Montag, 29. Juli 2013

Kreuz und Kreuzer

In der Vorwoche wurde in Russland die Vorfeier zum „Tag der Taufe des russischen Volkes“ zelebriert. Dazu waren als Leihgabe aus Griechenland die Reste des Kreuzes gebracht worden, an dem nach der Überlieferung der Apostel Andreas der Erstberufene gekreuzigt wurde. Zu dieser hierher per Flugzeug transportierten Reliquie der orthodoxen Kirche bekamen die russischen Christen fast eine Woche lang Zutritt. Die Reihe der geduldigen Besucher war extrem lang und die Öffnungszeiten der russischen Hauptkirche mussten mehrfach den Bedürfnissen angepasst werden. Die Versorgung der Wartenden durch freiwillige Helfer mit Tee, Trinkwasser und einfachem Brei aus der hier geschätzten Buchweizengrütze war gewährleistet.
An einem feierlichen Gottesdienst mit dem russischen und ukrainischen Patriarchen in dieser  Kirche hatten die höchsten Kirchenvertreter aus insgesamt 15 Ländern teilgenommen. Sie waren anschließend auch von Präsident Putin empfangen worden.

Am gestrigen Sonntag nun gab es das erste zum Thema passende Ereignis in Kiew: die Eröffnung des Zutritts der hiesigen Gläubigen zu genannter Reliquie. Sie war am Vorabend mit einem Sonderzug aus Moskau hierher gebracht worden. Mit dem waren auch alle oben erwähnten Kirchenfürsten gekommen.
Mit einem hier so genannten VIP-Gottesdienst davor gab es das den eigentlichen Feiertag – zurückgehend auf den 28. Juli 988 – prägende Ereignis. Denn an ihm nahmen die Präsidenten der Ukraine, Russlands, Serbiens und Moldawiens teil. Sie bekreuzigten sich formvollendet.
Schon lange nicht mehr habe ich in den Massenmedien so häufig die Wortverbindung „Kiew – die Mutter der russischen Städte“ (Киевмать городов русских) gehört und gelesen wie an diesem Tag. Das erinnert mich an eine provozierende Frage: was ist der Unterschied zwischen Gott und Historikern? Die Antwort: der Allmächtige kann die Geschichte nicht mehr ändern…

Der – nicht immer ganz freiwillige – Taufakt vor 1025 Jahren im Dnepr wurde von Fürst Wladimir veranlasst. Deshalb besuchten die hohen Gäste auch den Wladimir-Hügel in Kiew. Besonders ist für mich anzumerken: der ukrainische Patriarch alle Zeit ohne Leibwache. Seine Antwort an Journalisten sinngemäß: „Für mich brauche ich keine Leibwache. Ich gehe mit Gott zum Volk. Warum mich dann abschotten? Der HERR ist mein Schutz.“
Verbindet ihn für mich deshalb ein wenig mit dem bescheideneren Papst aus Rom.
Hier ist anzumerken: ich bin Atheist.

An diesem Sonntag gab es eine militärische Komponente: der „Tag der russischen Kriegsmarine“ und jener auch der ukrainischen wurde hier in Sewastopol gemeinsam begangen. In dem Hafen, in welchem Teile der russischen Schwarzmeerflotte zeitweilig Heimatrecht haben.
Die Präsidenten der Ukraine und Russlands bekamen von den Kommandierenden der Paradeteile die Meldungen über die Bereitschaft zur militärischen Show, dann fuhren sie im „Admiralsboot“ die Paradeordnung ab und begrüßten die Teilnehmer. Insgesamt 20 Einheiten nahmen an ihr teil. Die Verbindung in der Überschrift zu den Kreuzern: das Andreaskreuz in Blau ziert die Fahne der russischen Kriegsmarine.
International dürfte in diesem Zusammenhang wieder die Erklärung von Präsident Janukowitsch beachtet sein, in welcher er die strategische Partnerschaft mit Russland betonte.

Abends fand in Kiew ein Konzert statt – auf dem Unabhängigkeitsplatz. Der und die anliegende sehr kurze, aber recht breite Hauptstraße, der Krestschatik, waren voll festlich gestimmter Menschen – die Kameras zeigten erstaunlich viele Priester in ihren dunklen Gewändern. Das Programm – eine geschickte Mischung ukrainischer und russischer Volkslieder, von denen die meisten mitgesungen und zu denen auch spontan getanzt wurde. Als der vor allem laute Teil mit zeitgenössischen Weisen begann, tat ich, was ein kluger Mensch als den Vorteil aller elektronischer Medien bezeichnete. Ich schaltete ab – weder die Melodien noch die als Tanz ausgegebenen Zuckungen der jungen Leute können mich begeistern.  

Allerdings erwischte ich auch noch ein Propagandaelement aus der Mottenkiste. Zur Zeit der Präsidentschaft von Herrn Justschenko gab es dafür die „arme alte Frau“ Paraska, welche ständig irgendwo ins Bild kam und Lobeshymnen auf ihn sang.
Hier wurde diesmal eine relativ gut, aber nicht besonders geschmackvoll gekleidete, jedoch nicht besonders helle Dame ins Licht gesetzt, um mit einigen –zig Protestierenden Stimmung gegen den Besuch von Wladimir Putin zu machen. Sie schien ihren Text nicht besonders gut gelernt zu haben. Deshalb rief sie laufend nach dem ukrainischen Le Pen, Herrn Oleg Tjagnibok. Das hilflose „Oleg, Oleg!“ sowie ihr zielloses Umherirren wurden bald peinlich, die Szene abgeschaltet.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







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