Der ukrainische
Historiker Sergeij Burlaka hat diesen Post angeregt. Weil er im örtlichen
Fernsehen eine Sendung zur deutschen Besetzung dieser Stadt moderierte.
Ohne
Schuldkomplexe aufzuwärmen habe ich erneut erfasst, dass die etwa zweieinhalb Jahre
deutscher militärischer Besetzung der Stadt durch das „Massaker von Belaja
Zerkow“ im August 1941 (800-900 Todesopfer, Zivilisten) und die Ermordung von
90 Kindern besonders markiert wurden.
Die anfängliche Erwartung, dass die
Besatzer sich von den Schergen des stalinschen NKWD positiv unterscheiden würden,
war in 1943 völlig entschwunden. Deshalb entstanden zu dem Zeitpunkt vier
Partisaneneinheiten. Vor allem auch, weil mehr als 3000 junge Menschen zur
Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verbracht wurden.
Aus genannten Gründen werde
ich als Deutscher mich immer sehr behutsam zu Vorgängen hier in der Stadt und
im Staat äußern.
Für mich beginnt
die Ukraine jeden Morgen neu – der Morgenspaziergang mit Hund.
Vor einigen Wochen kamen
zwei junge Männer auf mich zu. „Väterchen, wofür kämpfen wir eigentlich?“ Mein
Zögern mit der Antwort sah einer als den Versuch an, dem „Heimatkrieger“ nicht
zu antworten. Er zog ein Hosenbein hoch – ich sah eine Narbe auf einer eben abgeheilten
mittleren Wunde und daneben die verschorften kleinen Splitternarben. „Bin eben
aus dem Spital gekommen – gehe wieder an die Front. Da will ich wissen, wofür
wir mit den Jungens kämpfen.“
Danach habe
ich alle Feigheit zusammengefasst und mich mit meiner Inkompetenz als deutscher
Staatsbürger aus der Situation zurückgezogen.
Eins habe ich erneut erkannt:
mein Outfit ist ein tarnendes. Ich werde als einer von ihnen wahrgenommen.
Einige
Tage später: lief mir mit trippelnden kleinen Schritten eine bejahrte, aber
ansehnliche Frau entgegen. Vor mir fiel sie in Schritt und wünschte einen Guten
Morgen. Ich dankte und wollte weiter gehen, als sie sagte: „Mein Herr, ich lade
sie ein, mir hinterher zu laufen.“ Da war ich verdutzt. Antwortete: „Für uns
beide sollte die Zeit vorbei sein, einander hinterher zu laufen.“ Sie sagte
etwas wehmütig: „Na ja, ich bin eben doch 81 Jahre alt.“ „Ich stehe vor dem
80-sten.“ „Was, sie sind jünger?“ Nach fünf Minuten wusste ich, dass sie eine
Operation am offenen Herzen hinter sich und eine Tochter in Kanada hat. Unter Hinweis
auf meinen ungeduldigen Hund ging ich meines Weges – sie begann wieder zu
laufen.
Nach etwa zehn Tagen lief ein Mann von etwa 45 Jahren rasch über eine Kreuzung
auf mich zu, entbot seinen Morgengruß. „Sagen sie bitte, sind sie wirklich ein
Bundesbürger und schon lange hier in Bila Tserkwa? Ich heiße Vitalij.“ Nach meiner
Antwort wollte er wissen, weshalb wir nicht nach Deutschland übersiedeln. Als
ich ihm erklärte, dass meine Frau das nicht möchte und ich es in der Ukraine
für psychologisch wärmer empfinde, sagte er: „Erstaunlich. Sie sind ein
Prachtkerl. Meine Tochter lebt seit acht Jahren 12 km von Köln entfernt.“ Er
entschuldigte sich – ein Freund mit Auto war herangekommen. Wünschte uns das
Allerbeste.
Als letztes Beispiel: auf dem Rückweg nach knapp drei Kilometern
grüßte mich eine Frau, die neben einigen anderen Blumen aus eigenem Garten
anbot. Höflich antwortete ich – wurde aber von ihrer Frage geschockt: „Wie geht
es ihren Beinen?“ Wahrscheinlich sah ich nicht besonders intelligent aus. Sie,
eine bis zu diesem Morgen völlig Unbekannte, setzte fort: „Die Narben ihrer
Venenoperationen an den Beinen sind zu sehen. Das habe ich auch. Wie geht es
ihnen damit?“ Da musste ich antworten. Dass ich der Hitze wegen seit einigen
Tagen die Elastikstrumpfhosen nicht angezogen habe. Sonst aber keine
Beschwerden verspüre. Sie zog ein wenig ihre Kittelschürze hoch – ich sah die
aus Binden bestehenden recht unförmigen Wickel. Danach meinte sie: „Wenn sie gute
Elastikstrümpfe haben, sollten sie die tragen. Ohne diese provozieren sie doch
ihren vorzeitigen Tod.“ Ich versprach es ihr und stellte mich am folgenden
Morgen darin vor. Sie lächelte. Seitdem grüßen wir einander.
Auf dem Basar spreche
ich bei jedem Besuch mit einigen Verkäuferinnen und Verkäufern – über alltägliche
Dinge und über das Abschneiden der beiden Mannschaften bei den Fußball-Europameisterschaften.
Man wundert sich, dass mich das wenig juckt. Was hier deutlich werden sollte:
ich lebe aktiv in diesem Land.
Übergreifende
Einschätzungen hat mein Freund Dirk auf Facebook gepostet. Lesenswert.
In der Gruppe „Deutsche
in der Ukraine“ hat Andreas Brandes auf Facebook ebenfalls etwas Sinnvolles
gepostet – mein Kommentar: Guten Tag Andreas, eine rechte Fleißarbeit mit
positiver Ausstrahlung. Zwei Dinge bremsen mich laut zu jubeln. Die
Arbeitsplätze sind leider nur Tropfen auf den heißen Stein und die
Staatseinnahmen werden wie bisher für die bedürftigen Ukrainer kaum merkenswerte
Verbesserung ihrer konkreten Situation bringen.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried
Newiger
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