Dienstag, 29. Juli 2014

Nicht in Reserve


Premierminister Arsenij Jazenjuk ist im Amt geblieben. Die ukrainische Werchownaja Rada (Parlament) hat seinen Rücktritt nicht angenommen. Er ist erneut vor dieser Rada aufgetreten – gestern. Hat sich abends kurz Zeit genommen für einen Auftritt in einer Talkshow. In beiden Veranstaltungen war er unbeugsam, wenn auch biegsam.

Der von ihm in seiner vorigen Rede veranschlagte Bedarf für die Wiederherstellung der Infrastruktur in den Ostteilen des Landes, welche zunehmend von den Terroristen befreit werden, hat er mit seiner Mannschaft an die technischen Möglichkeiten und die verbleibende Zeit angepasst. Deshalb auf 3,3 Milliarden Hrywna reduziert. Deutlich, dass er vernünftig urteilt und zielstrebig arbeitet.

Alle anderen Positionen zum politischem Handeln bzw. zur politischen Untätigkeit des Parlaments hat er nicht geändert. Hier muss ich etwas einfügen.

Sofort nach seiner Rücktrittserklärung in der vergangenen Woche wurden „Politologen“ fündig. Sie hatten für Jazenjuks Haltung fast alle nur eine Erklärung. Weil Frau Timoschenko erneut über ihre Partei „Batkowtshina“ (Vaterland) an politischem Einfluss zu gewinnen versucht, sei er dort in den Schatten gerückt und bestrebt, so mit einer theatralischen Geste schon jetzt den Wahlkampf zu eröffnen. 

Auf die Idee, dass auch ein Politiker Gewissen besitzen könnte, kommt man in einem Land, dessen Spitzenleute in den vergangenen Jahren davon kaum etwas zeigten, mangels Beispiel natürlich nicht.

Arsenij Jazenjuk hat für den kommenden Donnerstag alle Abgeordneten der Rada fordernd gebeten, an der Sitzung teilzunehmen und für die Gesetzesvorlagen der Regierung zu stimmen. Um die Wege frei zu machen sowohl für 1,5 Milliarden US-Dollar an Krediten (Abwendung des Staatsbankrotts) und vordringlich die schon erwähnten 9 Milliarden Hrywna zur Sicherung der Gefechtsbereitschaft der ukrainischen Armee, vorwiegend der gegenwärtig im Ostteil kämpfenden Truppe. 

Hier habe ich nur meine Meinung zu bieten. Sie ist eine andere als manche offizielle und halboffizielle. Nur bin ich mit diesem Herangehen ohne wesentliche Enttäuschungen durch mein Leben als politisch urteilender Bürger gekommen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






Donnerstag, 24. Juli 2014

Persönlichkeit

Heute muss ich etwas nachreichen. Weil ich Ukrainisch nur ausreichend verstehe, wenn eine Person langsam und deutlich spricht, habe ich erst beim zweiten Anhören des Auftritts von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk vor der Werchownaja Rada (dem ukrainischen Parlament) völlig verstanden, worum es ging. Deshalb ziehe ich meinen gestrigen Post "Kettenreaktion" aber nicht zurück. Sondern ergänze ihn mit diesem hier.

Die Tätigkeit des Herrn Jazenjuk habe ich intensiv verfolgt. Nur nicht darüber geschrieben. Mit jedem seiner öffentlichen Auftritte hat er mich mehr davon überzeugt, dass der körperlich kleine Mann eine recht große Persönlichkeit ist. Auf der Skala meiner Wertschätzung gibt es als obersten den Ausdruck "Kerl". Jazenjuk ist einer.

Seine öffentlich sichtbare bisherige Arbeit als Premier war für mich immer davon geprägt, nicht egoistische Ziele zu erreichen, sondern real die Möglichkeiten des Staates Ukraine einzuschätzen und pragmatische Vorschläge zur Überwindung der Probleme in den heruntergewirtschafteten Bereichen aller Art zu machen und zu realisieren. Seine Vorgänger haben ihm da ein unsäglich miserables Erbe hinterlassen. Einen Staat im Prinzip direkt vor dem Bankrott.
Er hat sich vom ersten Tag an nicht gescheut, den Ukrainern die traurige Wahrheit zu sagen. Dass für diese und jene geplante Maßnahme nicht die Mittel da sind. Ich erinnere mich an seinen Auftritt vor eben dieser Rada, als er etwa Folgendes formulierte: "Sie beschließen unverantwortlich Gesetze, welche lediglich Populismus sind. Wo sind die hunderte von Millionen Hrywna, welche sie die Regierung in 2014 und 2015 auszugeben zwingen wollen? Haben sie das vor ihren Beschlüssen nicht bedacht?" Harte, aber gerechte Kritik.

Im weiteren folgt, was ich seiner Rede gestern entnommen habe. Er wird verzeihen, dass es nicht exakt seine Worte sind.
Aus den Berichten ukrainischer Massenmedien klingt heraus: "Jazenjuk hat eine stark emotional gefarbte Rede gehalten." Mit dem Ton einer Kritik darin. Ich würde mich freuen, wenn ich bei so wichtigen Themen so relativ ruhig und bestimmt bleiben könnte. 
Er stellte den Abgeordneten unter anderem die Frage, wie sie zwei wichtigen Gesetzentwürfen nicht zustimmen konnten. Die Regierung hätte so keine Möglichkeiten, zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen. Und ohne ein zum Gesetz erhobenes staatliches Budget ist sie nicht in der Lage, in den nächsten Tagen Soldaten, Polizisten, Ärzten, Lehrern die denen zustehenden Bezüge zu zahlen.

"Wir brauchen für unsere Armee neun Milliarden Hrywna (etwa 600 Millionen Euro) und für die Wiederherstellung der Infrastruktur in der Ostukraine sieben  Milliarden Hrywna (etwa 480 Millionen Euro). Ich war in Slawjansk. Dort lieben viele die Zentralmacht in Kiew nicht besonders. Aber das sind unsere Ukrainer, die Recht auf unsere Unterstützung haben." 

Die Arbeit des Parlaments sei nicht geeignet, den Glauben des Volkes in Kompetenz, Volksverbundenheit  und Verantwortungsbewusstsein der höchsten Leitungsgremien zu stärken.

"Nicht wir haben die Revolution gemacht, sondern jene, die auf dem Maidan gestorben sind."
"Die Durchsetzung eigener tagespolitischer Ziele gegen die politische Notwendigkeit ist eine Schandtat."
"Über dies heutige Verhalten wird man sich in der russischen Duma freuen. Manche werden gar feiern."

Hier versuche ich, seine abschließenden Worte wiederzugeben. "Die Koalition ist zerfallen. Ich bin gezwungen, den Rücktritt zu erklären, weil es unmöglich geworden ist, vernünftige Aktivitäten der Regierung mit Hilfe dieses Parlaments durchzusetzen."

Wir werden von Jazenjuk noch hören.

Spät am Abend bekam ich mit, dass der ukrainische Präsident Poroshenko einen für mich sehr staatsmännisch vernünftigen Kommentar zu Haltung seines Ministerpräsidenten abgab. Meine Meinung: beide werden auch weiter miteinander etwas für dieses Land tun.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Kettenreaktion

So hatte ich das nicht erwartet. Am gestrigen Abend hat der ukrainische Präsident Poroshenko den vom Parlament verabschiedeten Gesetzentwurf zum Ausschluß der kommunistischen Fraktion aus der Werchownaja Rada unterschrieben. Heute war das Dokument in dem dafür vorgesehenen Amtsblatt veröffentlicht worden. Der Sprecher der Rada  Herr Turtshinow hatte zu Beginn der Sitzung stolz erklärt, die historische Aufgabe erledigen zu dürfen, den Ausschluß der Kommunisten aus der gesetzgebenden Versammlung zu verkünden.

Ein wenig später werde ich die für dieses Parlament typischen Keilereien am Vortag noch näher kommentieren. Was aber entweder kalte Berechnung war, vielleicht aber nicht einmal berücksichtigt - die noch bestimmende Koalition aus den Abgeordneten der Regionalpartei (einst die von Herrn Janukowitsch) und der Kommunisten wurde auf diese Weise zerstört.

Der in meinen Augen politisch recht exakte und gründliche Premierminister Jazenjuk war heute in der Rada und hat erklärt, dass es in dieser Situation nur zwei Varianten gibt. Er müsse die Koalition wieder zusammenfügen, was er unter keinen Umständen machen werde. Oder er sei nach der Verfassung genötigt, zurückzutreten. Diesen seinen Rücktritt erklärte er anschließend.

Herr Turtshinow legte deshalb folglich den Verursachern der Situation, den Fraktionen von "Swoboda" und "Udar" nahe, so rasch als möglich einen Kandidaten für die Aufgabe des "technischen Ministerpräsidenten" vorzuschlagen, welcher die Amtsgeschäfte führen würde, bis das neue Parlament gewählt ist.

Für die krisengeschüttelte, sachlich im unerklärten Kriegszustand mit Russland befindliche Ukraine ist die so geschaffene innenpolitische Situation kaum positiv zu beurteilen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





Mittwoch, 23. Juli 2014

Nach drei Monaten

Nach drei Monaten Schweigen auf diesem Blog nun wieder etwas zum Thema. Wieso diese Sendepause, können Sie gern direkt nachlesen auf http://erlebnis-leben.blogspot.com/2014/07/trotz-alledem.html?spref=fb 

OSTBLOCK. War einmal. Daher auch meine Zerissenheit. Hatte in Moskau studiert, eine Russin geheiratet, mit ihr zwei Kinder. Habe in Russland Freunde. Darunter meinen Arzt-Freund, welcher mein linkes Knie vor nunmehr 42 Jahren durch eine meisterhafte Operation gerettet, beweglich erhalten hat. Dort sind Bekannte, auch einstige Waffenbrüder. 

Nun lebe ich schon mehr als 19 Jahre in der Ukraine. Habe eine ukrainische Ehefrau, mit ihren Kindern eine im Wesentlichen harmonische Familie, Freunde und Bekannte. Darunter auch welche aus Lugansk. Jede Nachricht über die dortige, vor allem militärische Situation betrifft uns also besonders. Selbst bin ich im Zwiespalt. Wie es der Dichter ausdrückt: "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust..." 

Aber getreu meinem von unserem Dichter Goethe entlehnten Prinzip werde ich hier nur berichten, was ich belegen kann. Wie sagte er? "Wahrheit sage ich euch, Wahrheit und immer wieder nur Wahrheit. Meine Wahrheit - ist mir doch keine andere bekannt." 

Drei Tage lang hing am "Schwarzen Brett" vor unserem Hauseingang ein A-3-Schreiben der Partei "UDAR" (HIEB oder auch SCHLAG) von Vitalij Klitschko. Darin wird zu Spenden für die kämpfende Truppe aufgefordert. Was enthielt die Liste? Nachtsichtgeräte, optische Zielfernrohre, Helme ab einer bestimmtem Kategorie, kugelsichere Westen ebenfalls ab mindestens Kategorie 4, Uniformen und ähnliches, dazu Lebensmittel - trockene wie Nudelerzeugnisse, Reis, Hülsenfrüchte, oder Konserven. Dazu die Adressen der Sammelstellen hier in Belaja Zerkov. Für mich ein wenig fraglich, wer denn die erstgenannten Dinge bei sich zuhause speicherte?
Die Frage aus meiner Sicht lautet: Wie konnten die bisherigen Präsidenten dieses Landes (nicht nur der unrühmliche Herr Janukowitsch) es zulassen, ihre Armee auf einen so miserablen Zustand kommen zu lassen?

Aber auch hier schon Marodeure. Welche umherzogen, angeblich ebenfalls sammelten - das Erhaltene aber verkauften. Sie wurden gefasst. Wie schon vor 2000 Jahren von einem Griechen sinngemäß formuliert: "Im Krieg sterben als erstes Recht und Gewissen."

Die Aktion "5 Hrywna von ihrem SMS-Konto für unsere Streitkräfte" läuft immer noch - wie unter "Ukraine aktuell" auf diesem Blog schon beschrieben. Zu einigen Ereignissen hier werde ich mich etwas spätern äußern. Heute nur die Information, dass ich nicht "ausgerissen" bin, wie ein deutscher Bekannter glaubte, als er mich im Mai 2014 in Berlin traf.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger