Bis vor einigen
Tagen liefen Teile der Vorbereitungen zur Truppenparade in Kiew anlässlich des 25. Jahrestages der
ukrainischen staatlichen Unabhängigkeit hier in Bila Tserkva auf dem Flugplatzgelände
des ehemaligen Reparaturwerks für die strategische Bomberflotte der Sowjetunion
ab. Dann wurden Technik und Mannschaften auf den Antonow-Werkflugplatz bei Kiew
verlegt.
Diese „Truppenbewegungen“ wurden natürlich durch die Bevölkerung beobachtet
und es kam zu Fragen, die allgemeine militärische Situation betreffend. Das führte
unter anderem dazu, dass in kurzen Meldungen des Fernsehens das bemerkte
Geschehen kommentiert wurde. Es bestünde keine allgemeine Kriegsgefahr, wie
einige Fragesteller das wohl formuliert haben.
Meine Meinung – ich betone das
Wort „Meinung“.
Die Situation ist für den nicht ständig mit ihr Beschäftigten
recht unübersichtlich. Aus dem Kommentar eines für mich echten Militärexperten im
Fernsehen, den nur wenige Ukrainer gesehen haben, folgt: ein Angriff Russlands
an der „Ostfront“ (im Donbass) – ein für mich schlimmer Begriff aus 1945 – ist
unwahrscheinlich. Die militärisch sachliche Begründung: es gibt inzwischen bei den
Verteidigern ein dreistufiges System an „Feldbefestigungen“ und anderen, die
zahlenmäßigen Kräfteverhältnisse Angreifer-Verteidiger sind für die
ukrainischen Militärs günstiger, die ukrainische militärische Aufklärung
arbeitet effektiv, sie kann Vorbereitungen „massiver Schläge“ erkennen, die
Kräfte und Mittel schwerer Artillerie und anderer moderner Waffensysteme sind
rasch in die vorbereiteten Stellungen zu verlegen, Frontfliegerkräfte kennen
ihre Aufgaben und sind einsatzbereit.
Weitere Einzelheiten erspare ich meinen
Lesern. Die meisten von diesen haben noch nie ein Wirkungsschießen moderner
Schützenwaffen erlebt und können daher beispielsweise die Kräfteverhältnisse
Angreifer-Verteidiger im heutigen Krieg einfach nicht einschätzen.
Dann war da
außerdem der Fernsehauftritt des Sekretärs des Nationalen Sicherheits- und
Verteidigungsrates der Ukraine Alexander Turtschinow. Auch er hat sicher nicht
alle Ukrainer erreicht. Seine Auffassung: ein offener Angriff russischer
Truppen auf die Ukraine ist gegenwärtig nicht zu erwarten. Dass im Donbass die
russisch unterstützten Separatisten ständig provozieren werden, ist tägliche
Praxis.
Allerdings kommt zu diesen beiden für mich seriösen Informationen hinzu,
dass unterschiedlichste ukrainische Politologen im Rahmen der hochgelobten „Meinungsfreiheit“
ihre auf anderen Quellen beruhenden oder gar begründeten Vorstellungen den
Zuschauern bzw. Lesern anbieten.
Außerdem wirkt nicht nur in den an Russland
angrenzenden Gebieten die über die Massenmedien eindringende russische
antiukrainische Propaganda.
Alles das ergibt ein solches Gemenge an Meinungen,
die zu bestätigen oder zu entkräften schwer fällt. Vor allem, weil die von Wladimir
Putin angekündigte und schon begonnene „erweiterte Militarisierung“ der
annektierten Halbinsel Krim zusätzliche Besorgnis hervorruft.
In die Diskussion
werden internationale Vorgänge mit eingebunden – Terrorakte, der Staatsstreichversuch
in der Türkei, die Präsidentenwahlen in den USA…
Dazu kommen die inneren
Probleme. Zum Beispiel die juristischen Ungereimtheiten um das Freiwilligenbataillon
„Tornado“. Dessen ukrainische Angehörige sich in ihrem Einsatzgebiet ernsthafte
Gesetzesverletzungen haben zuschulden kommen lassen – gegen Ukrainerinnen und
Ukrainer. Diese sollen vor ukrainischem Gericht als Kriegsverbrechen geahndet
werden. Ein Jurist wies sachlich korrekt darauf hin, dass weder Russland noch
die Ukraine offiziell der anderen Seite den Krieg erklärt haben. Auf ukrainischer
Seite ist von „antiterroristischer Aktion“ im Donbass die Rede – die russische
Seite leugnet ihre Beteiligung daran.
Tatsache ist: in diesen als „Nichtkrieg“
bezeichneten bewaffneten Auseinandersetzungen sterben täglich ukrainische und
russische Soldaten oder werden verwundet. Die getöteten ukrainischen Bürger werden
wenigstens ehrenvoll beerdigt – die russischen Jungs sachlich gesehen unbekannt
verscharrt. Würdelos. Wie ein russisches geflügeltes Wort lautet: „Beschämend
für die Staatsmacht.“
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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