Mittwoch, 25. Mai 2016

Die Hoffnung kam barfuß

Heute ist die mutige und standhafte  ukrainische Hubschrauberpilotin Nadija Sawtschenko nach zwei Jahren Haft in Russland in ihre Heimat zurückgekehrt. Dazu drücke ich ihr hier erneut meine Hochachtung aus und wünsche ihr stabile Gesundheit und extrem viel Kraft für die vor ihr wartenden Aufgaben.

Nadija ist im slawischen Sprachraum die Hoffnung. Offensichtlich wollte sie, ohne das russische Volk zu beleidigen, kein Sandkorn der Erde mit sich bringen, auf der sie vieles fast Unerträgliches durchlitten hat. Deshalb kam sie barfuß aus dem Flugzeug der Flugbereitschaft des ukrainischen Präsidenten zu den sie erwartenden Landsleuten. Für mich eine passende symbolische Handlung.

Stark emotional gefärbt waren die wenigen Sätze, welche die Abgeordnete der Werchownaja Rada und Delegierte bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu den sie treffenden Personen sagte (sinngemäß, weil ich so rasch nicht verstehe): "Meine ganze Kraft und auch mein Leben werde ich zukünftig dafür einsetzen, dass alle ukrainischen Bürger menschenwürdig leben können."

Dwer ukrainsche Präsident Petro Poroshenko würdigte die Haltung der jungen ansehnlichen Frau als die einer echten Persönlichkeit und eines ukrainischen Offiziers würdig. Er überreichte ihr den Ordenstern eines "Helden der Ukraine", welcher ihr schon im März 2015 verliehen worden war.

Den Titel für diesen Post habe ich ganz bewusst gewählt. Denn mit der ihr und den Ukrainern verfügbaren Zeit und Energie kann trotz aller noch herrschenden Schwierigkeiten sich das gesellschaftliche Leben nur zum Besseren wenden.

Dass ich am 25. Mai 2016 gleich zweimal posten würde, war nicht vorgesehen. Aber das große Ereignis ist die kleine Mühe wert.

Bleiben Sie recht gesund, Nadija!

Ihr

Siegfried Newiger





 

Umdenken zum Mai 2016



Ende August 2015 bekam ich von einem ukrainischen guten Bekannten das Buch „Der Große Vaterländische Krieg – Wie es war … Fakten-Versionen-Kommentare“. Auf dieses Buch bin ich in meinem Post „Die Rada rackert“ vom 03.01.2016 schon eingegangen. Nach langer Zeit nun eine Fortsetzung dieses Blogs. 
Denn inzwischen habe ich drei weitere Bücher in Russisch gelesen bzw. das letzte begonnen. Die militärischen Erinnerungen des Österreichers Otto Skorzeny, welche mir ein bezeichnendes Bild der deutschen höchsten Entscheidungsträger im Dritten Reich lieferten. Gleich im Anschluss die Memoiren von Walter Schellenberg, dem letzten Chef eines Teils des deutschen Geheimdienstes. Auch hier wichtig für mich die Charakteristika der damaligen deutschen Führungsclique. 
Als letztes der relativ dicke Band „Eisbrecher – Tag „M““ des 1978 nach England geflohenen sowjetischen Spions V. B. Resunow, welcher unter dem Pseudonym Viktor Suworow schreibt. Genial, wie er wesentliche Fragen passend zum jeweiligen Thema findet und formuliert! Sein Buch ist Grund dafür, hier erneut etwas zu schreiben. 

Als ich in der Frühe des neunten Mai mit etwas gedrückter Stimmung vom Spaziergang mit Hund heimkam, war die Frage: „Was ist schon wieder mit dir?“ Als Antwort konnte ich nur sagen, dass meine Erinnerungen an den 9. Mai 1945 eben keine festlichen sind. Dagegen denke ich an die MPi-Salven längs der Straßen kurz vor Kriegsende, die Kanonaden, unsere Angst vor jedem Fluggeräusch, oder an den Gestank aus dem Massengrab, das im August exhumiert und in ein Sammelgrab nahe Halbe verbracht wurde. Oder an den Hunger in den Jahren danach. 
Dazu daran, was mir die erwähnten Bücher besonders nahe brachten: ohne den Entscheidungsträgern heute auf die Zehen treten zu wollen – auch sie sind sehr selten zu ihren Bürgern so aufrichtig, wie jene das erwarten. Häufig diese Erwartungen aber auch schon abgeschrieben haben… Zumindest in der Ukraine sehen die Leute das so. 

Es ist wie jedes Jahr der 09. Mai als „Tag des Sieges“ auch in der Ukraine begangen worden. Erstmals sah ich ein anderes Emblem an der Bekleidung jener, die den Tag mit einem Aufmarsch begingen – eine rote Blume mit dickem schwarzem Punkt in ihrer Mitte. 
Kam darauf, dass hier erstmals auffälliger demonstriert wurde, was in einem Lied von den zwei Farben in der Ukraine auch besungen wird. Nicht etwa das Gelb-Hellblau der Staatsflagge, sondern die Farbenkombination „Rot und Schwarz“. Es ist die von extremen Nationalisten bevorzugte Farbzusammenstellung, nach der Fahne der sogenannten Ukrainischen Aufständischen Armee, dem militärischen Flügel der Organisation Ukrainischer Nationalisten. Mit denen ich wie mit der deutschen rechten Szene nichts zu tun haben will. 

Als am Abend des 9. Mai 2016 ein Gedenkkonzert im Fernsehen übertragen wurde, hat das meine jungen Leute kaum interessiert – mich schon. Das gedämpft auf sehr angemessene Weise gestaltete Konzert unterschied sich wohltuend von vielem, was ich unter anderen Bedingungen schon hatte verkraften dürfen. Aber die andere Generation hatte andere Vorstellungen… 

Wenn Viktor Suworow an einer Stelle seines mit extrem vielen öffentlich zugänglichen Beispielen (sowjetische Zeitungen, Memoiren sowjetischer hoher Militärs) gespickten Buches schreibt „… hier könnten die jungen Leute nachdenken (aber das tun sie ja nicht) …“ , dann ist das kein Pessimismus, sondern Fakt. Noch etwas genauer drückt das sein erster Rezensent aus, der russische Schriftsteller Vladimir Bukowski, der die Besprechung überschreibt mit: „Ein Monument der menschlichen Blindheit!“ 
Das ist auf uns gemünzt und unsere Vorfahren. Welche den unsichtbaren Tricks der, unserer einstigen „Leitfiguren“ mehr oder weniger unkritisch aufgesessen sind. 

Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass ich anderen, extremistischen Ideologien nun unbedingt folgen muss. Denn ich erlaube mir endgültig den Luxus meiner eigenen Meinung. Die bilde ich mir dann, wenn ich die Tatsachen und Argumente glaube verstanden zu haben. Weil ich die ukrainische Sprache unzureichend beherrsche, werde ich mich auch in Zukunft im Sinne des vorrausgehenden Satzes zurückhalten. 

Wenn allerdings wie beispielsweise gestern die Ärzte und Schwestern einer Poliklinik aus der Stadt Sumy (ukrainischer Nordosten, rund 270.000 Einwohner) nach einem tagelangen Fußmarsch über 270 Kilometer am Parlamentsgebäude der Ukraine in Kiew friedlich demonstrieren, will ich das vermelden. 
Denn diese Fachkräfte haben fünf Monate ihre wirklich mickrigen Löhne und Gehälter nicht bekommen und sind von der nach ihrer Auffassung unnötigen Schließung der medizinischen Einrichtung bedroht. 
Weil der Premierminister mit ihnen nicht sprechen konnte (wollte?), beabsichtigte die relativ kleine Gruppe, in Zelten dort vor Ort zu übernachten. Die einstige Miliz, inzwischen zur offiziellen Polizei umstilisiert, hat das – nicht gerade sanft – verhindert. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger