Freitag, 21. Dezember 2012

Pressemarathon


        Pünktlich auf die Sekunde kam Russlands Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin in den Saal, in welchem 1226 Journalisten ihn erwarteten.
        In Vorbereitung hatte ich mir extra starken Tee zubereitet. Denn bequem auf der Couch neigt man doch dazu, bei langweiligen Passagen wegzunicken. Allerdings gab es - zumindest für mich - diese Erscheinung heute nicht. Denn der souveräne Präsident gab auf viele Fragen selbst zu etwas kitzligen Erscheinungen seine ruhigen, manchmal auch ironischen Antworten. Auch wenn er nach 4 Stunden und 33 Minuten die Veranstaltung mit der Bemerkung beendete, sie erinnere ihn ein wenig an eine Renovierung einer Wohnung - man werde nie fertig, müsse sich aber doch dazu zwingen, sie abzubrechen - wirkte er nicht ermüdet, aber doch nicht mehr ganz frisch.

        Hier will ich die erste Frage erwähnen, zu der Wladimir Putin mehrfach von anderen Fragestellern genötigt war, Kommentare zu geben - für mich ein Zeichen, dass die in der Psychologie bekannte Tatsache zutrifft: man erfasst vorwiegend, was man hören will. Das sagte der Präsident aber nicht. Sondern einfach nur seine, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Meinung, die von einigen Vertretern sowohl russischer als auch internationaler Medien so ohne weiteres nicht übernommen werden wollte.


        Gestellt wurde die erste Frage von Ksenia Sokolowa, aus der Zeitschrift "Snob":

        "Als Antwort auf das von den Amerikanern angenommene "Magnitzki-Gesetz" hat die Duma eine Gesetzesinitiative beraten, welche Verbote enthält für amerikanische Bürger, welche russische Waisenkinder adoptieren wollen. Sehen sie diese Antwort al adäquat an? Stört sie daran nicht, dass Kinder, und besonders die absolut obdachlosen und hilflosen darunter, zu Instrumenten in politischen Auseinandersetzungen werden?"

        W. Putin gab als erstes eine Einschätzung der beklagenswerten Situation im eigenen Lande, aber auch einiges zu bedenken, was sich in Änderung befindet, jedoch mehr gefördert werden muss.

        Dann Folgendes, was ich die "politisch relevante Seite" der Antwort nenne (auszugsweise):
        "Nun das, was die amerikanische Seite anbelangt. Da geht es nicht um konkrete Leute, um amerikanische Bürger, welche unsere Kinder adoptieren. Dabei gibt es Tragödien, das ist uns bekannt, doch die überwiegende Anzahl der Personen, welche unsere Kinder als die ihren aufnehmen, führen sich sehr adäquat, das sind gütige und ordentliche Menschen. Die Reaktion der Staatlichen Duma ist nicht gegen diese Personen gerichtet, sondern gegen die Position der amerikanischen staatlichen Behörden. Worin besteht diese Position? Darin, dass wenn Verbrechen gegen die adoptierten Kinder begangen werden, häufig die amerikanische Femida ganz und gar nicht darauf reagiert und so diejenigen Leute von strafrechtlicher Verantwortung befreit, welche rechtswidrige Vergehen gegenüber einem Kind begingen. Das ist aber noch nicht alles. Zu den Prozessen werden Vertreter Russlands faktisch nicht einmal als Beobachter zugelassen.
        Wir haben erst vor Kurzem zwischen dem Staatsdepartament für Äußeres der USA und unserem Außenministerium eine Vereinbarung zu dem Anlass unterzeichnet, was russische offizielle Repräsentanten im Verlauf der Entwicklung solcher Krisen- oder Konfliktsituationen tun können. In der Praxis erwies sich, dass diese Einflusssphäre in der Jurisdiktion der einzelnen Bundesstaaten liegt. Wenn also unsere Repräsentanten kommen, um ihre Verpflichtungen im Rahmen genannter Vereinbarung wahrzunehmen, sagt man ihnen: "Diese Sache gehört nicht in die Kompetenz der föderalen Machtorgane, sondern in die des Bundesstaates, und auf dieser Ebene existiert keine Vereinbarung. Gehen sie zum Staatsdepartament und klären sie alles mit jenen, mit welchen sie die erwähnte Vereinbarung getroffen haben." In den föderalen Machtbereichen der USA verweist man auf die Ebene Bundesstaat. Wer braucht denn dann solche Vereinbarung? Man "hält uns zum Narren" - so einfach ist das. Auch werden unsere Vertreter nicht einmal als Beobachter zu den Prozessen geduldet, geschweige den als Teilnehmer daran. 
........
        Worum sorgen sich unsere Partner in den Staaten und die amerikanischen Gesetzesgeber? Um die Menschenrechte in unseren Gefängnissen, in Einrichtungen zum Freiheitsentzug. Eine gute Sache, allerdings haben sie selbst damit doch viele Probleme. Darüber habe ich schon gesprochen: Abu Ghraib, Guantanamo - jahrelang werden dort im Gefängnis Menschen  festgehalten, ohne dass ihnen eine Anklage vorgelegt wird. Das ist überhaupt nicht vorstellbar. Vor allem, weil nicht nur ohne Anklage eingesperrt wird, sondern die Menschen dort wie im Mittelalter in Fußfesseln gehen müssen. Im eigenen Land ist sogar Folter zulässig."

       Es reizte natürlich, dass gesamte Protokoll der Veranstaltung zu übersetzen. Aber es folgen die Passagen, welche hier in der Heimat meiner Frau interessieren und am Ende noch einmal zurück zum Teilthema des Anfangs.


          Folgendes fragte Margarita Zytnik, Spezialkorrespondent des ukrainischen Fernsehkanals "Eins plus eins": "Wladimir Wladimirowitsch, am Dienstag sollte hier ein Besuch von Viktor Janukowitsch stattfinden, er wurde abgesagt. Aus welchen Gründen, worin bestehen im Allgemeinen die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Ukraine und Russland? Überhaupt werden jetzt alle Verhandlungen zwischen diesen beiden Staaten geheim gehalten, niemand kommentiert etwas, obwohl alle wissen, dass über den Eintritt der Ukraine in die Zollunion geredet wird und über die Frage des Gases. Gibt es da Absprachen zu irgend etwas in dieser Hinsicht? Erklären sie bitte generell die Situation, was geht vor sich? Danke."

        Hier zitiere ich W. Putin nur in einer Beziehung - die "Gasprobleme" lasse ich weg. Der Blog fasst das nicht.

        "Wissen sie, hier ist die Rede nicht von der Einbindung der Ukraine in die Zollunion. Wenn eben gerade das behandelt werden sollte, müssten wir eine offizielle Erklärung der Ukraine vorgelegt bekommen haben, welche den Beitritt in die Zollunion betrifft. Solche Erklärung gibt es nicht. Allerdings verstehen wir die Besorgnis der ukrainischen Führung darüber, dass mit der Entwicklung der Zollunion eine Reihe von Funktionen der nationalen Staaten auf übernationale Ebene abgegeben werden, darunter an die schon bekannte Kommission der Zollunion, und es deshalb der Ukraine zunehmend schwerer fallen wird, die eigenen ökonomischen Fragen zu beantworten, welche mit der Arbeit auf unserem Markt verbunden sind, auf dem Markt von Drittstaaten. 
        Angenommen, wir haben bisher Entscheidungen getroffen - das hat mit Gas nichts zu tun - über Quoten aus der Rohrproduktion der Ukraine und hatten eine gewisse Quote festgelegt - aber auch Mengen für andere Waren, zum Beispiel Süßwaren und so weiter. Was weiter? Es kommt zum Tragen, dass wir das jetzt nicht mehr selbständig tun können, wir die der Ukraine wesentlichen Quoten nicht mehr nicht etwa deshalb nicht zusagen, weil wir das nicht wollen, sondern weil der Vorgang in die Kompetenz eines übernationalen Organs übergegangen ist. Bis zu einem gewissen Moment dachten unsere ukrainischen Kollegen, dass wir scherzen, bis sie verstanden, dass das Ganze kein Scherz ist.
        Unter Beachtung der Tiefe unserer Kooperation nämlich hat alles dies wesentliche Bedeutung für die ukrainische Wirtschaft. Sie verstehen, dass dieses die ernsteste Frage ist, verbunden mit dem Funktionieren ganzer ukrainischer Wirtschaftszweige und der Aufrechterhaltung des erforderlichen Niveaus auf dem Arbeitsmarkt, das heißt mit der  Sicherung von Arbeitsplätzen. Nun suchen die ukrainischen Kollegen selbstverständlich einen Ausweg aus der Situation, suchen solche Formen der Zusammenarbeit mit der Zollunion, welche für die Ukraine annehmbar sind, aber auch die rechtlichen Normen beachten, welche als Grundlage für das Funktionieren dieser integrativen Vereinigung geschaffen wurden. Das ist, was die Thematik Zollunion betrifft."
        Eine kleine Begebenheit am Rande. Die sehr resoluten Journalistin Maria Solovjenko aus Wladiwostok nahm sich etwas viel Zeit.  Putin: "Wie heißen sie?" "Maria." "Setzt dich bitte, Mariechen." "Danke, Wladimirchen." Familiär...
        Aus dem folgenden Frage-Vortrag von Mister Loijko habe ich recht viel nicht übersetzt. Nur die Fragen am Ende.
        "Verehrter Herr Präsident. Sergeij Loijko, "Los-Angeles Times".
        Was ist mit Sergeij Magnitzki passiert? Weshalb ist für ihn das Jahr 1937 wiedergekommen (Jahr blutiger Massenrepressionen in Sowjetrussland - meine Erläuterung)? Gut, dass das nicht für alle geschieht. Aber weshalb kommt es doch wieder in unser Leben?"
        Wladimir Putin: " Als diese Tragödie mit Herrn Magnitzkij geschah, hat ihr ergebener Diener die Pflichten des Ministerpräsidenten der Russischen Föderation erfüllt. Die Informationen zu der Tragödie bekam ich aus den Massenmedien. Offen gesagt, auch heute habe ich keine Details zum tragischen Tod dieses Menschen im Untersuchungsgefängnis. Allerdings merke ich, dass ich dazu Gründlicheres wissen sollte.
        Jedoch ist die Frage damit nicht beantwortet. Ich will, dass sie auch diesen Teil hören. Ich verstehe, dass sie in der Zeitung "Los-Angeles Times" arbeiten, nicht bei der "Prawda" oder "Iswestija", und dass sie eine bestimmte Position vertreten. Ich will, dass auch unsere Position klar ist. Die Frage besteht nicht in Magnitzkij. Das Problem ist, dass die amerikanischen Gesetzgeber, als sie sich von einem antirussischen, antisowjetischen Akt verabschiedeten - Jackson-Vanik-Amendment - was sie aus wirtschaftlichen Zwängen mussten - für erforderlich erachteten, sofort einen anderen antirussischen Akt anzunehmen. Wir empfanden das so, dass die amerikanischen Gesetzgeber uns allen auf diese Weise zeigten, wer hier der Hausherr ist, damit wir nicht entspannen. Wäre kein Magnitzkij da, hätte man einen anderen Vorwand gefunden. Das verärgert uns. Dies zum Ersten. Zum Zweiten: ohne Details zu kennen, weiß ich jedoch so viel, dass Herr Magnitzkij nicht im Ergebnis von Folterungen starb, ihn hat niemand gefoltert, sondern er starb an einem Herzanfall. Der  Grund für die Untersuchungen - hat man ihm rechtzeitig Hilfe geleistet oder nicht. Wenn man den Menschen ohne Hilfe gelassen hat, und das in einer staatlichen Einrichtung, dann ist zu klären, was da vorging. Das ist das Zweite.  Drittens. Meinen sie wirklich, dass in amerikanischen Gefängnissen niemand stirbt? Aber jede Menge. Und was wird? Werden wir das jetzt alles aufrühren? Sie wissen, wie viel Menschen die amerikanischen Rechtsschutzorgane in aller Welt "einsammeln", obwohl sie damit die Jurisdiktion der betreffenden Länder verletzen, und diese Leute in die eigenen Gefängnisse zerrt - sowie dort auch verurteilt? Ist das normal? Ich denke, das ist es nicht. Dazu habe ich schon einmal gesprochen: weshalb meint ein Land berechtigt zu sein, seine juristische Vollmacht auf alle Welt zu übertragen? Das untergräbt die grundlegenden Prinzipien des internationalen Rechts.
        Außerdem war Herr Magnitzkij, wie bekannt, nicht irgendein Menschenrechtler, er kämpfte nicht für die Menschenrechte. Sondern er war Anwalt des Herrn Browder, welcher von unseren Rechtsorganen verdächtigt wird, auf dem Territorium der Russischen Föderation ökonomische Verbrechen verübt zu haben, dessen Interessen verteidigte er. Alles, was mit dieser Sache verbunden ist, wurde extrem politisiert - jedoch nicht von uns."

        Was erwartet die Welt, was erwarten Berichterstatter von einem Staatschef?

        Dass er mit allem dem vor die Öffentlichkeit tritt, was ihm Probleme bereitet? Dass er Pessimismus, Unzufriedenheit, Hoffnungslosigkeit, Tatenlosigkeit verbreitet? Johann Wolfgang von Goethe hat dazu etwas für mich Bleibendes formuliert: "Wahrheitsliebe zeigt sich darin, dass man überall das Gute zu finden und zu schätzen weiß." Wie Putin bezüglich der US-Amerikaner, welche Kindern adoptieren und gut behandeln.
        Die mit professionellem Lächeln vorgetragenen Zukunftsvisionen der führenden Männer auf der ganzen Welt, welche damit über die Bildschirme flimmern, und ihre Aussagen beißen sich nicht selten mit der Wirklichkeit.
        Viel einfacher formulierte das vor 55 Jahren die Begleiterin unserer Gruppe von "Jugendtourist" aus der DDR, als eine Frau aus dem dortigen Strafvollzug sie bat, ihr einen Besuch in einem sowjetischen Gefängnis zu organisieren: "Bitte sagen sie mir ehrlich - führen sie ihre Gäste auch als erstes vor den Korb mit schmutziger Wäsche? Oder zeigen sie die gute Stube?"

        Wer sich das Protokoll selbst übersetzen oder übersetzen lassen will - hier die Quelle:
"kremlin.ru". 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






        


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