Freitag, 26. August 2016

Parade-Nachlese



Die vorgestern stattgefundene Militärparade zum 25. Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine in Kiew war für mich mustergültig arrangiert. 
Dazu hatte der Himmel ein Einsehen mit den in Erwartung harrenden Soldaten – es hatte in der Nacht geregnet und war am Tage bewölkt. Wer wie ich schon hatte in Paradeformation abwarten müssen, mag die Erleichterung für die Teilnehmer körperlich spüren. 
Die Verleihung hoher staatlicher Auszeichnungen an Soldaten und Offiziere sowie die Übergabe von Truppenfahnen vor einer großen Paradeformation gehört zu den ukrainischen Neuerungen in diesem militärischen Zeremoniell. 
Die Rede des ukrainischen Präsidenten war bei aller militärischen Ausrichtung doch sehr sachlich. Mir gefiel die von seinen Redeschreibern in sie eingestreute Bemerkung des russischen Dichters Majakowskij: „Moskowiter, gegen den Ukrainer sollst du die Zähne nicht fletschen.“  
Allerdings hat am Folgetag der russische Präsident Putin bekannt geben lassen, dass die Gefechtsbereitschaft der russischen Armee überprüft werde. Diese „Antwort“ ist mit dem Dichterwort wohl kaum vereinbar…

Noch vor der Parade hat der gegenwärtige ukrainische Generalstaatsanwalt Luzenko gegen eine Reihe russischer Führungspersönlichkeiten aus dem Bereich militärischer Präsidentenberater, den russischen Verteidigungsminister und einige Generale des Ministeriums juristische Schritte eingeleitet und um internationale Rechtshilfe ersucht. 
Allerdings ist in einem anderen Zusammenhang dieser Generalstaatsanwalt mit dem Leiter des Nationalen Antikorruptionsbüros aneinandergeraten. In der Fernsehsendung kamen beide zu einer eigenartigen Einschätzung der rechtlichen Situation und der damit verbundenen Untersuchungsmethoden bzw. –ergebnisse. Ein Kommentator summierte ihre Auslassungen so: „Wenn nur der Sicherheitsdienst wahre bzw. relevante Ergebnisse liefert – wozu existieren denn noch Staatsanwaltschaft und andere Machtorgane?“

In einer anderen Sendung sagte der Kommentator fast wörtlich: „Wir hatten gar keine Revolution. In jeder Revolution der Vergangenheit wurde das System verändert. Wir hatten einen Staatsstreich. Am System änderte sich nichts – nur die Personen in den Führungsetagen wurden ausgetauscht.“  Erstaunlich – so ähnlich ist russische Propaganda…

Der Vorsitzende der neuen Partei „Leben“ – der noch-Rada-Abgeordnete Vadim Rabinovitch – hat auf eine Frage eines Zuschauers in seiner Wochenzusammenfassung der vergangenen Woche auf Fernsehsender 112 danach, weshalb so wenig echte Korruptionsfälle gerichtlich verhandelt und geahndet werden, im Sinne des darüber stehenden Absatzes geantwortet: „Weil eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.“ 
Außerdem hat er darauf hingewiesen, dass seine Voraussage vor drei Monaten, die Hafenwirtschaft Odessa betreffend, eingetroffen ist. Mit der Begründung, dass die Auktion mehr Teilnehmer haben solle, ist der Anfangspreis des Milliardenobjekts auf die Hälfte reduziert worden. Somit wird – nach seiner Meinung – einer interessierten Gruppierung von Oligarchen ein Filetstück aus der ukrainischen Wirtschaft serviert. 
 
Da die Wahlen näher kommen, werden positive Ergebnisse gesucht oder konstruiert. Der Fernsehauftritt eines ukrainischen Bankers war für mich eine solche Veranstaltung. Nach seinen Worten haben die Ukrainer Vertrauen zu ihrem Finanzsystem. Die gegenwärtigen Einlagen seien gegenüber denen des Vorjahrs um bedeutende Werte in Hrywna höher als im Vorjahr. Lassen Sie uns überlegen. Wenn vierzig Millionen Ukrainer nur je fünf Hrywna ansparen, sind das 200 Millionen Hrywna. Wenn am Jahresende 2015 – Sie lesen richtig – auf eine eingelegte Milliarde Hrywna die hier üblichen 20 % Zinsen ausgeschüttet wurden, wachsen die Einlagen mit einem Computerbefehl um eben diese 200 Millionen. Ohne dass ein Ukrainer auch nur eine müde Hrywna eingezahlt hat! Es ist für mich unerfindlich, wie eine so manipulierte Grüße vertrauenerweckend wirken kann. Bei jemanden, der nachrechnet. Wie es bei Bert Brecht heißt: „Lege den Finger auf jeden Posten. Denn du musst die Rechnung bezahlen.“

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





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