Sonntag, 12. August 2012

Ein Oberkommandierender packt aus


        Es war damals nicht ungewöhnlich, kritische Stimmen zum „Imker“ zu hören, wie der damalige Präsident Justshenko von seinen Landsleuten weniger liebevoll, sondern eher abschätzig genannt wurde.
         Zumindest unter denen, die in der Armee einmal gedient hatten oder noch aktiv waren, verlor er nach den hier geschilderten beiden Vorfällen alle Achtung.
         Da gab es als erstes die Parade zum Unabhängigkeitstag 2009.  Justshenko neigte schon immer zum Improvisieren. Als Präsident in Personalunion auch Oberkommandierender, sprach er zur Eröffnung der Zeremonie anlässlich dieses Feiertags 8 Minuten länger, als im Protokoll vorgesehen. Ohne Wesentliches zu sagen, wie meine Gesprächspartner außerordentlich höflich formulierten. 
        Wenn die Parade nur von reitenden Kosaken und marschierenden Grenadieren gestaltet worden wäre – kein Problem. Aber entsprechend Protokoll waren die teilnehmenden Gruppen fliegender Waffensysteme zur geplanten Zeit in die Luft befohlen worden. Panzer am Boden lassen sich stoppen, Hubschrauber können mit gebotener Umsicht sehr langsam fliegen. Aber wie zwingt man unterschiedlich schnell fliegende Jagdflugzeuge, Jagdbomber und große Transportflugzeuge in Vollkreise, aus denen sie nach Wunsch des OK jederzeit in voller Ordnung wieder in die Paradeformation abgerufen werden können? 
        Außerdem: diese Entwicklung hatte keiner der Kommandeure der Luftstreitkräfte vorausahnen und in einer Manövervariante planen können. Ein gutes, aus den Kriegen der Vergangenheit belegtes Beispiel, leider meist offiziell vergessen: es ist nicht immer der Gegner, welcher unsere Misserfolge und Niederlagen verursacht!
        Zurück zur Parade: kaum waren die Bodentruppen in Bewegung gekommen, als die „undisziplinierten“ Teilnehmer der ukrainischen Luftstreitkräfte in bester Ordnung über die erstaunten Besucher hinwegbrausten. Ihnen alle Achtung – sie erfüllten ihre friedliche Aufgabe mit der notwendigen Meisterschaft.
        Meine sachkundigen Gesprächspartner redeten in diesem Zusammenhang davon, dass der Oberkommandierende seinen sich am Boden redlich bemühenden Soldaten und Offizieren „die Show“ regelrecht gestohlen habe. Nicht nur, dass die extrem schwierige Vorbereitung der fliegenden Besatzungen durch diese seine Extravaganz an Effekt einbüßte – auch die marschierenden Einheiten, für deren Mühe in den heißen Tagen der Vorbereitung ein verdienter Beifall der Besucher erwartete Entschädigung sein sollte, gingen fast „leer“ aus. Welch eine untragbare Einstellung zur Arbeit großer Gruppen hochqualifizierter Spezialisten? – das fragten mich meine Gesprächspartner anschließend. 
        Ich kommentierte nicht. Auch hier berichte ich nur.

        Allerdings bekam ich etwa zwei Wochen später, soeben aus Deutschland zurückgekehrt, erneut Fragen gestellt. Die Fernsehsendung dazu hatte ich in Berlin über die „Schüssel“ gesehen. War aber nicht darauf gefasst, dass ich erneut so als „Schiedsrichter“ befragt werden würde.
        Nach einem Manöver der ukrainischen Schwarzmeerflotte hatte der OK den staunenden Journalisten sehr detailliert geschildert, wieviel Flugzeuge, Hubschrauber, Schiffe und Boote der ukrainischen Streitkräfte nicht gefechtsbereit sind, auch die beträchtlichen Prozentzahlen kampfunfähiger Panzer und Artilleriesysteme genannt. 
        Die mir bekannten ukrainischen Militärs und Reservisten waren geschockt. „Wie stimmt das mit unseren Gesetzen überein? Jeder Armeeangehörige, der solche Angaben nur über seine Einheit ausplaudert, kommt als Landesverräter vor das Tribunal!“ – das war die Meinung. Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Denn ich habe häufig das Problem, meinen Gesprächspartnern zu erklären, dass jede „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ des Landes meinen Aufenthalt hier unmöglich machen kann.

        Eine Meinung war besonders „merkwürdig“. Sie zeigt den hintergründigen Humor, der hier nicht selten ist. „Wollte er die Russen einladen, sich die Ukraine wieder einzuverleiben, wenn sie doch so wehrunfähig ist?“    Zwar habe ich vorsichtig gelacht – aber so eine Denkweise ist eher traurig – denn sie beweist die Wirkung politischer Stereotype. 

        In einer Umfrage vor den Präsidentenwahlen 2010 hat dieser Politiker mit rund 5 % der Stimmen ein Ergebnis erreicht, dass nach Meinung der Agentur das niedrigste war, das international jemals von einem Präsidenten im Amt erzielt wurde ... (Quelle: Wikipedia russisch)


Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger


    


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen