Dienstag, 16. August 2016

Krieg?



Bis vor einigen Tagen liefen Teile der Vorbereitungen zur Truppenparade in Kiew  anlässlich des 25. Jahrestages der ukrainischen staatlichen Unabhängigkeit hier in Bila Tserkva auf dem Flugplatzgelände des ehemaligen Reparaturwerks für die strategische Bomberflotte der Sowjetunion ab. Dann wurden Technik und Mannschaften auf den Antonow-Werkflugplatz bei Kiew verlegt. 
Diese „Truppenbewegungen“ wurden natürlich durch die Bevölkerung beobachtet und es kam zu Fragen, die allgemeine militärische Situation betreffend. Das führte unter anderem dazu, dass in kurzen Meldungen des Fernsehens das bemerkte Geschehen kommentiert wurde. Es bestünde keine allgemeine Kriegsgefahr, wie einige Fragesteller das wohl formuliert haben.

 Meine Meinung – ich betone das Wort „Meinung“. 
Die Situation ist für den nicht ständig mit ihr Beschäftigten recht unübersichtlich. Aus dem Kommentar eines für mich echten Militärexperten im Fernsehen, den nur wenige Ukrainer gesehen haben, folgt: ein Angriff Russlands an der „Ostfront“ (im Donbass) – ein für mich schlimmer Begriff aus 1945 – ist unwahrscheinlich. Die militärisch sachliche Begründung: es gibt inzwischen bei den Verteidigern ein dreistufiges System an „Feldbefestigungen“ und anderen, die zahlenmäßigen Kräfteverhältnisse Angreifer-Verteidiger sind für die ukrainischen Militärs günstiger, die ukrainische militärische Aufklärung arbeitet effektiv, sie kann Vorbereitungen „massiver Schläge“ erkennen, die Kräfte und Mittel schwerer Artillerie und anderer moderner Waffensysteme sind rasch in die vorbereiteten Stellungen zu verlegen, Frontfliegerkräfte kennen ihre Aufgaben und sind einsatzbereit. 
Weitere Einzelheiten erspare ich meinen Lesern. Die meisten von diesen haben noch nie ein Wirkungsschießen moderner Schützenwaffen erlebt und können daher beispielsweise die Kräfteverhältnisse Angreifer-Verteidiger im heutigen Krieg einfach nicht einschätzen. 
Dann war da außerdem der Fernsehauftritt des Sekretärs des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine Alexander Turtschinow. Auch er hat sicher nicht alle Ukrainer erreicht. Seine Auffassung: ein offener Angriff russischer Truppen auf die Ukraine ist gegenwärtig nicht zu erwarten. Dass im Donbass die russisch unterstützten Separatisten ständig provozieren werden, ist tägliche Praxis. 

Allerdings kommt zu diesen beiden für mich seriösen Informationen hinzu, dass unterschiedlichste ukrainische Politologen im Rahmen der hochgelobten „Meinungsfreiheit“ ihre auf anderen Quellen beruhenden oder gar begründeten Vorstellungen den Zuschauern bzw. Lesern anbieten. 
Außerdem wirkt nicht nur in den an Russland angrenzenden Gebieten die über die Massenmedien eindringende russische antiukrainische Propaganda. 
Alles das ergibt ein solches Gemenge an Meinungen, die zu bestätigen oder zu entkräften schwer fällt. Vor allem, weil die von Wladimir Putin angekündigte und schon begonnene „erweiterte Militarisierung“ der annektierten Halbinsel Krim zusätzliche Besorgnis hervorruft. 
In die Diskussion werden internationale Vorgänge mit eingebunden – Terrorakte, der Staatsstreichversuch in der Türkei, die Präsidentenwahlen in den USA… 
Dazu kommen die inneren Probleme. Zum Beispiel die juristischen Ungereimtheiten um das Freiwilligenbataillon „Tornado“. Dessen ukrainische Angehörige sich in ihrem Einsatzgebiet ernsthafte Gesetzesverletzungen haben zuschulden kommen lassen – gegen Ukrainerinnen und Ukrainer. Diese sollen vor ukrainischem Gericht als Kriegsverbrechen geahndet werden. Ein Jurist wies sachlich korrekt darauf hin, dass weder Russland noch die Ukraine offiziell der anderen Seite den Krieg erklärt haben. Auf ukrainischer Seite ist von „antiterroristischer Aktion“ im Donbass die Rede – die russische Seite leugnet ihre Beteiligung daran. 

Tatsache ist: in diesen als „Nichtkrieg“ bezeichneten bewaffneten Auseinandersetzungen sterben täglich ukrainische und russische Soldaten oder werden verwundet. Die getöteten ukrainischen Bürger werden wenigstens ehrenvoll beerdigt – die russischen Jungs sachlich gesehen unbekannt verscharrt. Würdelos. Wie ein russisches geflügeltes Wort lautet: „Beschämend für die Staatsmacht.“


Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





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