Dienstag, 10. Juli 2012

Nach Jahrzehnten ...

        Hierher gehören eigentlich weniger aktuelle Begegnungen, wenn ich die nicht selbst organisiert habe. Die heutige - eine Ausnahme. Wir kamen - verschwitzt ich bzw. nass vom Bad vor der Brücke unser Hund -  einen kleinen Abhang hinauf, als mich etwas keuchend ein Mann einholte und einen "Guten Morgen!" entbot. Ich schaute ihn an - kein Funken einer Erinnerung.

        Pjotr Grigorjewitsch - wie sich später herausstellte - bat darum, mir eine Frage stellen zu dürfen. Das erlaubte ich. "Was für ein Deutscher sind sie? DDR oder Bundesrepublik?"

        Da musste ich prinzipiell werden: "Geboren als einfach Deutscher in Ostpreußen (Preußisch-Eylau, heute Gebiet Kaliningrad, Stadt Bagrationowsk), nach Flucht vor der Ostfront 1945 in der späteren Ostzone angekommen, danach Bürger der DDR geworden und heute einer der BRD."

        Er sagte darauf: "Also einer von den Deutschen, die noch ein wenig das sowjetische System kennen." Ich stimmte zu  Danach kam eine erstaunliche Unterhaltung, welche etwa in Folgendem endete.

        "Mein Vater wurde 1943 verschleppt, nach Deutschland. Als Ostarbeiter. Er arbeitete bei einer Bauernfamilie in der Nähe von Bamberg (auch nach längerem Nachfragen keine genauere Ortsbestimmung möglich). Dort waren bei der Familie Fritz Schwarzmann  (vielleicht auch Schwartsmann) noch ein polnischer und ein französischer Fremdarbeiter. Die Familie war zu uns wie zu deutschen Arbeitern. Wir bekamen aus dem gleichen Topf zu essen wie alle. Um sich vor unangenehmen Folgen plötzlicher Kontrollen zu schützen, aßen wir drei allerdings an einem Tisch abseits. Was mich besonders beeindruckte, war bei den Deutschen die Ordnung auch in äußerlichen Dingen. Ein Beispiel: hin und wieder mussten wir zum Friseur. Dort hielt der Meister streng die Reihenfolge ein - war der Fremdarbeiter zuerst gekommen, wurde der auch zuerst bedient."

        Der 74-jährige Pjotr Grigorjewitsch schloss: "Mein Ziel in der Unterhaltung mit ihnen ist es, einen Weg zu suchen, die Familie Schwarzmann zu finden. Ich will nicht nach Deutschland. Aber selbst wenn Fritz Schwarzmann nicht mehr lebt - ich möchte seiner Familie Dank sagen für ihr menschliches Verhalten gegenüber meinem Vater, den sie mir so erhalten haben."

        Es gab in der Zeit der 17 Jahre, die ich hier lebe, nicht selten Begegnungen mit mir unangenehmen Berichten über für die damaligen Kinder unvorstellbaren Grausamkeiten deutscher Besatzer.

        Aber ebenso oft wurde mir von den "guten Deutschen" unter den Angehörigen der deutschen Wehrmacht berichtet - leider ohne Vor- und Familiennamen.

        Sollte zufällig jemand meiner Leser die genannte Familie Schwarzmann oder deren Kinder und Enkel kennen - bitte berichten sie ihr davon, wie ihre Eltern und vielleicht auch sie selbst als Kinder dem Begriff "DEUTSCHER" alle Ehre gemacht haben. Dass auch ich ihnen dafür meine Hochachtung und meinen Dank ausspreche!

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



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