Die ukrainische innere
Situation ist sehr widersprüchlich. Genauer: die Wahl des Ausgangspunktes durch
den Betrachter und seine eigene Zielstellung haben sehr viel Einfluss auf seine
Schlussfolgerungen.
Das ist auch in anderen Zusammenhängen für andere Anlässe
in jedem beliebigen Land der Fall. Wer einen so „freien“ Zugang wie zu Schusswaffen
in den USA zulässt, braucht sich über Ereignisse wie in Dallas letzte Woche
nicht zu wundern.
Das hier von der Werchowna Rada verabschiedete Gesetz zur
verdoppelten Anrechnung der Untersuchungshaft auf die Zeit der Gesamtstrafe hat
– wie eindeutig vorher nicht bedacht – zur vorzeitigen Amnestie für viele
Gesetzesbrecher geführt. Die deutlich die kriminogene Situation belasten. Denn
die U-Haft wird aus hier üblicher Lässigkeit und anderen Gründen nicht selten
außergewöhnlich lange ausgedehnt.
Weil ein anderes
Gesetz – das über die „Lustration“ (von Lüster, der hellen Lampe, also zur
Aufhellung – der persönlichen Einkommensverhältnisse und von Verstrickungen der
ehemaligen Macht ausübenden Personen) zur Entlassung von vielen nicht immer schuldigen
Fachkräften aus allen Rechtsbereichen einschließlich Miliz geführt hat,
verschlimmert das die Lage noch.
Dass dieses Gesetz inzwischen vom Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte als die Menschenrechte verletzend eingestuft
wurde, macht die auf seiner Basis erfolgten Entscheidungen (und
Fehlentscheidungen) nicht automatisch alle zu Fehlentscheidungen und damit
unwirksam. Sondern erhöht den Wirrwarr noch weiter.
Zwar werden, um den
Bedingungen des IWF im Kampf gegen Bestechlichkeit zu genügen, in letzter Zeit
besonders viele mit großen Summen aktuell Bestochene in hohen staatlichen
Funktionen festgenommen – wie gerade erst der stellvertretende
Gesundheitsminister und andere – nur beruhigt das alles die „Volksseele“ nicht
so recht.
Denn die angekündigte
drastische Erhöhung der Tarife für Gas, Elektroenergie, Trink- und Abwasser
sowie der zu beachtende schleichende Anstieg aller Verbraucherpreise infolge
der Abwertung des Hrywna beunruhigt die Menschen weit mehr.
Auch wenn aus den Reihen
verantwortlicher Politiker gesagt wird, dass das Budget des Landes sogar die Erhöhung
der Zahl von Subsidien-Empfängern auf neun Millionen Familien aushalten wird,
trägt nicht zur Verbesserung der Stimmung bei. Das würde bedeuten, dass mehr als die Hälfte aller Haushalte am staatlichen Tropf hängen...
Als Beispiel dient mir ein relativ
gut verdienender junger Mann, der nach einem Besuch des Basars und dort
getätigten soliden Einkäufen im Gespräch laut werden ließ: „Wie kann man mit so
wenig Geld auf den Basar gehen?“ Er hatte zuvor geschildert, wie eine Rentnerin
den Preis für ein Produkt hatte weit herunterhandeln wollen.
Mir scheint, dass
die Abgeordneten der Rada, die sich soeben erst Erhöhung ihrer Bezüge „genehmigt“
haben, von den Bedürfnissen ihrer Wähler ähnlich meilenweit entfernt leben.
Diese
Diätenerhöhung hat der schon in meinem Post
http://mein-ostblock.blogspot.com/2016/06/hier-europa-bauen.html
als realpolitisch denkend charakterisierte Abgeordnete Vadim Rabinovich als zutiefst
verwerflich verurteilt.
Das Verschwinden der Ordnungskräfte auf den Straßen (Verkehrspolizei,
die sich auch bestechen ließ) hat zum drastischen Anstieg der Verkehrsunfälle
um 30 % in 2015 geführt. Ob das Gesetz zur Strafverschärfung bei Trunkenheit am
Steuer, das soeben verabschiedet wurde, da Abhilfe bringt, bleibt abzuwarten.
Denn in der Ukraine sind selbst Geistliche nicht gegen Fehlentscheidungen
immun. Wer angeregt wird, bei Google unter Cucuteni-Tripolje-Kultur zu suchen,
wird erstaunt erfahren können, dass auf ukrainisch-rumänischem Gebiet Ausgrabungen
auf dem Gebiet einer Kultur erfolgten, die nachweislich schon rund 500 Jahre
vor Bau der ägyptischen Pyramiden existierte.
Auf dem Gelände eines Klosters im
Gebiet Rovno (Rivne) gibt es gegenwärtig ein unikales Grabungsfeld mit einer
Töpferwerkstatt aus genannter Zeit. Die Klosterväter sind gegen den Widerstand
der heimischen Archäologen gewillt, diese Fundstelle zuschütten zu lassen, um
auf ihr den Parkplatz für Klosterbesucher einzurichten. Ist man gegen die
Grabung, weil das damals „Heiden“ waren?
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen