der DDR von den Montagsdemonstrationen in Leipzig und anderswo wussten. Als die Öffnung der Westgrenzen in Ungarn geschehen war. Danach Züge voll „DDR-Übersiedlern“ aus den im „Warschauer Vertrag“ verbündeten Ländern in die Alt-Bundesländer fuhren.
In einem Hauseingang sah ich zwei Schüler unserer Berufsschule mit brennenden Kerzen in den Händen stehen. Zwei von jenen, die sich gewöhnlich nicht äußerten, wenn die Diskussion auf politische Vorgänge kam – beispielsweise im „Lager für vormilitärische Ausbildung“, in das Lehrer und Schüler der Betriebsberufsschule regelmäßig jedes Jahr einmal im Spätherbst fuhren. Zwei Tage später bekam ich von einem Kollegen den Aufruf des Neuen Forum´s – obwohl ich ehemals Offizier war und Mitglied der SED. Ein Vertrauensbeweis?

Zur Großdemonstration am 04. November 1989 war ich gegangen. Es ging mir wie vielen in der Kolonne um eine „bessere DDR“. Aber auch die Variante „Deutsche Einheit“ habe ich wie viele überlegt, jedoch nicht gefordert. 

Die DDR war das Land der Jugend jedes Einzelnen, der in ihm geblieben war. Der Staat an dessen Lebens-Bedingungen sich die meisten seiner Bürger mehr oder minder geschickt angepasst hatten. Ich unter ihnen. Wie heute hier und überall. 
Die Revolutionäre sind immer wenige. Ihre Vorstellungen sind wohl hin und wieder neu – nur nicht so umzusetzen, wie ausgedacht. Denn die Organisation des staatlichen, gesellschaftlichen Zusammenlebens geht am Ende immer auf die „Staatsgewalt“ hinaus, welche laut Grundgesetzen und Verfassungen fast in aller Welt demokratisch „vom Volk“ ausgeht. 
Wenn dann jedoch „das Volk“ zu regieren beliebt, gibt es die „aktive Kritik“ von der Straße. Selten von Sachkenntnis geprägt, vorwiegend von unerfüllbaren Wünschen. 

Die Nacht vom 09. November zum 10.11.1989 war die vieler Illusionen. Nach der Sondermeldung im Fernsehen von 19.43 Uhr. Überschäumende Freude nicht nur am Grenzübergang Bornholmer Straße, und nicht nur in Berlin damit verbundene Erwartungen.

Meine Töchter waren ungeduldig, gingen mit Erlaubnis in den Westen, kamen müde und mit weniger Knöpfen an ihren Mänteln zurück. „Wie billig dort der Bohnenkaffee ist und die Strumpfhosen.“ „In einiger Zeit werden Mieten und anderes das Geld für teurer werdenden Kaffee und auch Strumpfhosen schon auffressen.“ „Bei deiner Vergangenheit musst du ja meckern.“ 

Die Ernüchterung hat eine Generation gedauert, die 25 Jahre bis heute. 
Denn in aller Welt war niemand auf diesen Sprung in der Entwicklung vorbereitet. Nach eigenen, heute vergessenen Bemerkungen hatte auch die Bundesregierung kein Konzept für eine solche überraschende Situation. Das alte Rezept hieß aktuell, dass im Osten blühende Landschaften geschaffen würden. Und das erwartungsvolle Volk glaubte auch an diese Version – wie vorher lange an die vom selig machenden Sozialismus. 

Hat sich inzwischen auch mit nicht mehr so verschleierter Arbeitslosigkeit abgefunden. Die höher ist als in den so genannten „alten Bundesländern“. Weil für die blühenden Landschaften viele uralte Fabriken geschleift werden mussten. 

Ja, es gibt jene, die durch Helfer im Machtapparat der DDR Unrecht erlitten. Allerdings wird übersehen, dass wesentlich mehr Bürger in der DDR auch durch staatlich gelenktes Recht nicht gelitten haben. Sondern gelebt. Mit allen Sorgen und Freuden eines menschlichen Lebens. 
Übersehen wird, dass mit „Gott Westgeld“ (heute Euro) nette kleine Anhängsel zu den erklärten „westlichen Werten“ Freiheit und Demokratie dazu kamen wie wachsende Armut, Pornographie, Prostitution, Drogenkonsum, Kidnapping, Terrorismus  und dergleichen. Aber Licht ist ohne Schatten eben nicht zu haben. Gewöhnliche Physik. 

Nun wird in meiner Ehefrau Heimatland erneut eine Mauer errichtet. Um zwei slawische Staaten gegeneinander abzuschotten. Für ein Vierteljahrhundert reicht meine Lebenskraft nicht mehr. Aber ich bin sicher, dass diese durch unvernünftiges Handeln einer Seite des Konflikts in der Ostukraine provozierte Abgrenzung eines Tages fällt. Unnötig war aus vernünftiger Sicht. Aber erforderlich im Zwischenstadium, welches diese Situation charakterisiert. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger

P. S. vom 10.11.2014, morgens

Natürlich hätte ich besser formulieren müssen. In der Ukraine wird nicht erneut eine Mauer aufgebaut. Fehlende Grenzbefestigungen nach Nordosten haben die heutige Situation für Separatisten und deren Hintermänner begünstigt. Deshalb wird in der Welt erneut eine Mauer gebaut. Diesmal in der Ukraine.  

S. Newiger







Samstag, 18. Oktober 2014

Nur noch ein Zehntel...

Gestern in einer Morgensendung auf einem Kanal des ukrainischen Fernsehens gab es einen für mich extrem interessanten Auftritt. Der ehemalige Generalstabschef der ukrainischen Armee von 1996 bis 1998, Generaloberst Lopata, gab einige genaue Informationen zur militärischen Stärke des Landes bekannt. Zum Moment des Übergang zur Unabhängigkeit des Landes befanden sich auf seinem Territorium rund 720.000 Militärangehörige aus der Sowjetarmee. Als er Generalsstabschef war, ist der Bestand bei etwa 270.000 Militärs gewesen. Zu Beginn 2014 hatte die ukrainische Armee nur noch eine Personalstärke von rund 70.000 Personen. 
Die territoriale Größe des Landes macht ein stehendes Heer von etwa 220.000 Soldate und Offizieren nötig. Als absolutes Minimum sollten 120.000 Soldaten unter Waffen stehen.
Gegenwärtig sind die Luftstreitkräfte praktisch nicht einsatzbereit, weil die meisten Flugzeuge aller Typen ihre Sollbetriebszeit seit 1990 vorwiegend auf den Flugplätzen stehend ausgenutzt haben. Mittel für erforderliche Reparaturen oder Modernisierung sind nicht zugeteilt worden. Ähnlich sieht die Situation bei der Luftabwehr aus - vor allem ist die Technik überaltert. 
Aus diesen Tatsachen zog der General in Reserve einen logischen Schluss: der neue Verteidigungsminister hat weniger die Korruption in den Reihen der Armee zu bekämpfen, wie der Oberbefehlshaber und Präsident es als Aufgabe des Ministers bezeichnete, sondern aus militärischer Sicht in erster Linie eine wirklich neue, unbedingt gefechtsbereite Armee zu schaffen. Die alle Aufgaben aktiver Landesverteidigung in materieller und organisatorischer Hinsicht erfüllen kann. 
Letzteres untermauerte er in einer Abendsendung mit dem Fakt, dass die Armee auch in der "Zone antiterroristischer Handlungen" nur eine untergeordnete Rolle spielt. Denn die Leitung dieser eigentlich rein militärischen Aktion hat der Stellvertreter des Sicherheitschefs des Landes - der militärische Generalstabschef ist dem untergeordnet. Eine wichtige militärische Aufgabe wird im Prinzip durch zwei Stellvertreter geleitet. So wird die Informations- und Entscheidungskette unnötig verlängert, das Prinzip persönlicher  Verantwortung unzulässig unterhöhlt. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Alles erlaubt?

Es ist in der Ukraine nicht ruhiger geworden. Die Bürger wurden zwar politisch aktiver, aber auch unberechenbarer. Der Abstand zwischen offiziellem Kiew und "dem Mann von der Straße" hat sich nach meinem Eindruck nicht verringert. Im Gegenteil. 
Der nach außen ruhig wirkende Präsident dürfte diese Probleme wohl sehen. Allerdings hat ihn der Ansatz zu politischer Reform einen Teil formellen Einflusses gekostet. Dennoch versucht der erfahrene Manager das schlingernde Staatsschiff zwischen vielen Klippen durchzulavieren. Im Ministerpräsidenten Jazenjuk hat er nach meinem Empfinden einen zähen und fähigen Verbündeten. Der neue, gestern von der Rada bestätigte Verteidigungsminister macht ebenfalls einen entschlossenen Eindruck. 

Im Gegensatz zu den wohlüberlegten Äußerungen und Handlungen der obersten Entscheidungsträger gibt es die an eine gewisse Schicht Sympathisanten gerichteten Aktionen des "Rechten Sektors". Der einen in Westeuropa stark beachteten Videoclip über die Aushebung der kleinen Drogenküche mit der nicht als zart zu bezeichnenden Behandlung der "Köche" als einen Akt der erforderlichen "Volksgerechtigkeit" darstellte und ganz folgerichtig am nächsten Abend ein illegales Spielkasino "liquidierte".

Die Kommentare der verantwortlichen Entscheidungsträger: "Die Selbstjustiz sollte aufhören. Alle Handlungen zur Abschaffung der genannten Erscheinungen hätten im rechtlichen Rahmen zu erfolgen." In Wahlzeiten bringt auch "schwarze PR" den Extremisten Stimmen. 
Weil die im Osten des Landes in ihrer Intensität abflauenden kriegerischen Aktionen für die rechten politischen Gruppierungen den zeitweiligen aktuellen PR-Vorsprung zunichte machen, geht man nach anderem Muster vor. Als Deutscher sehe ich eine Parallele zur "Stimme des Volkes" vor rund 80 Jahren in meiner Heimat. Die ebenfalls ihre Hintermänner hatte.

Gern würde ich erfahren, wer am Vorabend des hier neuen "Tag des Vaterlandsverteidigers" den Marsch der unzufriedenen Nationalgardisten auf Kiew ausgedacht und organisiert hat. Für den Wunsch vieler Soldaten, nach 18 Monaten Dienst in den Streitkräften, zuletzt in der Nationalgarde und sogar an der "Ostfront" sein Recht auf Demobilisierung erfüllt zu bekommen, habe ich als Offizier volles Verständnis. Sich aber aus seiner militärischen Einheit unerlaubt zu entfernen und auf den Protestmarsch zum Amtsgebäude des Oberbefehlshabers zu machen - das fasse ich als soldatische Pflichtverletzung auf. Im Zeitalter des Handys sind solche Aktionen überraschend organisierbar. 
Dass zum Schutz der Ordnung die nicht mit Palmzweigen ausgerüsteten "Ordnungshüter" ihren einstigen Kollegen in anderem Dienstverhältnis gegenüber standen, ist wenig angenehm. 

Am Nachmittag des 14.10.2014 zogen dann andere Kräfte auf. Viel radikaler in ihren Forderungen nach Wertschätzung der UPA, der einst mit der faschistischen Armee verbündeten "nationalen Kräfte" dieses Landes. Dazu mit etwas zu Werke gehend, dass sich nur mit Mühe als "Feuerwerkskörper" bezeichnen läßt. Bei den von diesen Demonstranten provozierten Zusammenstößen floß dann auch ein wenig Blut und wurden einige Rädelsführer festgesetzt. Ob das noch etwas mit den berechtigten Forderungen des Maidan zu tun hat, wage ich zu bezweifeln.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger
   




Montag, 29. September 2014

100 Tage...

Für mich war der mittendrin (der Wahlkampfbeginn läßt grüßen!) im Interview des ukrainischen Präsidenten Pjotr Poroshenko anlässlich seiner ersten 100 Tage nach dem Amtsantritt eingeblendete, für diese Ausstrahlung gewählte Titel überraschend und interessant: "Krieg um den Frieden". 
Wer immer diese an den bekannten Roman angelehnte Bezeichnung vorgeschlagen hat, erledigte seine PR-Aufgabe recht gut.
Die Antworten von Präsident Poroshenko auf die Fragen zum Thema waren einleuchtend. Für mich. Einzelne Ukrainer sehen das anders. Ein ehemaliger höherer Offizier formulierte mir gegenüber, als ich im Gespräch Poroshenkos Verhandlungsbereitschaft lobte: "Schwach. In den Lagern bei Lwow und Charkov liegen genügend wirksame Waffen, mit denen er die Separatisten aus der Ostukraine herausbomben lassen könnte." 
Aber für mich ist das Ziel des Präsidenten eindeutig, so wenig wie denkbar menschliche und materielle Verluste durch eigenes Handeln zu provozieren. Er formulierte, dass bei seinem Amtsantritt viele in der ukrainischen Gesellschaft nicht an eine Feuereinstellung im "Gebiet der Antiterror-Einsätze" geglaubt hätten. Heute wäre diese Wirklichkeit. Dank der tapferen Verteidiger des Landes und ebenfalls ununterbrochener diplomatischer Bemühungen. 

Die folgende Bemerkung fand ich besonders wichtig: "Ich bin doch bereit, wenn das nur eine kleine Chance für die weitere Feuereinstellung an beliebigem Abschnitt gibt, mit Vladimir Vladimirowitsch (Putin - nicht im Text, von mir ergänzt) direkt zu verhandeln. Dann ruft der Chef meiner Administration eben bei Herrn Iwanow an und es wird ein Termin vereinbart." Für die Slawen ist diese Form der Anrede des Verhandlungspartners einzig mit den Vor- und Vatersnamen unterschwellig ein psychologisches Signal - lass uns reden.

Die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine durch die meisten Staaten der Erde hätte dazu geführt, dass die Unterzeichnung der Assoziationsvereinbarung mit der EU so rasch und auch so synchron in Brüssel und Kiew stattfand.

Ebenfalls in der UNO, beim amerikanischen Präsidenten und vor den Abgeordneten des USA-Kongresses sowohl auf dem Summit der NATO hätten er und andere ukrainische Politiker festgestellt, dass das Vertrauen in die Ukraine in der Welt gewachsen ist. Auf ihre weitere demokratische Entwicklung trotz vielfältiger vorhandener Probleme. Auf die angebahnten Reformen aller Art. Dass darauf mit Präferenzen im Handel reagiert wurde, die außergewöhnlich sind.

Für mich ein Interview mit hohem Niveau. Auch, wenn mancher das anders sieht.

Mich erinnert es ein wenig an einen klugen Satz des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer: 

"Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre."



      
Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger