Dienstag, 31. Juli 2012

Pussy Riot ...


Auf gutefrage.de fand ich am 31.07.2012 die folgende Frage, welche mich schon in der Fragestellung an eine Art "unfreundlicher Berichterstattung" erinnerte. Ich habe hier das kopiert, was ich für den "Ostblock" als wichtig ansehe.

Single Tangle

Prozess in Russland gegen Putin Gegner? Live Stream
Der Livestream aus dem Gericht wurde heute abgebrochen (Gerichtsbeschluss zugunsten Zeugen). Hat jemand gestern den Live Stream aufgezichnet oder weiss weitere Quellen. (Das Hochladen der Bilder, die auch in den Nachrichten verwendet wurden, scheint hier nicht erlaubt zu sein.) Möglicherweise wird auch ein Teil des Englischen Namens der Gruppe hier nicht gewünscht. Auf deutsch übersetzt heisst sie Kätzchen Aufstand.


Guten Tag Single Tangle,
        die russische Sprache beherrsche ich seit meinem Studium in Moskau und außerdem lebe ich schon seit 17 Jahren in der Ukraine.
        Deine Frage-Überschrift ist nicht korrekt! Auch deine Darstellung des Namens der Gruppe Pussy Riot ist nicht sorgsam - da ist im Deutschen nichts vom Aufstand - sondern einfach Muschi Riot (fein formuliert).
        Die drei jungen Frauen haben in erster Linie eins getan - vielleicht ist das in Deutschland nicht so angekommen: sie haben unter dem Titel "Punk-Gebete" in einer der den russischen Gläubigen besonders wichtigen, gewissermaßen Hauptkathedrale "Christus-Erlöser-Kirche" ihre nicht etwa Putin-feindlichen, sondern antireligiösen Lieder gesungen. Nicht "Anti-Putin-Gebete" - sonder "Punk-Gebete"! Sie haben die religiösen Gefühle vieler Menschen grob verletzt!
        Im Prozess sind sie und ihre Verteidiger auf der Linie: "Es wurden keine Strafgesetze, sondern nur ethische Regeln verletzt."
        Zu weiteren Quellen - falls du doch Russisch kannst (was ich bezweifele) - unter Pussy Riot in google.ru suchen.
Siegfried

Hallo Siegfried. Danke für die Antwort.
        Gibt es den Text? zu ihren Punk Gebeten.Gerne auch russisch. Kommt Putin in den Gebeten vor? In den Interviews ja schon.
        Ich habe mit "Kätzchen Aufstand" übersetzt, weil Pussy Riot hier gelöscht wurde, - ich dachte, dies geschah, weil Pussy auch Muschi meinen kann. Aber es gibt doch auch die Assoziation zu (Schmuse-)Kätzchen. Riot ist nicht deutsch, so bekannt die Riot grrls das Wort auch gemacht haben mögen.
        Ich stimme im übrigen weitgehend mit Deiner Deutung überein. Was auch hier verboten wäre, wird als Negativ-Nachricht gegen Russland aufgegriffen. Dennoch ist die Sache spannend: der Import westlicher Popularkultur, zum Kampf gegen die reaktionäre Kirche, die sich einspannen lässt vom Staat ...


Hallo SingleTangle,
        danke erst einmal für deinen vernünftigen Kommentar.
        Mich juckt die antikirchliche Komponente wenig - denn seit meinem 18 Lebensjahr bin ich Atheist. Deshalb habe ich auch nicht versucht, an den Text zu kommen - und werde das auch nicht tun - für mich unwichtig.
        Was Russland und Putin anbetrifft - es gibt meinen Blog http://mein-ostblock.blogspot.de/ - da ist meine persönliche Haltung lesbar. Vielleicht bist du einmal Gast bei mir - mit Kommentar.
        Zum Import westlicher Kultur: sie macht mir bei jedem Besuch in Deutschland Kopfschmerzen - frei nach Heine: "Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht ...".

Alles Gute!

Siegfried


Aptem

1.       Es ist kein "Import". Die Anfänge des Anarchismus haben viele russische Wurzeln. Die russische Anarcho-Punks sind eine eigenständige Erscheinung, die nicht importiert sondern in einer russischen Realität auch eine eigene Identität immer hatte und hat. Seit der Sowjetzeit.
2.      Die Mädels habe damit allerdings nichts zu tun. Sind einfach dumme junge Menschen. Kein russischer sagen wir mal Conterkultureller würde auf die Idee kommen so eine Schei*se zu veranstalten. Die orthodoxe Kirche ist nicht weniger reaktionär als i-eine andere christliche Kirche. Die Katholen sind da noch in vielen Sachen weit vorn. Die Obrigkeit der Geistlichen ist von falschen Werten so durchsetzt, dass sie die Glaubwürdigkeit längst eingebüsst haben. ABER WAS hat das Ganze mit einer Verarsche der Gläubigen in der Kirche zu tun???? Wieso schändet man nicht gleich ein Paar Gräber um den "Protest" kund zu tun? Auch ist die Aussage die Kirche würde sich vom Staat einspannen lassen falsch.
3.      Einfach gesagt, haben Mädels, die aufgrund irher schlechter Erziehung nicht mitgekriegt haben, dass man anderen Leuten nicht in den Teller schei*st, nur weil dere Chef ein A. ist, sich daneben benommen. Ich bin auch gegen rigorose Massnahmen. Aber eine Entschuldigung bei den Gläubigen und einige Stunden Sozialarbeit fände ich sehr angebracht. Protest heisst nicht, dass man rücksichtslos sein darf.
4.      Auch mit Putin hat das alles wenig zu tun.
Naja, leider sind die grossen Köpfe in letzter Zeit gestorben aus der russischen Intellektuellen-Szene, die es verstanden haben ein Beispiel zu sein. Die Jugend tendiert oft zum billigen Populismus wie die Muschi Riots.


Guten Tag meine Herren,

wollen wir einmal die Dinge aus einem anderen Winkel sehen. Wenn der Papst den Vatikanstaat abriegelt, haben der OB von Rom oder der italienische Staatschef  keine Einspruchsmöglichkeit. Der Vatikan ist ein Staat.

Der Hausherr der Festung "Kreml" ist der russische Präsident - wie immer der auch heißt. Sein "Hauptmieter" ist die russische orthodoxe Kirche - es gibt im Kreml immerhin 7 Kirchengebäude. Schließt Putin mit dem Recht des Hausherren die Tore - dann stehen die Gläubigen draußen ... Ihr geistiger Lenker, der Patriarch von ganz Russland, kann dann bitten - nicht mehr. Im Unterschied zum Papst.

Wenn der orthodoxen Kirche in ihrem Dom unweit des Kreml das passiert, was die Pussy Riot angestellt haben, und sich genannter Hauptmieter öffentlich laut beschwert, dazu auch dessen Gemeinde, ist das für den Staatsmann Putin nicht zu übersehen. Denn der "Hauptmieter" ist  heute immerhin auch ein staatstragendes Element. Also reagiert der "Vermieter" - der Putin heißt - auch öffentlich. Das muss er schon - um bei den Gläubigen sein Rating zu behalten. So kommt er mit in die Nachrichten - mit unterschiedlichen Auslegungen. Nicht immer mit den freundlichsten ...

Ähnlich hat er reagiert, als zu Beginn des Fastenmonats Ramadan in Kasan auf den obersten Mufti Tatarstans ein erfolgloses Attentat verübt (Verwundung) und dessen Stellvertreter nur an anderer Stelle, aber am gleichen Tag erschossen wurde. Ist das eigentlich bis in die deutschen Nachrichten durchgedrungen?

