Daheim in der Ukraine bin ich gegenwärtig in Opposition. Das ist bedauerlich. Denn eins
ihrer Ergebnisse ist nicht selten Streit. Der Austausch von Dummheiten. Dabei
liebe ich die Diskussion – den Austausch intelligenter Argumente.
Nicht, dass
meine Frau keine Argumente hätte. Aber ihre Sichtweise ist heute mit den
vorgefertigten Meinungen aus fast allen Massenmedien doch zumindest sehr
nationalistisch geprägt.
Nicht jedoch so intensiv wie bei Herrn Tjagnibok.
Gestern Abend, am 24.02.2014 gegen 18.30 Uhr Ortszeit, kam ich ungewollt im
Fernsehen dazu, als er im ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, von
seiner Fraktion „Freiheit“ (Swoboda) vier Anträge zur Beratung von
Gesetzesentwürfen stellte. Welche aus den Vorstellungen seiner Anhänger stammen
– wie ich erfasste. Sie folgen hier – wenn auch nicht in der Reihenfolge wie
von ihm vorgetragen und auch nicht im Wortlaut. Aber im Sinne nicht verfälscht!
Es ging in ihnen um: a) Die Vernichtung aller materiellen Güter, welche in der
Ukraine an die Sowjetherrschaft erinnern; b) Die Erlaubnis für alle, die das
wünschen, Waffen zur Selbstverteidigung zu führen; c) das Verbot
kommunistischer Ideologie in der Ukraine; d) die Errichtung einer Gedenkstätte
für alle Helden der Ukraine (Pantheon).
Hier geht es mir nicht um die Rettung
von nach damaliger offizieller Vorgabe gestalteten Lenin-Denkmalen. Wo der Herr
Uljanow fast immer als eine Art Wegweiser dargestellt ist. Sondern darum, dass
begonnen wird, einen Scherz wahr zu machen: was ist der Unterschied zwischen
Gott und einem Historiker? Gott kann die abgelaufene Geschichte nicht
verändern.
Die einfache Auslöschung von über 70 Jahren Geschichte statt ihrer
kritischen Wertung (die Positives einschließt) ist für mich nicht sinnvoll. Sie
erzieht unter anderem Vorzeichen erneut eine Nation, die doppelte Standards
einhält. Also nach jeweiliger Sachlage lügt!
Zur Ausrüstung eben dieser Nation
mit Schuss-, Hieb- und Stichwaffen in gewünschter Menge: die dies
praktizierenden USA sind nachweislich
weniger das Land der herrschenden Rechtssicherheit, sondern jenes mit dem
größten Anteil an Gefängnisinsassen je 100.000 eigener Einwohner unter allen
Ländern dieser Welt. Die mit Schusswaffen dort regelmäßig verübten Massaker an
unschuldigen Personen haben auf die Rechtsvorstellungen dortiger Entscheidungsträger
und neu dazu kommender in der Ukraine sichtlich wenig Einfluss.
Das Argument:
die Opfer des Maidan – vor denen ich mich verneige – wären bei anfänglich mehr
Waffen „in den Händen des Volkes“ nicht möglich gewesen – ist für mich
spekulativ und populistisch. Wie sollen in Zukunft eben diese Waffen
unschuldige Tote durch Attentäter aus diesem so großzügig „bewaffneten“ Volk
verhindern?
Logisch doch eher, wenn sie nicht einfach greifbar sind – oder?
Dass kein beleidigter Schüler oder abgewiesener Liebhaber gleich in seinem
Affekt dran kommt? Geschweige denn Terroristen und Anarchisten.
Nun zum Verbot
„kommunistischer Ideologie“. Es scheint hier unklar zu sein, dass dort, wohin
angeblich das nun freie ukrainische Volk strebt, nämlich in Westeuropa, kein
Verbot dieser Ideologie existiert. Wer besseres weiß – bitte mich berichtigend
kommentieren.
Denn es ist viel freiheitlicher, Parteien zuzulassen, welche solche
Vorstellungen öffentlich äußern, als sie in den Untergrund zu treiben und dann
durch Geheimpolizei beobachten zu lassen. Was man ja angeblich ablehnt…
Es ist
nicht auszuschließen, dass eben gerade in fachlichen und sachlichen Fragen die
Opposition bessere Argumente hat. Besonders diese argumentative Überlegenheit gibt
die gestrige Opposition heute ja vor -
sie hätte schon gestern alles besser gewusst.
Damit ist die Bestrebung, von vornherein beliebige potentielle
Opposition mit einem Verbot aus aller Diskussion auszuklammern, selbst unter
diesem Gesichtspunkt absolut kurzsichtig.
Zuletzt: die Errichtung eines Pantheons
für die Helden der Ukraine. Einverstanden. Wenn das wirklich die Helden sind. Ob
dazu Stepan Bandera gehören darf, der
wegen eines politischen Mordes von polnischen Richtern zur Todesstrafe und
später zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, ist für mich fraglich – wenn ich
demokratische Wertvorstellungen einbringe.
Aber die Sieger des Maidan haben das
Recht der Sieger auf eigene Interpretation. Wie sagten schon die alten Römer: “Wehe
den Besiegten.“
Was hat das alles mit Nietzsche zu tun? Er formulierte einst: "Man kann einen Jüngling nicht einfacher verderben, als wenn man ihn veranlasst, den Gleichdenkenden höher zu achten als den Andersdenkenden."
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger