Dieser
kleine Artikel ist mir zugestellt worden. Ohne Hinweise auf den Autor.
Allerdings im Rahmen der Informationen auf meiner letzten Reise in Moskau eine
sehr interessante Notiz. Ich verwende sie – gekürzt und bearbeitet. So, dass es
dem Autor schwer fallen sollte, juristische Haken zu finden.
„Wohin
fliegst du, mein Bester?“ fragte ich meinen Bekannten, einen amerikanischen Rechtsanwalt,
den ich auf dem Kennedy-Flughafen in New York traf. „In die russische
Hauptstadt“. „Bleibst du lange in Moskau?“ Die Antwort: „Ich fliege nach
London.“ „Die Hauptstadt Russlands ist Moskau.“ „Ich sagte dir doch: ich fliege
nach London. Das ist die russische Hauptstadt. Auch wenn man das so öffentlich nicht
sagt.“
Mein
Flug wurde angekündigt. Ich checkte ein, ging an Bord. Bestellte ein Getränk
und fiel ins Grübeln. Nach der dritten „Bloody Mary“ sagte ich mir: „Der
amerikanische Kollege hat Recht!“
Die
russische Diaspora in London – das sind reiche oder sogar sehr reiche Leute –
einige hunderttausend. Die Frauen und Kinder der überwiegenden Gesellschaft von
so genannten Oligarchen, aber auch der obersten Schicht des Beamtentums wohnen
in London. Der erdrückendste Teil russischer Gelder, welche aus dem Erdöl- und
Erdgas-Geschäft stammen, liegen auf Konten bei britischen Banken. Das sind etwa
drei Viertel des russischen Exportvolumens.
Die
Oligarchen selbst und die Lenker der gewaltigsten Firmen verbringen einen
großen Teil ihrer Zeit in London. Sie lenken ihre Imperien von dort, obwohl
sich jene in Russland befinden. Sollte das bestohlene erboste russische Volk
einmal zum Sturm auf die „Rubljowka“ antreten – die Straße der Superreichen in
Moskau – es würde leere Villen vorfinden.
Im
20. Jahrhundert stürzten das britische und das russische Imperium – die über
Jahrhunderte gegeneinander wirkten – offiziell das auch heute tun. Plötzlich,
ganz unerwartet und heimlich, wurde die Hauptstadt des englischen Imperiums auch
zu der des russischen: echt surrealistische Realität. Darüber könnte Bunuel eben
jetzt einen Film drehen. Oder einen Blockbuster aus Hollywood oder Deutschland
müsste man erwarten. Es wäre auch schlau, einen Roman zum Thema zu schreiben –
mit Millionenauflagen in allen Sprachen der Welt.
Allerdings
bin ich das nicht – ich versuche nur, den gerissenen roten Faden nicht zu
verlieren. London – Russlands Hauptstadt!...
Wie kam
es dazu? Doch nicht, weil das Bildungsniveau in Großbritannien traditionell
hoch ist, also der Grund ist trivial – die Sorge um die eigenen Kindlein (wie
in der russischen Presse offiziell dem Volk vorgelegt wird). Und nicht deshalb,
weil man in London gewöhnt ist, entfernte Territorien zu lenken (die Zunge
wehrt sich zu sagen, dass eine Supermacht des 20. Jahrhunderts zur Kolonie
Londons wurde – denn das ist nicht so, zumindest noch nicht…). Auch spielt
keine Rolle, dass für Leute mit dickem Konto das Leben in England angenehmer
und harmonischer ist.
Sondern
auch deshalb, weil London seine Bürger an andere Staaten nicht ausliefert. Die Tatsache,
dass das britische Rechtssystem Beresowski trotz vielfacher und dringlicher
Aufforderungen der russischen Staatsanwaltschaft nicht ausliefert, ruft
offiziell Proteste der russischen Machtorgane hervor, sachlich gesehen –
Beruhigung bei der russischen Elite: so ein Land passt uns! (hat die herrschende
Klasse entschieden).
Wenn das
russische Volk (das „lange anspannt, dafür aber rascher fährt“) eines schönen
Tages auf die Idee kommt, die „Absahner“ nicht nur zu enteignen, gibt England
sie einfach nicht heraus. Genauer: die Wahrscheinlichkeit dessen, dass England
seine Bürger ausliefert (und auch seine noch-nicht-Bürger, welche einen
Aufenthaltstitel für das englische Königreich haben – das sind Minister,
Gouverneure, Beamte aller Ränge, deren Frauen und Kinder fast alle schon
britische Bürger sind), ist geringer als in einem beliebigen anderen Land auf
dieser Welt.
Mit
einer Ausnahme – Israel. Allerdings wäre für jeden noch so an Absonderlichkeiten
gewöhnten Bürger des Heiligen Russland die Idee, Israel zur Hauptstadt
Russlands zu machen, wohl das Absurdeste von allem. Wenn plötzlich der Iran
eine Atombombe dort abwirft?
Das Leben
im Heiligen Land nervt ganz schön, noch mehr, als das auf der heiligen Erde
Russlands. In Großbritannien ist die Ruhe gesichert. Und deshalb hat die
herrschende Klasse Russlands nach oben genannten mehreren Merkmalen England als
Wohnort auserkoren. Lenkt Russland von dort. Auch den Großteil ihres Kapitals
bewahrt sie dort auf. Käme es in der Föderation zu einer Revolution – das erschüttert
die herrschende Klasse nicht eine Winzigkeit. Na ja, vielleicht werden die
Villen an der „Rubljowka“ ausgeraubt, deren Bewohner – nicht dort gemeldet,
aber physisch anwesend – sind doch nur Security und Dienstboten. Jedoch mehr
von den „abgeschöpften“ Geldern zu nehmen, gelingt nicht. Und auch an die „Absahner“,
die zu russischen Machtstrukturen gehören und sich in London aufhalten, kommt
man ganz einfach nicht heran.
Der
Ausdruck des Rechtsanwalt aus dem Etablissement, der ohne eine Spur von Ironie formulierte,
dass LONDON RUSSLANDS HAUPTSTADT ist, welcher in seinen Kreisen anscheinend als
selbstverständlich angesehen wird, ist in jedem Falle als Fakt unbestreitbar.
Zu
Beginn des zweiten Jahrzehnts im einundzwanzigsten Jahrhundert ist London die
Hauptstadt Russlands. Das muss man deutlich verstehen. Wie darauf zu reagieren
ist, dass sich die Hauptstadt Russlands außerhalb Russlands befindet (dieses
Geheimnis Policinellos ist nur in der Föderation unbekannt), wie das
darzustellen und wie die entstandene Situation zu ändern wäre – das entscheide
ich nicht.
No comment!
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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