In einem Vielvölkerstaat mit multikonfessionellem Hintergrund ist es nicht so einfach, als Präsident bei solchen Ereignissen draußen vor zu bleiben.

Bleiben Sie recht gesund!

Siegfried











Seliger ...

        Es gibt in Russland einen solchen See. An dem ist zur Zeit ein Zeltlager aufgebaut. Mit rund 5000 jungen Besuchern unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Anders als früher - wo das mehr ein Treffen im Grundsätzlichen gleich Denkender war. Hier also auch junge Leute aus der so genannten "Opposition". Wie der Reporter des Fernsehens berichtigte, mit zwar hitzigen, aber friedlichen Diskussionen. 
        Die hatten heute Besuch. Den russischen Präsidenten Putin. Wladimir Wladimirowitsch wurde mit Beifall empfangen und mit Fragen überschüttet. Die erste: "Was sagen sie zu den nun auftauchenden vielen kleinen Parteien, die doch bei den Leuten keine Unterstützung haben. Was sollen die?"
        "Um zu beweisen, dass sie keine Unterstützung bekommen. Wenn sie sich nicht zeigen können, ist das für sie so, als ob Gott schläft. Wenn sie dann aber da sind, müssen sie sich erklären - Ziele, Vorstellungen, Programme. Dann erkennen sie selbst, was noch zu tun ist, damit sie die Sympathie der Menschen bekommen."
        "Viele meiner Freunde sind in Bürgerrechtsbewegungen. Was sagen sie denen bezüglich der politischen Häftlinge?"
        "Für jeden der bisher vorgelegten Fälle konnte mit Beweisen nachgewiesen werden, dass die Verurteilungen auf rechtlicher Basis wegen ganz anderer als der "vorgelegten" Delikte erfolgten. Es ist kein staatliches Prinzip, wegen anderer politischer Ansichten jemanden hinter Gitter zu bringen."
        Ein anderes Thema: "Das Gesetz zur Abstrafung für Verleumdung soll vor allem jene schützen, welche durch den Verlust ihres guten Rufes materielle Schäden erleiden - Künstler, Wissenschaftler, auch Kleingewerbetreibende und mittlere Unternehmer."
        Darauf angesprochen: "Das von ihnen erwähnte Gesetz verbietet niemandem, in unserem Land politisch aktiv zu sein - auch mit finanzieller Unterstützung aus dem Ausland. Allerdings müssen sich diese Gruppen registrieren lassen und den Verbleib der Mittel nachweisen. Denn die Geldgeber erwarten doch Ergebnisse ..."


        Vor einigen Tagen erst hatte Putin nur die Gouverneure von zwei Gebieten in seiner Sommerresidenz empfangen, keinen ihrer Beamen - dazu aber eine Gruppe von repräsentativen Personen aus diesen Gebieten: Ärzte, Lehrer, mittlere Geschäftsleute, Mütter mit vielen Kindern und so weiter. Die Gespräche haben mich beeindruckt.
        Wenn der durchaus intelligente Herr Sjuganow, der höchste Repräsentant der russischen kommunistischen Partei, an diesem Tag zu einem Reporter sinngemäß folgendes äußerte: "Die heutigen Vertreter der Staatsmacht entfernen sich immer mehr vom Volk. Das war - ungeachtet der Repressionen dieser Zeit - im Krieg viel einiger mit der damaligen Regierung!" - dann scheint er mir etwas außerhalb der heutigen Realität zu leben ...


        Ein weiteres Thema des Nachrichtentages: Premier Dmitrij Medwedjew in einem landwirtschaftlichen Kernbereich, in diesem Jahr von extremer Trockenheit betroffen. Seine Aussage - etwa 30 % der für Russland erwarteten Getreideernte kann nicht eingebracht werden. Auf dem Halm vertrocknet. Insgesamt jedoch ist die eigne Versorgung gesichert. Das heißt Einkommensausfall für die Landwirte. Allerdings es gibt staatliche Maßnahmen, um den Getreidebauern zu helfen. Dazu werden auch Gespräche mit den Versicherungen geführt werden. 
        "Die Versicherungen wollen natürlich die zu zahlenden Summen gering halten. Wir werden gesetzliche Festlegungen erreichen, welche die Position der Versicherten verbessert. Und der hydrometerologische Dienst Russlands wird Weisung bekommen, mehr Messpunkte einzurichten, damit die amtlichen Beweise für die Bedingungen einer Trockenheit vorgelegt werden können."
        Auf die Frage eines englischen Reporters zu einem anderen Zeitpunkt: "Wenn die Zeit heran ist, schließe ich nicht aus, erneut für die Aufgaben des russischen Präsidenten zu kandidieren. Sagt das Volk "Nein!" - dann schreibe ich meine Memoiren."


        Erneut haben mir die "Zwillinge" gezeigt, dass sie gegen viele Widerstände etwas für das russische Volk tun. Das zählt - für mich. 


Bleiben Sie recht gesund!


Ihr


Siegfried Newiger





Donnerstag, 26. Juli 2012

Nach der Euro-2012 ...


Hier sollte eigentlich schon lange mein vorbereiteter, allerdings nicht fertiger Post "Macht Russisch dumm? - 2" stehen. Aber das Leben korrigiert alle Zeitpläne. Deshalb endlich etwas, was die eine und der andere zu einem Thema erwarten, das abgeschlossen ist. Die Fußball-EM 2012.

Einen offiziellen Kommentar der FIFA habe ich nicht gelesen. Die Herrschaften sind vom mittleren Ukrainer weit weg. Denn der saß vor dem Fernsehgerät und nicht im Stadion ...

Das Lob hiesiger Analysten ist zum Teil berechtigt. Ja, im Bereich Straßenbau hat sich viel getan, trotz der Krisensituation der letzten Jahre in der Weltwirtschaft - auf den großen Magistralen der Ukraine. In Charkow sagten unsere Freunde, welche im Randbezirk wohnen: "Na, seid ihr wieder in der echten Ukraine angekommen - Loch bei Loch und befährt sich doch ...irgendwie?" --))

Der neue Flughafen in Donezk - eine Wucht! Wie-viel Reisen nun täglich über ihn gehen, ob die riesige Parkfläche ökonomisch sinnvoll ausgenutzt sein wird - da habe nicht nur ich Zweifel ... 

Meine Gesprächspartner formulierten: "Ja, es haben einige Geschäfte gemacht - einige wenige. Auch Arbeitsplätze waren zeitweilig - wie bei den meisten Bauvorhaben - mehr vorhanden. Und nun? Wo ist der Anschluss an diesen "Boom"?" 

Die UkrainerInnen und ihre vielsprachigen Gäste? 
Vom menschlichen Anteil, von der herzlichen, freundschaftlichen Stimmung zu berichten ist müßig. Die gastfreundlichen Slawen sind nun einmal so. Wir waren mit einer Gruppe deutscher Monteure und Ingenieure zu der Zeit in Lugansk. Sie waren von der - nicht bestellten, man kannte uns nicht - Anteilnahme der Gäste für die deutsche Nationalmannschaft in dem  besuchten Restaurant überrascht!

Aber das Gaststättenwesen insgesamt ist nicht zufrieden. Es wurde dank der im Vorfeld entfesselten Stimmung gegen die ukrainische Seite von TUI eine große Anzahl gebuchter Zimmer zurückgegeben - das bedeutet: die Leute kamen nicht. Trotz Anhebung der Zimmerpreise - auch üblich in Westeuropa! - blieben die Einnahmen in diesem Zeitraum für dieses Segment unter denen des Vorjahres 

Auch die Erwartung in die Auslastung von Privatquartieren wurden nicht erfüllt – ein Grund: weil die Preise dafür unverhältnismäßig hoch waren ... Unsere Gäste sind uns teuer? Das "Neue" in der Gastfreundschaft?

Sicher bin ich, dass bei den meisten Gästen überwiegend positive Eindrücke mitgenommen wurden.

Ekelhaft wie überall auf der Welt die absoluten "Fans" - die so verniedlichten "Fanatiker"! Sie sind in jedem Zusammenhang für gutes Nebeneinander so schädlich wie Gift! Was tun? Ich habe keine Idee ...

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger


Montag, 16. Juli 2012

Macht Russisch dumm? -Teil 1


Vor etwa einem Vierteljahr – in einer Berliner Straßenbahn. Mir schräg gegenüber saßen zwei ältere Frauen, Omas. Eine von ihnen sagte: „Mein Enkel ist ein ganz helles Bürschlein. Vor ein paar Tagen kam er heim und sagte: „Oma, ich kann ein Gedicht. Wer Englisch lernt, der wird ganz schlau – wer Russisch quatscht ist dumm wie Sau.“

So etwas kann ich nicht verkraften. Erst einmal fühle ich mich persönlich von einem absolut inkompetenten Dummerchen angegriffen. Das kann ich verkraften. Dass aber Erwachsene so etwas  auch noch laut von sich geben – das zeigt von Inkompetenz oder Bosheit auf einer fehlenden Basis. Also habe ich mich eingemischt mit dem Ergebnis, dass es keines gab. Ich konnte mich von böswilliger Haltung überzeugen – mehr nicht. Um einiges zum Kulturgut „Russische Sprache“ zu sagen, diese Einleitung.

Meine Bekanntschaft mit der russischen Sprache begann im September 1951. Ich kam in die damalige Oberschule Luckau, in die 9. Klasse. Als die Lehrerin für Russisch und Zeichnen in die Klasse kam, meinte ich bei mir, dass die weißhaarige alte Dame aus dem Baltikum uns wohl kaum viel beibringen kann. Fräulein Adolphi machte sich mit uns bekannt. Sie veranlasste den einen und die andere, den ihr genannten Familiennamen auszuschreiben. Um genau zu sein. Zu meinen sieben Buchstaben sagte sie: „Newiger, sie – ja, sie sagte „sie“ zu uns! – sie haben eine gute Handschrift. Sie müssen einen guten Charakter haben.“ Meine Meinung zu ihr wechselte sofort zum Gegenteil. Bis zum Abitur war ich ihr fleißigster Schüler – in Russisch. Mit Zeichnen habe ich noch heute meine Probleme.

Erst seit einiger Zeit weiß ich, dass Fräulein Adolphi einmal sehr großen Mut bewiesen hat. Wir sollten das Gedicht von Wladimir Majakowskij lernen, in dem es von einem Neger heißt: „Und Russisch lerne ich nur deshalb, weil Lenin Russisch gesprochen hat.“
Sie hat damals etwas gesagt, was bei der herrschenden Ordnung hätte anders enden können: „Russisch – das ist nicht nur die Sprache Lenins, sondern auch die von Puschkin, Dostojewskij, Lomonossow, Lermontow, Gogol, der großen Komponisten Tschaikowski, Rachmaninow, Borodin, Prokowjew, von Künstlern wie  Brjullow, Aiwasowskij, Repin,  bekannter Wissenschaftler und von mehr als 200 Millionen Menschen.“ Das beeindruckte mich damals schon – ohne die politische Brisanz zu ahnen.

Nach der Oberschule wurde ich Militär. Da gab es Kleidung, etwas zu Essen und Löhnung, mit einem Teil davon ich Mutti helfen konnte, die drei anderen Brüder „auf die Beine zu stellen“. Auch, weil ich meinte, dass ich so den eben erst zu Ende gegangenen Krieg nicht wieder aufflammen lassen zu helfen - also den Frieden zu schützen. Weil Russisch im "Warschauer Vertrag" die Kommandosprache" war, hatte ich einerseits keine Schwierigkeiten, zum anderen erweiterte ich bewusst laufend meinen aktiven Wortschatz.

Hier übergehe ich Einzelheiten. Mein Wissen half mir, einen Studienplatz an der renommierten Shukowski-Militärakademie für Ingenieurwesen in der Luftfahrt regelrecht „zu erobern“. Nach fünf Jahren verteidigte ich meine Diplomarbeit auf Russisch mit „Gut“ und kam mit meiner russischen Ehefrau zurück in die Heimat.


Auch heute noch habe ich Freunde in Russland, dazu auch in der Ukraine, wo ich seit 17 Jahren bei meiner ukrainischen Ehefrau wohne. Alles deswegen, weil ich mit meinen Sprachkenntnissen 1995 aus der Arbeitslosigkeit in die Anstellung bei einem deutschen Kleinunternehmen wechseln konnte, für das ich in der Ukraine zu arbeiten begann. Hier bekam ich dann auch mit, dass die ukrainische Sprache kein Dialekt des Russischen ist, sondern eine eigenständige slawische Sprache. Etwas melodischer als die russische, mit einigen Brücken zum Polnischen. Beide Sprachen schreiben mit dem kyrillische Alphabet – allerdings gibt es fünf Buchstaben im Ukrainischen mehr, welche solche aus dem Russischen ersetzen oder darin fehlen.
Während ich diese Zeilen schrieb, hörte ich ein Fernsehinterwiev mit der ukrainischen Schauspielerin Klara Nowikowa. Sie bestätigte das, was vor allem russische Satiriker immer wieder bemerken. Russische Emigrantinnen bringen häufig zu Auftritten der Künstler aus der Heimat ihre amerikanischen (englischen) Männer (Partner) mit. Die haben meist nicht viel von der Veranstaltung, weil sie oft auf Wortspiele der reichen russischen Sprache keinen „Zugriff“ haben. Die englischsprachige Welt ist in der Hinsicht „sprachlich ärmer“.

Die Situation habe ich in Deutschland ebenfalls nicht selten. Ein intelligenter russischer/ukrainischer Scherz „kommt nicht an“ – es fehlt der einfach der Hintergrund einer anderen sprachlichen Kultur. Kein Vorwurf – sondern lediglich eine Tatsache, von der anderen Seite nicht verschuldet.

Zum Thema werde ich morgen fortsetzen. Denn es ist etwas zu umfangreich, um in einen einzigen Post zu passen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



Sonntag, 15. Juli 2012

Deutschland gut informiert?


Gestern Abend habe ich mich wieder geschämt für die deutsche Medienlandschaft – ohne etwas Genaueres zu wissen. Ist eigentlich nicht meine Art, Unbewiesenes zu veröffentlichen. Nur war die Situation so, dass ich nicht anders konnte.

Als wir gegen 23 Uhr Ortszeit (in D. 22 Uhr) noch den Fernseher einschalteten, war gerade der russische Präsident Putin im Bild, umringt von einer Menschenmenge. Sein Arbeitsbesuch aktuell in Krymsk, der von Fluten fast weggespülten Stadt im Kubangebiet.

Wladimir Wladimirowitsch hatte nicht nur viel Geduld und Verständnis für die ihn umgebenden Leute – er war auch in seinen Entscheidungen knapp und konkret. Dass Kinder betroffener Familien sofort in Ferienlager gebracht werden sollen, war schon geregelt, noch bevor wir eingeschaltet hatten – man bezog sich anschließend darauf. Denn es gäbe noch alte Menschen und Invaliden in der Stadt, welche sich beim Aufräumen auch bei gutem Willen nicht einbringen könnten. Bemerkung zum Gouverneur: „Haben wir nicht bedacht. Eine Lösung wie für die Kinder sollte gefunden werden für jene, welche das wünschen.“ Der notierte sich das…
„Was ist mit den Schwangeren, Wladimir Wladimirowitsch?“ „Wann ist es bei ihnen denn so weit?“ „In zwei Wochen etwa.“ Mit Vor- und Vatersnamen an den Gouverneur: „Diese Frauen sollten in besseren Bedingungen ihre Kinder zur Welt bringen dürfen. Sorgen sie dafür.“

Auf die Bemerkung, dass er wohl geantwortet habe und man sich im Fernsehen doch die Zusammenfassung ansehen könnte, von weit weg die Stimme einer Frau: „Wie denn - der ist doch mit ertrunken und weggeräumt.“ „Kommen sie bitte heran.“ Die etwa 70 Jahre alte weißhaarige Frau wurde von der Menge – ja, sicher auch von der „Securité“ – durchgelassen. Mit Handschlag begrüßt und befragt. Nach ihrer Antwort: „Das wiederhole ich hier noch einmal laut für Alle: die Kommission zur Schadensfestlegung hat Mitglieder aus der betroffenen Bevölkerung bei ihrer Arbeit einzubeziehen.“
Einzelheiten lasse ich hier aus.

Dann mein Ärgernis. 
Ein untersetzter, halb bekleideter Mann formulierte: „Wir haben deutsche Freunde. Die sagen sehr bestimmt, dass durch Fehlentscheidungen zum Öffnen der Schleusen an den Talsperren die Situation verschlimmert wurde.“
Lächeln beim ersten Teil der Antwort: „Seit Peter I. fragen wir schon bei unseren deutschen Freunden nach. Ich habe dort nicht gerade wenige.“ Dann ernsthaft: „An den Talsperren gibt es keine Schleusen. Nur Überläufe – in der Art umgekippter Trichter. Die lassen nur eine begrenzte Menge ablaufen. Außerdem hat – es folgte Vorname und Vatersname des Ministers für Zivilverteidigung – schon dafür gesorgt, dass sich Bürger der Stadt bei einem Rundflug per Hubschrauber davon überzeugen konnten. Wenn sie und andere Anwesende das wollen, gibt es dazu erneut eine Möglichkeit.“ Ein Wink zum Minister – dessen Nicken bestätigte den empfangenen Befehl.
Aus der Menge ein Ruf: „Die Schleusen sind da – aber unterirdisch.“ „Aber ich bitte sie – das sind Stauwerke und keine Wasserkraftwerke.“

Doch es kam noch dicker. Allerding ohne Quellenangabe. Der ebenfalls wegen der Hitze nur notdürftig bekleidete, kräftig gewachsene Mann wendete sich direkt an den Präsidenten, von welchem er etwa zwei Meter entfernt stand. „Haben sie schon erfahren, dass durch die Stadt eine große Straße zum Hafen gebaut werden soll?“ „Zu welchem Hafen?“ „Nach Noworossiisk.“ „Nein. Aber weshalb diese Frage?“ „Durch das Wegschwemmen der Stadt sollte Bauland dafür preiswerter gemacht werden.“

Die Antwort in etwa – ich habe sie wegen der Erregung, die mich wegen dieser Gemeinheit augenblicklich packte, nur zum Bruchteil verstanden:
„Und sie glauben, dass dafür Menschenleben geopfert werden?“

Schnitt in der Berichterstattung – ein Arbeitsraum. Wladimir Putin sehr ruhig und konzentriert, vor seinen Notizen. Seine Fragen an die Verantwortlichen klar wie seine Weisungen. „Was sagen die Festlegungen über Ausgleichszahlungen aus?“ Der Minister für Zivilverteidigung hat fast augenblicklich den Text vor sich: „Je Person erste Zahlung einmal 10.000 Rubel, gesamt für eine Familie nicht mehr als 50.000 Rubel.“ „Das muss geändert werden. Das Geld ist da. Pro Person diese erste Hilfe – ohne Begrenzung, selbst wenn in der Familie 10 Personen sind. Das gilt auch für alle anderen Summen. Die eben genannten Festlegungen der Regierung werden geändert.“
Kinderferienlager, Hilfe für Invaliden, Gebrechliche, alte Leute, Schwangere – nichts bleibt draußen vor. Immer wieder: „Schnell helfen. Wer organisiert die Auszahlstellen?“ Der Beamte erhob sich. „Nehmen sie Platz. Die Leute beschweren sich, dass sie bei diesen Bedingungen in endlosen Schlangen warten müssen. Was hindert sie, mehr und günstiger gelegene „Filialen“ zu eröffnen. Bei meinem nächsten Besuch werde ich mich in eine solche Schlange stellen…“

Wer gutwillig ist, kann Russland zu einem so tatkräftigen Präsidenten nur beglückwünschen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



Samstag, 14. Juli 2012

Nur unfair oder gewissenlos?


Noch einmal zur schwer betroffenen Kuban-Region. Zur Stadt Krymsk. Zwei Ereignisse zur Beurteilung.

In der leidgeprüften Stadt tauchten nach dem ersten Abebben der Flutwelle zwei Gerüchte auf. Das erste: die zweite Welle kommt in wenigen Stunden. Nicht wenige der schon so zu Tode erschreckten Einwohner verließen unter Einfluss dieser gewissenlos ausgestreuten Nachricht selbst sichere Plätze, auf denen sie Zuflucht gefunden hatten. Was müssen der bzw. die "Erfinder" dieser "Tatsache" für gewissenlose Personen sein? Es wurde nie festgestellt, woher das Gerücht kam ...

Das zweite Gerücht: die Flutwelle war durch die verantwortungslos festgelegte  Teilentleerung einer am Oberlauf des Bergflusses gelegenen Talsperre verstärkt worden.  

Im Post „Hochwasser und mehr …“ habe ich bereits berichtet, dass der russische Präsident auf einer Sondersitzung vor Ort dieses Gerücht sofort widerlegt hatte.

Im Anschluss daran wurden einige Einwohner der Stadt mit einem Hubschrauber des Katastrophen-Ministeriums über zwei in Frage kommende Talsperren geflogen, und das so, dass sie alle wesentlichen Punkte in langsamem und auch tiefem Überflug betrachten konnten. Ein Mann erläuterte im Fernsehen sogar das Gesehene: „Die Überläufe sind große Trichter, über deren Rand überflüssiges Wasser abläuft. Schleusentore für technologische Entleerung gibt es keine.“

Dass sich das Leben in der Stadt zunehmend normalisiert, kann aus jeder Nachrichtensendung entnommen werden. Langsam, aber stetig. Auch, dass für den Aufbau von neuen Häusern durch den Premierminister enge Zeitrahmen gesetzt wurden.

Nun hat das Parlament wohl das Recht, eine Sonderkommission zu benennen, welche die Vorgänge untersucht, auch Vernachlässigungen aufdecken soll – so weit, so gut.

Wenn jedoch vor allem in den elektronischen Medien der Opposition immer wieder das Argument des „unverantwortlichen Ablassens von Wasser aus den Talsperren“ angeboten wird – dann siehe Überschrift.

Versuchen Sie bitte einmal, durch einen Trichter ein Gefäß zu befüllen. Wenn Sie oben mehr hineinschütten, als der „Hals“ durchlassen kann – dann gibt es Rückstau, der Trichter läuft nach den Seiten über. Physikalisch lässt sich schon vor dem Bau einer Talsperre festlegen – durch die Wahl des „Kehlendurchmessers“ – wieviel Wasser  maximal „überlaufen“ kann. Danach ist Schluss.
Kann oder will ein böswilliger Teil politischer Opposition nicht verstehen, dass physikalische Gesetze nicht wie andere umgangen werden können?

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






Mittwoch, 11. Juli 2012

Mein Minister ...

        Wenn ich aus der Regierung Putin einen Minister besonders mochte - dann war das der Minister für Zivilverteidigung und Katastrophenschutz Sergeij Schoigu. Dieser Mann war immer knapp, konkret und höflich. Ihn habe ich ein einziges Mal unbeherrscht erlebt. Als in einem Gebiet fünf Tage lang Wald brannte - auf nicht besonders großer Fläche. Ich erinnere mich in etwa an seine Worte in der Dienstbesprechung per Fernsehverbindung: "Die Bevölkerung wendet sich schon  direkt an mich. Wenn ihr alle rausgefahren währt, hättet ihr das Feuer längst mit euren Füßen austreten können. Morgen früh will ich Namen und Dienstgrade der Verantwortlichen auf meinem Schreibtisch haben!"


        Heute ist Sergeij Schoigu der Gouverneur des Gebietes Moskau. Keine leicht Aufgabe. Bisher fehlte er mir auf seinem vorherigen Platz. Nun habe ich heute erstmals den Mann kennen gelernt, der die Ministerfunktion übernommen hat - Wladimir Putschkow. Als er - höflich und bestimmt - den Einwohner einer Randgemeinde von Krymsk in der Katastrophenregion des Kuban versprach, dass eine Brigade des Ministeriums die zerstörte Brücke aufbauen wird. Der Mann hält, was er verspricht - mein erster Eindruck.


        Damit sind wir wieder in der Katastrophenregion. Das, was ich schon in meinem Post "Gegensätze" formulierte, hat sich weiter entwickelt. Aus dem ganzen Land treffen Hilfsgüter ein, Aber nicht nur das.


        Es gibt Dinge, die so rasch nicht zu erledigen sind. Unter der brennenden Sonne liegen fast noch überall, besonders in den Randgebieten von Krymsk , die Kadaver von Haustieren. Auf deutsch: es stinkt bestialisch. Außerdem besteht die Gefahr von Krankheiten. Seitens der staatlichen Stellen wird mit Impfungen versucht, deren Ausbruch zu verhindern.


        Zurück zu den Berichten vorher. Die Sach- und Geldspenden sind eine Seite. Der persönliche Einsatz die andere. Da kommt ein Unternehmer aus der weiteren Umgebung (habe den Ort nicht erfasst), um Brei aus der hier geschätzten Buchweizengrütze zu kochen und zu verteilen - angereichert mit Fleisch aus Konservenbüchsen .


        Der Besitzer von zwei Apotheken, auch aus der weiteren Umgebung, war kurz angebunden: "Die Medikamente sind da, wo sie richtig angewendet werden. Das Trinkwasser hier wird gebraucht. Keine Zeit - muss ausladen." 


        Dann die Studenten - Vorläufig erst zwischen 50 und 100 Personen. Freiwilliger Einsatz. Junge Gesichter und tatkräftige Hände. "Hier werden wir gebraucht!" Alles.




Bleiben Sie recht gesund!


Ihr


Siegfried Newiger














Dienstag, 10. Juli 2012

Nach Jahrzehnten ...

        Hierher gehören eigentlich weniger aktuelle Begegnungen, wenn ich die nicht selbst organisiert habe. Die heutige - eine Ausnahme. Wir kamen - verschwitzt ich bzw. nass vom Bad vor der Brücke unser Hund -  einen kleinen Abhang hinauf, als mich etwas keuchend ein Mann einholte und einen "Guten Morgen!" entbot. Ich schaute ihn an - kein Funken einer Erinnerung.

        Pjotr Grigorjewitsch - wie sich später herausstellte - bat darum, mir eine Frage stellen zu dürfen. Das erlaubte ich. "Was für ein Deutscher sind sie? DDR oder Bundesrepublik?"

        Da musste ich prinzipiell werden: "Geboren als einfach Deutscher in Ostpreußen (Preußisch-Eylau, heute Gebiet Kaliningrad, Stadt Bagrationowsk), nach Flucht vor der Ostfront 1945 in der späteren Ostzone angekommen, danach Bürger der DDR geworden und heute einer der BRD."

        Er sagte darauf: "Also einer von den Deutschen, die noch ein wenig das sowjetische System kennen." Ich stimmte zu  Danach kam eine erstaunliche Unterhaltung, welche etwa in Folgendem endete.

        "Mein Vater wurde 1943 verschleppt, nach Deutschland. Als Ostarbeiter. Er arbeitete bei einer Bauernfamilie in der Nähe von Bamberg (auch nach längerem Nachfragen keine genauere Ortsbestimmung möglich). Dort waren bei der Familie Fritz Schwarzmann  (vielleicht auch Schwartsmann) noch ein polnischer und ein französischer Fremdarbeiter. Die Familie war zu uns wie zu deutschen Arbeitern. Wir bekamen aus dem gleichen Topf zu essen wie alle. Um sich vor unangenehmen Folgen plötzlicher Kontrollen zu schützen, aßen wir drei allerdings an einem Tisch abseits. Was mich besonders beeindruckte, war bei den Deutschen die Ordnung auch in äußerlichen Dingen. Ein Beispiel: hin und wieder mussten wir zum Friseur. Dort hielt der Meister streng die Reihenfolge ein - war der Fremdarbeiter zuerst gekommen, wurde der auch zuerst bedient."

        Der 74-jährige Pjotr Grigorjewitsch schloss: "Mein Ziel in der Unterhaltung mit ihnen ist es, einen Weg zu suchen, die Familie Schwarzmann zu finden. Ich will nicht nach Deutschland. Aber selbst wenn Fritz Schwarzmann nicht mehr lebt - ich möchte seiner Familie Dank sagen für ihr menschliches Verhalten gegenüber meinem Vater, den sie mir so erhalten haben."

        Es gab in der Zeit der 17 Jahre, die ich hier lebe, nicht selten Begegnungen mit mir unangenehmen Berichten über für die damaligen Kinder unvorstellbaren Grausamkeiten deutscher Besatzer.

        Aber ebenso oft wurde mir von den "guten Deutschen" unter den Angehörigen der deutschen Wehrmacht berichtet - leider ohne Vor- und Familiennamen.

        Sollte zufällig jemand meiner Leser die genannte Familie Schwarzmann oder deren Kinder und Enkel kennen - bitte berichten sie ihr davon, wie ihre Eltern und vielleicht auch sie selbst als Kinder dem Begriff "DEUTSCHER" alle Ehre gemacht haben. Dass auch ich ihnen dafür meine Hochachtung und meinen Dank ausspreche!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



Montag, 9. Juli 2012

Gegensätze …


                Es ist ein Tag der Trauer in Russland - aber auch ein Arbeitstag.

                Was macht ihn für mich so wichtig?

                Das, was das russische Fernsehen von der Aussichtsplattform auf den Moskauer Sperlingsbergen zeigte. Dort – wie auch an anderen Stellen der Hauptstadt und im ganzen Lande sind Sammelstellen für Hilfsgüter eingerichtet. Um zum Beispiel den schwer betroffenen Opfern der Flutkatastrophe in Krymsk und andere Orten der Kubanregion zu helfen.

               Den Namen des Rentners habe ich so rasch nicht behalten können. Er hat außerhalb der Stadt, wo er auf der Datsche sich erholt und von dem Unheil gehört hat, in dem kleinen Laden für fast seine gesamte Rente Konserven, Grütze, Erbsen, Zucker und sogar Toilettenpapier aufgekauft. Sie am Sammelpunkt abgeliefert mit der Bemerkung: „Die Leute dort haben absolut nichts mehr. Die brauchen das. Ich komme bis zur nächsten Rentenzahlung schon irgendwie hin.“

               Es war zu sehen, dass er bei weitem  nicht der einzigste Spender war. Die Organisatoren haben die Bevölkerung gebeten, gegen 23 Uhr mit beim Beladen der LKW zu helfen, welche gegen Mitternacht abfahren sollen. Ich bin sicher – die kommen rechtzeitig auf ihren langen guten Weg.

               Arbeitssitzungen bei Präsident und Premierminister. Nicht gemeinsam. Aber mit der Schweigeminute eröffnet. Putin ließ sich nochmals bestätigen, dass die Wasserwirtschaftler der Region durch Ablassen aus den Talsperren keine Mitschuld an der Naturkatastrophe haben. Dann eine Bemerkung des Innenministers: „Neben mutigem Verhalten und teilweise auch Heldentum gibt es leider auch den Gegensatz. Drei Fälle von Marodeuren – sie sind festgenommen.“ Putin: „Sie sollen nach unseren Gesetzen bestraft werden.“

               Seine Anweisung an alle damit befassten Amtsträger: „Es sind alle Hilfsmaßnahmen unverzüglich zu organisieren – einschließlich der Auszahlung der bewilligten finanziellen Mittel.“
               Mein deutsches Sprichwort: „Wer rasch hilft, hilft doppelt.“

               Noch eine Veranstaltung mit dem Präsidenten. Treffen der russischen Botschafter aus aller Welt. Das findet alle zwei Jahre statt. Sinngemäß Wladimir Wladimirowitsch: „Wir haben im Allgemeinen unsere Hausaufgaben gemacht. Aber viele Kollegen aus anderen Teilen der Welt sind uns einige Schritte voraus. Die Darstellung unseres Landes im Ausland beeinflussen wir zu wenig. Der Begriff „Russland“ ist in vielen Ländern häufig noch mit unvorteilhaften Stereotypen verbunden. Es sollte mehr Fantasie bei ihnen einziehen. Russland braucht sich mit seinem Anteil an der Weltwirtschaft, der Weltkultur und der Wissenschaft in der Welt nicht zu verstecken. Auch haben alle unsere Bürger im Ausland Anspruch auf ihre Hilfe, wenn sie die benötigen.“

               Putin weiß, wovon er spricht. Ohne unnütze Worte einzusetzen. Die Tatsache, dass das Außenministerium Russlands heute auch erstmals eine „Truppenfahne“ bekam – man verzeihe mir Berufsmilitär diese Bezeichnung - ändert nichts an den genannten Tatsachen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger

               

Samstag, 7. Juli 2012

Hochwasser und mehr ...

             
Als erstes: mein aufrichtiges Beileid all jenen, die in der Kuban-Region Angehörige verloren haben und auch denen, die um ihre Lieben aus der Autobuskatastrophe in der Ukraine trauern!


            Wenn Naturkatastrophen und solche mit Ursachen aus dem Bereich menschlicher Verantwortung auch nicht verglichen werden können, dann gibt es doch hier einige Züge, die mir erwähnenswert sind. 


            Wesentlich erstens das, was für dieses Land typisch ist: der Schulterschluss in schweren Stunden. Dafür bedankte sich der Gouverneur des Gebietes Krasnodar auch im Fernsehen bei seinen Landsleuten. Der morgige Tag wurde zum Trauertag in der Region erklärt, in der mehr als 140 Menschen ihr Leben lassen mussten.


            Dann etwas, was in Westeuropa weniger üblich ist: die regierungsamtliche Sorge um die Bürger - für mich ein besonderer Strich in der sozialpolitischen Landschaft. 


            Dass unmittelbar mit dem Montag Auszahlungen für das Lebensnotwendigste aus dem Budget der Gebietsregierung, aber auch aus dem Staatssäckel festgelegt wurden, ist an sich schon beachtenswert.  Doch aus den Ausführungen von Wladimir Putin und dem oben genannten Gouverneur folgt, dass das, was im Westen Versicherungen leisten, hier von staatlicher Seite und von regionalen Organen zu bestimmten Teilen übernommen wird.


            In Zahlen:


            - eine erste Hilfe in Höhe von 10.000 Rubel (etwa 250 Euro);
            - eine Hilfe je Familienmitglied 150.00 Rubel (etwa 3.750 Euro);
            - eine sogenannte "Kompensation" für eine tödlich verunglückte Person
              2.000.000 Rubel (etwa 50.000 Euro);  
            - der Aufbau zerstörter Häuser an weniger gefährlichen Stellen 
               zu je 50% aus dem Budget des Staates und aus dem des Gebietes.

               Auf einer Sondersitzung mit dem Gouverneur des Gebietes und dem Bürgermeister der am meisten betroffenen Stadt Krymsk überzeugte sich Präsident Putin unter anderem davon, dass eine nahe gelegene Talsperre keine technische Vorrichtung zu Ablassen von Wasser hat, lediglich einen typischen Überlauf - damit ohne einen Hinweis darauf die Gerüchte unterbindend, dass von dort eine Verschlimmerung der Situation eingeleitet worden war.
           
             Wer die Sowjetunion noch etwas aus dem Inneren kennt, weiß, dass diese öffentliche Handhabung der Probleme und deren operative Lösung bei weitem nicht so entwickelt war.


            Noch deutlicher wird das mit dem Einsatz von zwei Spezialflugzeugen des Ministeriums für Katastrophenschutz, um geschädigte und schwer verunglückte russische Pilger - leider auch 14 Tote -  aus der Ukraine auszufliegen. Das andererseits  - auch durch dieses Ministerium organisiert - mit 3 Schwerkranken aus einem südasiatischen Land. 


            Es wird immer deutlicher - der russische Bürger kann sich wie im Inland als auch im Ausland zunehmend auf Hilfe durch seinen Staat verlassen. Wenn auch - wie das Präsident Wladimir Putin und Premierminister Dmitrij Medwedjew deutlich sehen und sagen - einige Barrieren bürokratischer Art noch zu überwinden sind. 


            Nachtrag: aus Anlass beider Katastrophen wurde mit Dekret (ukas) des Präsidenten der 9. Juli 2012  zum russlandweiten Trauertag erklärt.

Bleiben Sie recht gesund!


Ihr


Siegfried Newiger


          
            






       


                

Freitag, 6. Juli 2012

Gibst du mir ...


               Was sucht denn der Westen im Ostblock-Blog?

               Im Ostblock seligen Angedenkens haben wir von der Sowjetunion siegen lernen dürfen. Die Vorbildrolle hat jetzt Supermann Westen mit allen seinen Eigenarten übernommen.

Eine davon ist es, die Geschichte ein wenig „aufzuarbeiten“. Wobei ich immer an den Spruch von Samuel Butler denken muss: „Der Unterschied zwischen Gott und den Historikern besteht hauptsächlich darin, dass Gott die Vergangenheit nicht mehr ändern kann.“                                                    


Die Vorbilder für viel Vernünftiges bekommen wir also aus der „anderen Himmelsrichtung“. Da es in der Natur kein Sonnenlicht ohne Schatten gibt – für die Meinung bekam ich, ohne Dissident zu sein, auch ehemals meine Prügel – wird einiges nur nicht so dicht an den betroffenen Verbraucher herangetragen. Etwas nicht aussprechen (nicht berichten …) ist nur moralisch – es wird auf diese Weise niemand sagen können, dass das Medium gelogen hat. Der Bürger kann sich doch bei anderen informieren … 
Das ist angeblich Freiheit …

Da haben wir nun erneut einige Vorbilder. Für die gesamte Welt. Betrug am Kunden zum doppelten Schaden dessen – finanziell und auch mit Nebenwirkungen – und ein Beweis für die Moral in der „guten“ Gesellschaft.

Das britische Unternehmen GlaxoSmithKline (GSK) muss 3 Milliarden Dollar (etwa 2,4 Milliarden Euro) als Strafe zahlen. Ein Grund des Urteils: irreführenden Vermarktung von Medikamenten. Wie die Antidepressiva Paxil und Wellbutrin,  aber auch das Diabetesmittel Avandia. Die moralisch beruhigende Nachricht: das Unternehmen hat sich schuldig bekannt. Moralisch auch im Sinne der Aktionäre: die Pharmafirma hatte bereits im vergangenen Jahr entsprechende Rückstellungen gebildet.

Was unmoralisch noch dran hängt, ist etwas untergegangen: Betrug des staatlichen Gesundheitssystems Medicaid (überhöhte Preise), Bestechung von „gutwilligen“ Ärzten mit sehr unterschiedlichen Mitteln wie Reisen, teuere Geschenke … und anderes.
Das Glaxo die Mängel abgestellt hat – abwarten …

Denn die Sache hat doch System. In 2009 musste Pfizer 2,3 Milliarden Dollar bei identischen Vorwürfen zahlen, die Firma Eli Lilly in ähnlichem Fall 1,4 Milliarden US-Dollar.

Selbst unser bekanntester Pamperser Johnson & Johnson (J&J) ist im US-Bundesstaat Arkansas zu einer Buße von 1,1 Milliarden Dollar verurteilt worden.  Das Medikament Risperdal zur Behandlung von Schizophrenie wurde auf betrügerische Weise vermarktet, tausende Ärzte getäuscht, weil das Medikament als besser und sicherer als Konkurrenzprodukte angepriesen wurde – so das noch nicht rechtskräftige Urteil.

               Aber auch namhafte deutsche Konzerne sind schon für Bestechung nicht nur in den USA verurteilt worden – die Tatsachen sind bei den meisten Leuten inzwischen wieder vergessen worden. (Quelle: „Welt online“ vom 24.03.2010). Da figurieren Daimler, Siemens, MAN, Thyssen, die Bundesbahn – es wird langweilig … In Russland soll Daimler für seine Fahrzeuge überhöhte Preise vom Staat verlangt und das zuviel gezahlte Geld an die Auftraggeber zurücküberwiesen haben…

Der „saubermachende“ Teil: 

es gibt in den Großkonzernen inzwischen Antikorruptionseinheiten.

"Natürlich sind nach dem Fall Siemens alle sensibler geworden", sagt Birgit Galley, eine der führenden Korruptionsexpertinnen in Deutschland. "Dennoch sehen wir bei den Fällen oft nur die Spitze des Eisbergs." Das Dunkelfeld bei Korruption sei weiterhin sehr groß.

Wenn Wladimir Wladimirowitsch Putin heute von den Schwierigkeiten bei der Bekämpfung der Korruption in Russland spricht, hat er nicht nur aktuelle Probleme mit den eigenen Leuten, die nun schon seit 20 Jahren das „Wirtschaften“ mit solchen und ähnlichen westlichen Vorbildern lernen. Sondern auch mit historischen Belegen.

Da gibt es aus dem 18. Jahrhundert zum Beispiel von Michail Tschulkow „Der kostbare Hecht“ (Altrussiche Dichtung aus dem 11.-18. Jahrhundert, Reclam, 1977). Darin verkauft ein Fischer einen riesigen Hecht zu unterschiedlichsten Preisen im Auftrag des Wojewoden, der jegliche andere Geschenke ablehnte. Angeblich mochte er Hecht. Der lebende Hecht kam nie in die Küche, sondern zurück in den Fischkasten zum Fischer.

Oder, wer das gelesen oder gesehen hat – von Nikolai Gogol „Der Revisor“ –  das Hohelied der der Bestechlichkeit und Korruption im Russland seiner Zeit.

Tschulkow schreibt: „Sie getrauten sich nicht, offen Schmiergelder anzunehmen, sondern ließen sie durch geheime Kanäle fließen, die sie so geschickt verschleierten, dass bisweilen sie sogar äußerst scharfsichtige Leute sie nicht wahrnehmen oder irgendwie dahinter kommen konnten.  Die Aufzählung selbiger listiger Kniffe – …… würde fünf Teile des „Spötters“ ausmachen ….. uns fehlt ja hier nur das zwanzigste Kapitel. Demzufolge ….. wollen uns jetzt auf nur einen dieser Tricks beschränken…….“.

Dieses Schema ist überall gleich – ob in Osten oder Westen.

Für Putin und andere, allerdings Korruptionsexperten ein schweres Brot. Zum Beispiel: die Untersuchungen gegen Glaxo begannen vor 8 Jahren …
Die „Welt online“ vom 16.03.2012 schreibt unter „Verlotterung der Sitten“, dass die Korruption Deutschland jährlich bis zu 250 Milliarden Euro kostet. Zitat: „Die Antikorruptionsorganisation Transparency International veröffentlicht jedes Jahr einen Korruptionswahrnehmungsindex. In diesem Jahr liegt Deutschland auf Rang 14 von 182 …“ Russland kommt auf Rang 143 ein...

Beachtenswert auch die „taz.de“ vom 07.11.2011 – „Eine schmierige Geschichte“


 Worum geht es mir hier?
Um eindeutige Stellungnahme – für Putin und Medwedjew.
Das sind mitnichten Don Quichote und Sancho Pansa. Auch wenn die russischen Windmühlen extrem lange Flügel haben. Beide kennen die Probleme, beide bekennen sich zu denen und beide stehen dafür ein, dass ein effektiveres Spektrum an Maßnahmen eingesetzt wird. Der Rücktritt einiger Gouverneure noch vor erneuter Amtseinführung Putins hat doch mit seinen programmatischen Aufsätzen vor der Wahl zu tun. Darin ist unter anderem auch von der erhöhten individuellen Verantwortung von Amtsträgern die Rede …
Beide haben eindeutig erkannt, dass (Zitat „Welt online“): „Der finanzielle Schaden, den Korruption in einer Volkswirtschaft anrichtet, besteht laut Wirtschaftswissenschaftlern hauptsächlich darin, dass durch Bestechung bei der Vergabe von Aufträgen nicht immer derjenige Anbieter zum Zuge kommt, der das beste und günstigste Angebot macht, was zu geringeren Ausgaben für diese Investitionsprojekte führt. Dadurch wird das Wirtschaftswachstum gehemmt.“ Dem wirken sie entgegen – auch wenn die freiwillige deutsche Unterstützung der „armen russischen Beamten“ mit unterschiedlichster „Hilfe“ ein wenig kontraproduktiv ist …

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger


Montag, 2. Juli 2012

Bild der Deutschen


Meine hatten alle Schlüssel mitgenommen – mich eingesperrt. So konnte ich den ukrainischen Provider nicht rechtzeitig bezahlen – und war zwei Tage ohne Internet.

Das hier berichtete war am 29.06.2012 beschrieben worden. Nur ein Ereignis am Rande –  nicht gleich so wichtig – oder?

               Wir waren am Vortag aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Charkow (hier sind 150 km der deutsche „Katzensprung“) heimgekehrt. Von unserer Freundin Maria Iwanowna, ehemalige Mathematiklehrerin, Lehrerin auch für Geschichte. Nach dem Tod ihres Mannes vor 4 Jahren sehr einsam geworden. So, wie es der Victor Hugo ausdrückt: „Die ganze Hölle ist in dem einen Wort geborgen: Einsamkeit.“
Die damaligen Strukturen sind zerfallen, die Jugend hat meist das Dorf verlassen, „Jeder stirbt für sich allein.“ heißt es bei Fallada. Die Enkelin einer ihrer Freundinnen hatte sie sich für einige Wochen „ausgeliehen“ – da war jemand, der Abwechslung und das noch nicht vergessene, befriedigende Gefühl des „Gebrauchtwerdens“ ins Haus brachte.

               Mit dem aus seinem Wohnort herbeigekommenen Sohn haben wir eine alte kleine Scheune abgerissen und ihr eine Sommerdusche in Gartennähe hin gebaut. Und gemeinsam gegessen, geschwatzt, grüne Erbsen ausgepahlt, und alles getan, was in einem großen Garten so anfällt. Wir waren ihr sehr erwünschte Gesellschaft.
               Der vorletzte unserer Tage bei ihr war der vierte Todestag ihres Mannes. Die beiden jungen Leute waren noch mit dem Abriss der Scheune beschäftigt – also gingen wir zu Dritt auf den Friedhof. Wir ließen die weinende Witwe allein die Zwiesprache mit ihrem Manne halten. Danach kamen zwei Rosen auf das Grab. Tote haben nur eine gerade Anzahl von Blumen zu bekommen – darauf wird streng geachtet. Zu Gratulationen aller Art immer schön aufpassen, dass in Sträußen eine ungradzahlige Menge an Blumen vorhanden ist … Am Kopfenden des Grabes wurde das obligatorische Wodkaglas auf einem Teller hingestellt, abgedeckt mit einer Scheibe Brot. Auf den Teller kamen noch Früchte, ein gekochtes Ei, einige Stücke Konfekt.  
               Auf einer Grabstätte in der Nähe wurde ebenfalls Konfekt abgelegt – erneut geradzahlig. Mir erklärten beide, dass dort die Eltern einer Freundin aus einem Ort bei Lwow liegen. Deren Mann ist vor kurzem gestorben, sie wird nie wieder finanziell in der Lage sein, hierher zu kommen. Also habe sie meine Natascha, die vor einiger Zeit dort bei ihr war, um etwas gebeten. Meine Gute holte ein Leinentüchlein hervor, tat in dieses vier Hände voll Erde von den Gräbern. Die wird sie jener Frau mitbringen – irgendwann im Herbst.

               Auf dem Rückweg fiel mir etwas ein. Am Fluss Ros, der durch Belaja Zerkov fließt, treffe ich gewöhnlich jeden Morgen beim Spaziergang mit unserem Hund einen 79 Jahre alten Angler, der sich immer gern mit mir unterhält. Vor unserer Abreise nach Charkow hatte er mir noch erklärt, dass er sein persönliches Verhältnis zu Angela Merkel überdenke, die sich offiziell geweigert habe, als Zuschauer an Spielen der deutschen Nationalmannschaft in der Ukraine dabei zu sein.
               Er hatte sich bei unglücklichem Umstand einen Riss in einem Fußknochen zugezogen und saß nun mit eingegipstem Fuß allein zu Hause. Denn eine Tochter lebt in Moldawien und hat dort Arbeit, die andere wohnt auch weit weg. Deshalb nahm ich aus dem Garten von Maria Iwanowna ein Plastetütchen voll grüner Erbsenschoten mit. Am Morgen nach der Rückkehr  besuchte ich ihn. Er war hoch erfreut – auch über das bescheidene Präsent. Wir haben uns angeregt unterhalten. Am nächsten Morgen wussten alle Männer am Wasser bereits von meinem Besuch bei „Petrowitsch“ – sein Vatersname.

               Am Abend dieses Tages gab es im ukrainischen Fernsehen eine kurze Szene: einheimische Rocker auf ihren martialisch geschmückten Motorrädern erwarten eine deutsche Delegation. Einer scherzte: „Wenn die uns so sehen, machen die gleich wieder kehrt.“

Dann kam eine Frau mittleren Alters in Bild. „Wir erwarten deutsche Freunde aus der Umgebung von Hamburg. Sie helfen uns schon seit Jahren bei der Betreuung von Opfern der Katastrophe von Tschernobyl. Sammeln Geld, beschaffen Medikamente. Alles aus Enthusiasmus, ohne geschäftliche Hintergründe.“ Und kurz danach ein Kleinbus sowie einige Männer auf mit deutschen und ukrainischen Fähnchen bestückten Fahrrädern. Ein höflich gesagt recht beleibter Herr antwortete dem Reporter: „Wir sind vor 9 Tagen in Hamburg aufgebrochen. Die Frauen im Bus, wir auf Rädern. Wir wollen ein Zeichen setzen. In dieser auf das Fußballspektakel konzentrierten Zeit daran erinnern, dass Tschernobyl nicht vergessen werden sollte.“

Bei mir gab es in dem Moment heimische Problemchen – ich konnte die Sendung leider nicht weiter verfolgen. Aber schon aus dem Gehörten meine Hochachtung für die Leistung der Radler. Von Hamburg nach Kiew sind es auf der Straße gute 2000 Kilometer. Also täglich mehr als 220 km im Fahrradsattel!

Als wir Mitte Mai nach Deutschland gefahren waren, erreichte uns die Nachricht vom Tode unseres Freundes Pjotr. Todesursache: Krebs. Stiefsohn Pavel, wegen einer merkwürdigen Visa-Verweigerung durch die Visastelle bei der deutschen Botschaft in Kiew daheim geblieben, kaufte einen Kranz und erschien als Vertreter unserer Familie bei der Beerdigung.
Gestern nun war „40-ster Tag“. 
Bei den orthodoxen Christen nicht nur dieses Landes, aber auch bei religiös nicht gebundenen Slawen streng eingehalten: am 9-ten und 40-sten Tag nach dem Tode und am Jahrestag des Todes wird ein Mittagessen gegeben für Verwandte und Freunde zu Ehren des Verstorbenen. Weil an diesem Tag Natascha zum Klassentreffen im Bautechnikum fuhr, gingen wir beiden Männer dahin. Pavel, Koch der 5. Kategorie – es gibt davon sechs – hatte auf Bitte der Witwe Fischbouletten und einen Kartoffel-Gemüse-Auflauf meisterhaft vorbereitet – deshalb waren wir vorzeitig da. In der Wohnung war es peinlich sauber und der Tisch bereits eingedeckt. Auf der Anrichte ein Bild des Heimgegangenen, mit schwarzem Flor. Davor ein Teller mit einem Löffel seitlich des mit Wodka gefüllten Glases, dieses von einer Brotscheibe abgedeckt. Auch bereits bekannte Sitte.

Die anderen Gäste kamen recht pünktlich. Zu Beginn des Essens erhoben sich alle – ich verspätet, weil überrascht. Es folgte ein eher gesungenes denn gesprochenes Vaterunser. Danach wurde – ohne anzustoßen – ein Gläschen darauf geleert, dass „ihm die Erde federleicht sein möge“.

Ohne Einzelheiten zu berichten – es kam doch die Sprache darauf, dass ich Deutscher bin. Dann folgte, ebenfalls unerwartet, im Gespräch am Tisch ein Bezug auf die Hamburger. Ja, auf jene, welche den Tschernobylopfern tätig helfen. Man hatte den Beitrag bis zum Ende gesehen! Die einhellige Meinung: prächtige Leute, diese Deutschen. Ich war etwas hin und her gerissen. Erst einmal positiv gestimmt.

Denn hier durfte ich stolz sein auf diese meine noch unbekannten Landsleute.

Denen möchte ich hiermit öffentlich Dank sagen!

Sie stellen den Ruf wieder her, welchen unsere Vorväter aufgebaut haben, den heute andere leider schon erfolgreich zunichtemachen. Da ich das auch schon erleben durfte, waren meine  Gefühle im Zwiespalt.

So ist sie, von innen betrachtet, die nun auch schon „meine“ Ukraine.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger