Montag, 16. Juli 2012

Macht Russisch dumm? -Teil 1


Vor etwa einem Vierteljahr – in einer Berliner Straßenbahn. Mir schräg gegenüber saßen zwei ältere Frauen, Omas. Eine von ihnen sagte: „Mein Enkel ist ein ganz helles Bürschlein. Vor ein paar Tagen kam er heim und sagte: „Oma, ich kann ein Gedicht. Wer Englisch lernt, der wird ganz schlau – wer Russisch quatscht ist dumm wie Sau.“

So etwas kann ich nicht verkraften. Erst einmal fühle ich mich persönlich von einem absolut inkompetenten Dummerchen angegriffen. Das kann ich verkraften. Dass aber Erwachsene so etwas  auch noch laut von sich geben – das zeigt von Inkompetenz oder Bosheit auf einer fehlenden Basis. Also habe ich mich eingemischt mit dem Ergebnis, dass es keines gab. Ich konnte mich von böswilliger Haltung überzeugen – mehr nicht. Um einiges zum Kulturgut „Russische Sprache“ zu sagen, diese Einleitung.

Meine Bekanntschaft mit der russischen Sprache begann im September 1951. Ich kam in die damalige Oberschule Luckau, in die 9. Klasse. Als die Lehrerin für Russisch und Zeichnen in die Klasse kam, meinte ich bei mir, dass die weißhaarige alte Dame aus dem Baltikum uns wohl kaum viel beibringen kann. Fräulein Adolphi machte sich mit uns bekannt. Sie veranlasste den einen und die andere, den ihr genannten Familiennamen auszuschreiben. Um genau zu sein. Zu meinen sieben Buchstaben sagte sie: „Newiger, sie – ja, sie sagte „sie“ zu uns! – sie haben eine gute Handschrift. Sie müssen einen guten Charakter haben.“ Meine Meinung zu ihr wechselte sofort zum Gegenteil. Bis zum Abitur war ich ihr fleißigster Schüler – in Russisch. Mit Zeichnen habe ich noch heute meine Probleme.

Erst seit einiger Zeit weiß ich, dass Fräulein Adolphi einmal sehr großen Mut bewiesen hat. Wir sollten das Gedicht von Wladimir Majakowskij lernen, in dem es von einem Neger heißt: „Und Russisch lerne ich nur deshalb, weil Lenin Russisch gesprochen hat.“
Sie hat damals etwas gesagt, was bei der herrschenden Ordnung hätte anders enden können: „Russisch – das ist nicht nur die Sprache Lenins, sondern auch die von Puschkin, Dostojewskij, Lomonossow, Lermontow, Gogol, der großen Komponisten Tschaikowski, Rachmaninow, Borodin, Prokowjew, von Künstlern wie  Brjullow, Aiwasowskij, Repin,  bekannter Wissenschaftler und von mehr als 200 Millionen Menschen.“ Das beeindruckte mich damals schon – ohne die politische Brisanz zu ahnen.

Nach der Oberschule wurde ich Militär. Da gab es Kleidung, etwas zu Essen und Löhnung, mit einem Teil davon ich Mutti helfen konnte, die drei anderen Brüder „auf die Beine zu stellen“. Auch, weil ich meinte, dass ich so den eben erst zu Ende gegangenen Krieg nicht wieder aufflammen lassen zu helfen - also den Frieden zu schützen. Weil Russisch im "Warschauer Vertrag" die Kommandosprache" war, hatte ich einerseits keine Schwierigkeiten, zum anderen erweiterte ich bewusst laufend meinen aktiven Wortschatz.

Hier übergehe ich Einzelheiten. Mein Wissen half mir, einen Studienplatz an der renommierten Shukowski-Militärakademie für Ingenieurwesen in der Luftfahrt regelrecht „zu erobern“. Nach fünf Jahren verteidigte ich meine Diplomarbeit auf Russisch mit „Gut“ und kam mit meiner russischen Ehefrau zurück in die Heimat.


Auch heute noch habe ich Freunde in Russland, dazu auch in der Ukraine, wo ich seit 17 Jahren bei meiner ukrainischen Ehefrau wohne. Alles deswegen, weil ich mit meinen Sprachkenntnissen 1995 aus der Arbeitslosigkeit in die Anstellung bei einem deutschen Kleinunternehmen wechseln konnte, für das ich in der Ukraine zu arbeiten begann. Hier bekam ich dann auch mit, dass die ukrainische Sprache kein Dialekt des Russischen ist, sondern eine eigenständige slawische Sprache. Etwas melodischer als die russische, mit einigen Brücken zum Polnischen. Beide Sprachen schreiben mit dem kyrillische Alphabet – allerdings gibt es fünf Buchstaben im Ukrainischen mehr, welche solche aus dem Russischen ersetzen oder darin fehlen.
Während ich diese Zeilen schrieb, hörte ich ein Fernsehinterwiev mit der ukrainischen Schauspielerin Klara Nowikowa. Sie bestätigte das, was vor allem russische Satiriker immer wieder bemerken. Russische Emigrantinnen bringen häufig zu Auftritten der Künstler aus der Heimat ihre amerikanischen (englischen) Männer (Partner) mit. Die haben meist nicht viel von der Veranstaltung, weil sie oft auf Wortspiele der reichen russischen Sprache keinen „Zugriff“ haben. Die englischsprachige Welt ist in der Hinsicht „sprachlich ärmer“.

Die Situation habe ich in Deutschland ebenfalls nicht selten. Ein intelligenter russischer/ukrainischer Scherz „kommt nicht an“ – es fehlt der einfach der Hintergrund einer anderen sprachlichen Kultur. Kein Vorwurf – sondern lediglich eine Tatsache, von der anderen Seite nicht verschuldet.

Zum Thema werde ich morgen fortsetzen. Denn es ist etwas zu umfangreich, um in einen einzigen Post zu passen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



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