In der Vorwoche wurde in Russland die Vorfeier zum „Tag der Taufe des
russischen Volkes“ zelebriert. Dazu waren als Leihgabe aus Griechenland die
Reste des Kreuzes gebracht worden, an dem nach der Überlieferung der Apostel
Andreas der Erstberufene gekreuzigt wurde. Zu dieser hierher per Flugzeug
transportierten Reliquie der orthodoxen Kirche bekamen die russischen Christen
fast eine Woche lang Zutritt. Die Reihe der geduldigen Besucher war extrem lang
und die Öffnungszeiten der russischen Hauptkirche mussten mehrfach den
Bedürfnissen angepasst werden. Die Versorgung der Wartenden durch freiwillige
Helfer mit Tee, Trinkwasser und einfachem Brei aus der hier geschätzten
Buchweizengrütze war gewährleistet.
An einem feierlichen Gottesdienst mit dem russischen und ukrainischen
Patriarchen in dieser Kirche hatten die höchsten Kirchenvertreter aus insgesamt 15 Ländern teilgenommen. Sie waren
anschließend auch von Präsident Putin empfangen worden.
Am gestrigen Sonntag nun gab es das erste zum Thema passende Ereignis in
Kiew: die Eröffnung des Zutritts der hiesigen Gläubigen zu genannter Reliquie.
Sie war am Vorabend mit einem Sonderzug aus Moskau hierher gebracht worden. Mit
dem waren auch alle oben erwähnten Kirchenfürsten gekommen.
Mit einem hier so genannten VIP-Gottesdienst davor gab es das den
eigentlichen Feiertag – zurückgehend auf den 28. Juli 988 – prägende Ereignis. Denn
an ihm nahmen die Präsidenten der Ukraine, Russlands, Serbiens und Moldawiens
teil. Sie bekreuzigten sich formvollendet.
Schon lange nicht mehr habe ich in den Massenmedien so häufig die
Wortverbindung „Kiew – die Mutter der russischen Städte“ (Киев – мать городов русских) gehört und gelesen wie an diesem Tag. Das erinnert mich an
eine provozierende Frage: was ist der Unterschied zwischen Gott und
Historikern? Die Antwort: der Allmächtige kann die Geschichte nicht mehr ändern…
Der – nicht immer ganz freiwillige – Taufakt vor 1025 Jahren im Dnepr wurde
von Fürst Wladimir veranlasst. Deshalb besuchten die hohen Gäste auch den
Wladimir-Hügel in Kiew. Besonders ist für mich anzumerken: der ukrainische
Patriarch alle Zeit ohne Leibwache. Seine Antwort an Journalisten sinngemäß: „Für
mich brauche ich keine Leibwache. Ich gehe mit Gott zum Volk. Warum mich dann
abschotten? Der HERR ist mein Schutz.“
Verbindet ihn für mich deshalb ein wenig mit dem bescheideneren Papst
aus Rom.
Hier ist anzumerken: ich bin Atheist.
An diesem Sonntag gab es eine militärische Komponente: der „Tag der
russischen Kriegsmarine“ und jener auch der ukrainischen wurde hier in
Sewastopol gemeinsam begangen. In dem Hafen, in welchem Teile der russischen
Schwarzmeerflotte zeitweilig Heimatrecht haben.
Die Präsidenten der Ukraine und Russlands bekamen von den
Kommandierenden der Paradeteile die Meldungen über die Bereitschaft zur
militärischen Show, dann fuhren sie im „Admiralsboot“ die Paradeordnung ab und
begrüßten die Teilnehmer. Insgesamt 20 Einheiten nahmen an ihr teil. Die Verbindung in der Überschrift zu den Kreuzern: das Andreaskreuz in Blau ziert die Fahne der russischen Kriegsmarine.
International dürfte in diesem Zusammenhang wieder die Erklärung von
Präsident Janukowitsch beachtet sein, in welcher er die strategische
Partnerschaft mit Russland betonte.
Abends fand in Kiew ein Konzert statt – auf dem Unabhängigkeitsplatz. Der
und die anliegende sehr kurze, aber recht breite Hauptstraße, der Krestschatik,
waren voll festlich gestimmter Menschen – die Kameras zeigten erstaunlich viele
Priester in ihren dunklen Gewändern. Das Programm – eine geschickte Mischung
ukrainischer und russischer Volkslieder, von denen die meisten mitgesungen und
zu denen auch spontan getanzt wurde. Als der vor allem laute Teil mit
zeitgenössischen Weisen begann, tat ich, was ein kluger Mensch als den Vorteil
aller elektronischer Medien bezeichnete. Ich schaltete ab – weder die Melodien
noch die als Tanz ausgegebenen Zuckungen der jungen Leute können mich
begeistern.
Allerdings erwischte ich auch noch ein Propagandaelement aus der
Mottenkiste. Zur Zeit der Präsidentschaft von Herrn Justschenko gab es
dafür die „arme alte Frau“ Paraska, welche ständig irgendwo ins Bild kam und
Lobeshymnen auf ihn sang.
Hier wurde diesmal eine relativ gut, aber nicht besonders geschmackvoll gekleidete, jedoch nicht besonders helle
Dame ins Licht gesetzt, um mit einigen –zig Protestierenden Stimmung gegen den
Besuch von Wladimir Putin zu machen. Sie schien ihren Text nicht besonders gut
gelernt zu haben. Deshalb rief sie laufend nach dem ukrainischen Le Pen, Herrn Oleg
Tjagnibok. Das hilflose „Oleg, Oleg!“ sowie ihr zielloses Umherirren wurden bald
peinlich, die Szene abgeschaltet.
Bleiben Sie
recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
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