Sonntag, 23. Dezember 2012

Autoritär?



        Die Pressekonferenz von Wladimir Putin ist noch einmal Ausgangspunkt für einige Betrachtungen. Zum Protokoll:

        Der Korrespondent der „Iswestija“ vergaß – wie einige andere auch – sich verabredungsgemäß vorzustellen. Gründe: Aufregung oder Unhöflichkeit? Kann man tendenziös bewerten… Deshalb kann ich ihn hier nicht mit Namen nennen.

        „Lachen sie jetzt nicht, es kann sein, dass ihnen meine Frage nicht gefällt.
Wladimir Wladimirowitsch, hier sind viele Journalisten, wir haben viele Fragen an die Mächtigen. Mit der Macht assoziieren wir in erster Linie sie, das ergab sich so.
        In den 12 Jahren haben sie ein recht strenges, in einigen Bereichen sogar autoritäres Regime persönlicher Macht aufgebaut. Wie ist ihre Meinung, ist dieses System im neuen Jahrhundert lebensfähig? Schätzen sie nicht ein, dass es der Entwicklung in Russland schadet?"

        W. Putin: „Ich meine, dass wir damit jene Stabilität herstellten, zu welcher Sergeij Briljow seine Frage stellte, und das ausschließlich als eine unabdingbare Voraussetzung für Entwicklung. Das, darüber sprach ich schon, halte ich für außerordentlich wichtig.
Das System autoritär zu nennen kann ich nicht, der These kann ich nicht zustimmen. Der allerdeutlichste Beweis dafür ist doch, dass ich mich entschied, nach zwei Präsidentschaften auf die zweite Position zu rücken. Hätte ich gemeint, dass ein totalitäres oder autoritäres System für uns das vorzuziehende sei, da hätte ich lediglich die Verfassung geändert, sie verstehen, dass das leicht geworden wäre.
        Das verlangt doch nicht einmal irgendeine umfassende Volksbefragung, da hätte es ausgereicht, den Beschluss im Parlament durchzubringen, in welchem wir mehr als 300 Stimmen hatten. Ich bin bewusst in die zweite Position gegangen, um damit einerseits die Kontinuität der Macht zu sichern, andererseits die Achtung unserer Verfassung und unserer Gesetze zu demonstrieren.
        Sie verstehen sicher, dass ich mir damals nicht als Ziel stellen konnte, nach vier Jahren unbedingt zurückzukehren (auf den Posten – d. Ü.). Das war einfach absurd, vor allem auch weil die Krise begann, unklar, was dann sein würde. Wir alle haben eine schwere Prüfung hinter uns. Aber deshalb das System autoritär nennen – nein. Wenn jemand meint, dass Demokratie und Einhaltung von Gesetzen verschiedene Dinge sind – der Mensch irrt sich tiefgreifend.
        Demokratie – das ist vor allem die Einhaltung der Gesetze. Bei uns hat sich der Eindruck ergeben, dass Demokratie – Trotzkismus ist, Anarchie. Das aber ist nicht so! Bakunin war ein bewundernswerter Mensch und sehr klug. Allerdings brauchen wir keine Anarchie, ebenfalls keinen Trotzkismus.
        Sie wissen, wie die Anarchie der 90-er Jahre sowohl die Marktwirtschaft diskreditierte, auch die Demokratie als solche. Die Menschenbegannen beides zu fürchten.  Aber das sind unterschiedliche Sachen. Ich meine, dass Ordnung, Disziplin, die buchstäbliche Beachtung der Gesetze den Formen demokratischer Leitung nicht widersprechen. 

        Wieder ein kleiner Sprung – ich wähle tendenziös aus, wenn das jemand wissen möchte… Als der ehemalige Finanzminister Kudrin vom damaligen Präsidenten Medwedjew sowohl öffentlich als auch recht kultiviert „in die Wüste geschickt“ wurde, habe ich das kommentiert. Deshalb erscheinen die folgenden Abschnitte  in diesem Post.

        „Guten Tag, Wladimir Wladimirowitsch! Viktorija Prichodjko, „Moskowskij komsomolez“. Sie sagten heute, dass ihnen ihre Mitarbeiter aus Furcht die Witze über sie nicht erzählen.“

        W. Putin: „Das war ein Scherz. Sie erzählen.“
        W.Prichodjko: „Verstehe. Aber nun ernsthaft. Sie haben früher nie verheimlicht, dass Kudrin für sie die Quelle alternativer Meinungen darstellte: wenn andere „Ja!“ sagten, sagte er „Nein!“
        W. Putin: „Das setzt er auch heute so fort.“
        W.Prichodjko: „Aber wer sagt ihnen das heute so – aus der im Amt befindlichen Mannschaft; wer ist gegenwärtig für sie die Quelle alternativer Ansichten?“

        W. Putin: „Erst einmal: Herr Kudrin ist nicht verschwunden, nirgends hin ausgereist mit Aufenthaltstitel, er ist hier, die Verbindung mit ihm funktioniert – jedoch in völlig anderer Qualität, jedoch treffe ich mich mit ihm regelmäßig, selten – der Arbeitsbelastung wegen, wie man in diesem Falle sagt – aber regelmäßig. Und ich höre auf seine Meinung, sie ist für mich, so wie auch früher, wichtig. Alexeij Leonidowitsch ist nicht zufällig zweifach als „bester Finanzminister der Welt“ erwählt worden, er ist ein guter Experte.
        Der Unterschied zwischen Experten und Entscheidungsträgern ist einfach der, dass die Experten für die politischen Entscheidungen keine Verantwortung tragen, allerdings ist ihre Meinung nicht einfach interessant, sondern wichtig zu wissen, um eine ausbalancierte Entscheidung zu treffen. Es gibt auf der Welt ausreichend Personen, mit Autorität, gebildet, erfahren; eine aus ihnen – so aus dem Stegreif – Frau Lagarde, welche den Internationale Währungsfond leitet.
        In den europäischen Staaten gibt es sehr gute Spezialisten im direkten Sinne dieser Bezeichnung, darunter auch jene, die in der Sphäre Wirtschaft und Finanzen tätig sind, auch in den USA gibt es sie. Ich lese von ihnen, höre ihre Meinung, bin bemüht, sie immer mit unseren Plänen zu konfrontieren und mit jenen Instrumenten,  welche wir einsetzen zur Lösung der vor dem Lande stehenden Aufgaben.
        W.Prichodjko: „Wenn sie sich mit Kudrin beraten – gibt es da etwa Pläne, ihn in die Mannschaft zurück zu rufen?“
        W. Putin: „Die Frage war doch: gibt es vielleicht Pläne, dass Kudrin in die Mannschaft zurückkehrt. Mannschaft – das ist einen bedingte Bezeichnung. Wenn ich mich mit ihm berate, ist er in diesem Sinne „in der Mannschaft“.

        Auch etwas davon, wovon nicht vordergründig gesprochen wird: Putins achtungsvoller Umgang mit Menschen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger







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