Dienstag, 25. Februar 2014

Nietzsche lässt grüßen


           Daheim in der Ukraine bin ich gegenwärtig in Opposition. Das ist bedauerlich. Denn eins ihrer Ergebnisse ist nicht selten Streit. Der Austausch von Dummheiten. Dabei liebe ich die Diskussion – den Austausch intelligenter Argumente.
              Nicht, dass meine Frau keine Argumente hätte. Aber ihre Sichtweise ist heute mit den vorgefertigten Meinungen aus fast allen Massenmedien doch zumindest sehr nationalistisch geprägt.
           Nicht jedoch so intensiv wie bei Herrn Tjagnibok. Gestern Abend, am 24.02.2014 gegen 18.30 Uhr Ortszeit, kam ich ungewollt im Fernsehen dazu, als er im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, von seiner Fraktion „Freiheit“ (Swoboda) vier Anträge zur Beratung von Gesetzesentwürfen stellte. Welche aus den Vorstellungen seiner Anhänger stammen – wie ich erfasste. Sie folgen hier – wenn auch nicht in der Reihenfolge wie von ihm vorgetragen und auch nicht im Wortlaut. Aber im Sinne nicht verfälscht!
         Es ging in ihnen um: a) Die Vernichtung aller materiellen Güter, welche in der Ukraine an die Sowjetherrschaft erinnern; b) Die Erlaubnis für alle, die das wünschen, Waffen zur Selbstverteidigung zu führen; c) das Verbot kommunistischer Ideologie in der Ukraine; d) die Errichtung einer Gedenkstätte für alle Helden der Ukraine (Pantheon).
         Hier geht es mir nicht um die Rettung von nach damaliger offizieller Vorgabe gestalteten Lenin-Denkmalen. Wo der Herr Uljanow fast immer als eine Art Wegweiser dargestellt ist. Sondern darum, dass begonnen wird, einen Scherz wahr zu machen: was ist der Unterschied zwischen Gott und einem Historiker? Gott kann die abgelaufene Geschichte nicht verändern.
        Die einfache Auslöschung von über 70 Jahren Geschichte statt ihrer kritischen Wertung (die Positives einschließt) ist für mich nicht sinnvoll. Sie erzieht unter anderem Vorzeichen erneut eine Nation, die doppelte Standards einhält. Also nach jeweiliger Sachlage lügt!
             Zur Ausrüstung eben dieser Nation mit Schuss-, Hieb- und Stichwaffen in gewünschter Menge: die dies praktizierenden USA  sind nachweislich weniger das Land der herrschenden Rechtssicherheit, sondern jenes mit dem größten Anteil an Gefängnisinsassen je 100.000 eigener Einwohner unter allen Ländern dieser Welt. Die mit Schusswaffen dort regelmäßig verübten Massaker an unschuldigen Personen haben auf die Rechtsvorstellungen dortiger Entscheidungsträger und neu dazu kommender in der Ukraine sichtlich wenig Einfluss.
              Das Argument: die Opfer des Maidan – vor denen ich mich verneige – wären bei anfänglich mehr Waffen „in den Händen des Volkes“ nicht möglich gewesen – ist für mich spekulativ und populistisch. Wie sollen in Zukunft eben diese Waffen unschuldige Tote durch Attentäter aus diesem so großzügig „bewaffneten“ Volk verhindern?
            Logisch doch eher, wenn sie nicht einfach greifbar sind – oder? Dass kein beleidigter Schüler oder abgewiesener Liebhaber gleich in seinem Affekt dran kommt? Geschweige denn Terroristen und Anarchisten.
         Nun zum Verbot „kommunistischer Ideologie“. Es scheint hier unklar zu sein, dass dort, wohin angeblich das nun freie ukrainische Volk strebt, nämlich in Westeuropa, kein Verbot dieser Ideologie existiert. Wer besseres weiß – bitte mich berichtigend kommentieren.
         Denn es ist viel freiheitlicher, Parteien zuzulassen, welche solche Vorstellungen öffentlich äußern, als sie in den Untergrund zu treiben und dann durch Geheimpolizei beobachten zu lassen. Was man ja angeblich ablehnt…
        Es ist nicht auszuschließen, dass eben gerade in fachlichen und sachlichen Fragen die Opposition bessere Argumente hat. Besonders diese argumentative Überlegenheit gibt die gestrige Opposition heute ja vor -  sie hätte schon gestern alles besser gewusst.
           Damit ist die Bestrebung,  von vornherein beliebige potentielle Opposition mit einem Verbot aus aller Diskussion auszuklammern, selbst unter diesem Gesichtspunkt absolut kurzsichtig.
           Zuletzt: die Errichtung eines Pantheons für die Helden der Ukraine. Einverstanden. Wenn das wirklich die Helden sind. Ob dazu Stepan Bandera  gehören darf, der wegen eines politischen Mordes von polnischen Richtern zur Todesstrafe und später zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, ist für mich fraglich – wenn ich demokratische Wertvorstellungen einbringe.
          Aber die Sieger des Maidan haben das Recht der Sieger auf eigene Interpretation. Wie sagten schon die alten Römer: “Wehe den Besiegten.“
         Was hat das alles mit Nietzsche zu tun? Er formulierte einst: "Man kann einen Jüngling nicht einfacher verderben, als wenn man ihn veranlasst, den Gleichdenkenden höher zu achten als den Andersdenkenden."  

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr 

Siegfried Newiger






Montag, 17. Februar 2014

Zweiter Lenin?


          Es ist schon etwas Eigenes, wenn du den Leuten vor Ort in der Ukraine als Bundesbürger bekannt bist. Außerdem als jemand, der die letzten 65 Jahre deutscher Geschichte und ihre Verflechtung mit der sowjetrussischen einigermaßen kennt. Weil er sie mit erlebt hat.
        Allerdings ist die sofortige Antwort auf die Frage (aus der Überschrift) bei einem unerwarteten Treffen während des Morgenspaziergangs nicht gleich zu geben. Weil sie so ganz unerwartet kam: „Wie gefällt dir unser neuer Lenin?“
         Denn ich verstand sie nicht. Meine Rückfrage wurde mit nachsichtigem Lächeln akzeptiert. „Wer hat denn unter unseren Politikern einen so ähnlichen und charakteristischen Glatzkopf?“ Das ahnte ich schon – aber warum gleich Lenin?
         Mein Gesprächspartner half mir auf die Sprünge: „Wer holte sich gestern Rat und Geld für die Maidan-Revolution von den Deutschen? Alles in der Geschichte wiederholt sich, sagt man. Beim zweiten Mal gewöhnlich als Farce.“
        Nun war ich genügend vorinformiert, um mich in die ungewöhnliche Denkweise meines ukrainischen Gegenübers einzufühlen. Weil ich mich nicht weiter in die hiesigen Dinge hatte einmischen wollen, kamen die jetzt so maskiert auf mich zu.
         Die deutsche Kanzlerin erledigt heute im Auftrag der EU das, was vor rund 100 Jahren durch den deutschen Kaiser über seine Mittelsmänner geregelt wurde. Damals nur in deutschem Interesse, heute im „gesamteuropäischen“.
       Eine durch offizielle politische und wirtschaftliche Anbindung der Ukraine an die durch Russland dominierte eurasische Zollunion (selbst wenn sachlich von dort nicht so gewertet) könnte diese Vereinigung so stärken, dass sowohl von Westeuropa als auch von den USA alle Anstrengungen unternommen werden, um diese Idee nicht wie geplant Realität werden zu lassen.
       Dem russischen Präsidenten, der in Sotschi mit der Winterolympiade gerade viele Punkte sammelt, doch noch in die heimische Kohlsuppe spucken.
         Dass sich dabei die Partner EU-USA mit ihren eigenen Problemen wie Abhören und Krisenmanagement sehr schwer tun und gegenseitig behindern, liegt ja wohl in der Natur der gesellschaftspolitischen (kapitalistischen) Sache. Es bleibt doch unbestreitbar dabei: das Prinzip vom ökonomischen „Fressen oder gefressen werden“ existiert weiter, wie man die harte Konkurrenz auch verniedlichend beschreiben mag.
        Es würde mich für meine ukrainischen Nachbarn und Freunde freuen, wenn meine recht pessimistischen Voraussagen für eine Anbindung dieses Landes an Westeuropa nicht in Erfüllung gehen – sondern das Gegenteil.
          Aber schon 2008 haben Bosnien und Herzegowina die Assoziationsvereinbarungen mit der EU unterschrieben. Wo stehen sie heute? Die Situation für Griechenland, Portugal und Spanien (nach Alphabet geordnet) oder die Lage in anderen Ländern des Konglomerats EU sind bei weitem nicht nur mit „Krisenfolgen“ zu beschönigen.
       Einziger Lichtblick im Zusammenhang mit der Delegation bei der deutschen Kanzlerin: Herr Tjagnibok war nicht geladen. Darüber dürfte er aber nun „geladen“ sein. Um im Weiteren zu beweisen, dass man mit ihm rechnen muss… Wenn auch mit anderem Vorzeichen…

       Dass ich für die Lösung des hiesigen „gordischen Knotens“ keinen Vorschlag habe, aber hoffe, dass die mit dem Schwert nicht angewendet wird, muss ich selbstkritisch dazu sagen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







Mittwoch, 12. Februar 2014

51. Bundesstaat der USA?


          Dieser Post kann mir Ärger sogar bei gutwilligen Lesern machen. Aber langsam verliere ich die Geduld. Weil die Zerrereien nicht gut für die UkrainerInnen sind!
         Nachdem Vitali Klitschko einen Rückzieher machte, gibt es natürlich Diskussionsstoff. Erst war von einer Herausforderung zur freien Debatte mit Präsident Janukowitsch die Rede. Habe ich selbst gesehen, gehört und verstanden – so viel Ukrainisch bringe ich schon. Als der wider Erwarten zusagte, ging Vitalij in die zweite Runde: nur mit der Privatperson Janukowitsch würde er reden. Nach dessen Rücktritt als Präsident. Wozu mit einem machtlosen Politiker diskutieren? Leuchtet mir nicht ein – und anderen auch nicht. Seit wann kämpft Klitschko gegen Leichtgewichte?
          Nun aber zur Überschrift zurück. Ein sehr humorvoller Ukrainer bot mir eine Variante des alten Witzes an: die Ukraine erklärt Deutschland sofort den Krieg und ergibt sich am nächsten Tag kampflos unter Abtretung des gesamten Staatsgebietes an eben diesen Gegner. Nur diesmal wie gesagt in einer Variante.

           Wenn sich jetzt schon  zwei nicht unbekannte US-amerikanische Politiker (Assistant Secretary of State, Abteilungsleiter im Außenministerium der USA  Victoria Nuland und der US-Botschafter in der Ukraine Geoffrey R. Pyatt) sehr unverblümt darüber austauschen, dass Herr Jazenjuk wegen seiner ökonomischen Kompetenz als Regierungschef der Ukraine in Frage käme, Vitalij Klitschko aber in der Regierung keine Position besetzen sollte – dann sieht das aus, als ob die Rede von dem 51. Bundesstaat der USA wäre (s. Internet, auf Wikipedia zu Nuland auch zu finden).
    Denn 1912 kam New Mexiko zu diesem Staatenkonglomerat, 1959 Alaska und Hawai. Wer will, kann googlen. Weil aber die Ukraine angeblich danach strebt, nach westlichem Muster zu leben – und was ist westlicher als die USA – könnte sie doch wie das entfernte (militärisch unterworfene) Hawai den Antrag stellen, Bundesstaat der USA zu werden. Direkt und ohne Umwege.
        Mein Gesprächspartner wies darauf hin, dass das staatliche Autokennzeichen der Ukraine „UA“ ist, in den Kürzeln für US-amerikanische Bundesstaaten noch nicht besetzt. Sachlich fehlt nur Geld – es könnte also einfach durch ein „U$A“ dokumentiert werden, dass die Ukraine sich an den Staatsschulden der USA aktiv beteiligt. Dann wären weder Kredite von Russland noch von der EU nötig.
     Die sehr verschiedenen Wünsche der sehr unterschiedlichen Ukrainer nach Unabhängigkeit werden durch die Verfassung der USA auch garantiert. Jeder Bundesstaat hat ein eigenes politisches System, eine eigene Verfassung, einen direkt gewählten Gouverneur…
       Dass die USA andererseits den höchsten Anteil einsitzender Häftlinge aufweist, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, lässt sich bei der allgemeinen Freiheit sicher übersehen.
          Da sich Madam Nuland gegenüber der EU auch noch nicht besonders salonfähig – eher saloongerecht – ausgedrückt hatte, dürfte von ihr und ihresgleichen einem Antrag der Ukraine wohl Hilfe gewährt werden.
          Die EU andererseits könnte nun den Wünschen von Herrn Klitschko und vor allem vom Gouverneurskandidaten Jazenjuk etwas unterkühlt begegnen.
            Vor allem, wenn sich in der Ukraine der folgende Witz herumspricht. Er ist aktuell in dem Zusammenhang, da in einigen noch immer nur assoziierten Balkanstaaten der Unwille einer zunehmend verarmenden Bevölkerung  sich intensiver ausweitet. 
         „Vetter, was ist denn Assoziation?“ „Kann ich dir am besten am Sex erklären. Mitglied ist drin, Assoziation baumelt draußen umher.“
           Wie es hier heißt: aus dem Lied kannst du kein Wort entfernen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






Donnerstag, 6. Februar 2014

Klitschko out?


          Am 03. Februar 2014 musste ich 800 km ostwärts durch die Ukraine reisen – per Eisenbahn nach Lugansk. Als Dolmetscher für ein mittelständiges deutsches Unternehmen.      
           Daheim umsorgte mich wie immer meine Frau. Ob das Handy richtig eingesteckt ist, das Billet für die Hinfahrt in der Jacke steckt und nicht das für die Rückreise… „Lasse dich auf keine politischen Diskussionen ein. Du kennst doch den Witz?“  Ich kannte nicht.
          „Wie siehst du denn aus?“ „Politik! Klingelt es an der Tür, ich mache auf.  Einige Kerle. „ Für wen bist du – weiß oder rot?“ „Für die Weißen!“ „Hosen runter!“ Bekam mörderlich Prügel. Nach einer halben Stunde klingelt es wieder. Erneut einige Kerle. „ Für wen bist du – weiß oder rot?“ „Für die Roten!“ „Hosen runter!“ Bekam wieder mächtige Prügel. Als es zum dritten Mal klingelte, ließ ich gleich die Hosen runter. Das war die Nachbarin, zum Tee trinken.“
            Die ukrainischen Fernsehberichte und was in die Welt geht – ein einziger großer Maidan – und fast nur. Mir gefiel die Meinung eines Schriftstellers: „Wir sollten erst einmal  festhalten, dass dort auf ihm nicht das gesamte ukrainische Volk versammelt ist.“
           Aber wieder eine Warnung meiner Frau: „In Lugansk sind die Kosaken einmarschiert. Mische dich nur nirgends ein!“
          Meine Gute schickte mich dann, damit ich rechtzeitig zum Zuge komme, in Erwartung eines Verkehrschaos schon gegen 15.30 Uhr per Kleinbus zum Kiewer Hauptbahnhof.                 Ganz im Gegenteil – wir kamen zeitig genug dort an, mit 90 Minuten Reserve. Auf den Straßen ruhig – nix von Maidan. Auf dem Bahnhof belebt wie immer. Im Zug Leute – keine Diskussion zum von meiner Holden gefürchteten Thema. In Lugansk keine Reiterhorden, alles normal.
           Zurück zur Überschrift.
          Im gestrigen ukrainischen Teil des Internets gab es ein Banner mit dem Text: „Jazenjuk und Tjagnibok beerdigen Klitschko.“ Weil meine Frau in dem Moment von mir eine Antwort erwartete, wurde ich abgelenkt. Danach war das Banner verschwunden. Weil hier nur von einem politischen Vorgang die Rede sein konnte, fand ich nichts Entsprechendes heute.
         Allerdings gab es in den letzten Tagen vier kleine Szenen in der Berichterstattung, die mir auffielen.
           Zuerst die Reaktion auf die Frage, ob jemand wüsste, wo Jazenjuk sei. Unter Lachen der Umstehenden: „Der mit der ehrlichen Kugel in der Stirn? Ist heute noch nicht hier gewesen.“ Sinngemäß: traut sich wohl doch nicht in die vorderste Front.
        Als zweites  die deutliche Weigerung von sogenannten „Aktivisten“, der Aufforderung von Vitalij Klitschko nachzukommen, ein besetztes Gebäude zu räumen. Man wendete sich einfach ab. Sinngemäß: wer bist du denn? Er sah nicht wie ein Sieger aus. 
       Dann ein Auftritt von Herrn Tjagnibok in der Westukraine, noch vor dem Maidan: „…unsere Erde schützen vor Moskowitern, Juden und anderem Dreckzeug!“ Das ukrainische „neschistj“ lässt sich anders als dem letzten Wort im vorigen Satz nicht übersetzen. Diese Art zu sprechen ist in Deutschland von 1933 bis 1945 üblich gewesen. Wehret den Anfängen!
           Zuletzt: ein römisch-katholischer Priester hat in der Westukraine fast die gleichen Worte wie Tjagnibok  gebraucht, wurde anschließend von seinen Oberen rasch in ein Kloster gesandt – zum „Nachdenken“.
        Nur ist Herr Tjagnibok in bester Gesellschaft. Der Oberkommandierende des „Wehrschutzbundes namens Bandera „Dreizack““, welcher als eine Art „grauer Kardinal“ diese paramilitärischen Formationen lenkt, hat Ziele, welchen die „Lugansker Kosaken“ nicht gutheißen.

Bleiben Sie am Ball und recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger