Donnerstag, 8. September 2016

Westblock?



Eine Woche in Berlin macht den Unterschied aus und spürbar. Zu dem Teil des einstigen Ostblocks, in welchem ich lange schon lebe. Zumindest empfinde ich das so. 
Im Kleinen ist es die deutliche Disziplin bei der überwiegenden Anzahl aller Verkehrsteilnehmer. Oder die Regelmäßigkeit des Personennahverkehrs. 
Auf höherer Ebene die zumindest in Deutschland sprudelnden Steuereinnahmen. Zu behaupten, sie wären das Verdienst von Finanzminister Schäuble, erlaube ich mir mangels Wissen darüber nicht. 
Mit den Wahlen habe ich keine Probleme. Die Diskussionen um Parteipolitik sind in den Massenmedien noch einigermaßen brauchbar. Der einfache Bürger, der mir hier sprachlich sofort hörbar ist, wenn auch nicht selten unverständlich in der Argumentation – sie oder er urteilen häufig sehr eigenartig. 
Da hat mir der Altbundeskanzler Helmut Schmidt mit seinem Buch (ISBN 978-3-548-37446-8): „Religion in der Verantwortung – Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung“ regelrecht ein Geschenk gemacht. Auf Seite 79 beginnt sein in der Marktkirche zu Hannover am 01. Juli 1986 gehaltener Vortrag „Christliche Ethik und politische Verantwortung“. 
Nie zuvor habe ich eine deutlicher verständliche Darlegung zum Regieren und zum Regiert werden in ihrem wahrhaft sachlichen Zusammenhang gelesen. Jeder lesekundige Bürger könnte diese Anleitung zum Durchdenken seiner Informationen – und damit seiner Kritik – allein aus diesem Vortrag nehmen. 
Hier zitiere ich einige Sätze: „Eine der größten Belastungen besteht darin, dass die „Regierten“ im Sinne der Barmer Erklärung das Geschehen gar nicht genau überprüfen können. Sie lesen die Zeitung und gucken in die Fernsehröhre und denken, sie hätten alles mitgekriegt. Aber sie kennen nur einen Ausschnitt aus dem wirklichen Geschehen.“ (S. 91-92) 
Bei Helmut Schmidt wird aber daraus kein Vorwurf – er fächert auf, in welchen Zwickmühlen vor Beschlussfassung oft die Regierenden stecken und welche engen Grenzen für Handlungsspielräume des jeweiligen Entscheidungsträgers nicht selten sind. Vortrag und Buch – sehr empfehlenswert. 

Bei Heinrich Heine gibt es im Gedicht „Enfant perdu“ den Satz: „Ich kämpfte ohne Hoffnung, dass ich siege…“. Max Scharnigg hat es dennoch angefangen – für gute Manieren im Internet zu streiten. „Herrn Knigge gefällt das!“ heißt sein Büchlein. (ISBN 978-3-37036-2) 
Auch hier ein Zitat – aus dem Kapitel „Schaulust und Katastrophentourismus“ (S. 29): „Ist die Nachricht ganz frisch, darf sie jeder verbreiten. Es ist wie der Griff zum Warnblinker, wenn man an ein Stauende oder einem Hindernis ankommt. Man weiß nicht, ob die anderen es gesehen haben und gibt deshalb die Nachricht weiter. Sobald der Hintermann auch den Warnblinker anhat, sobald also die Informationskette funktioniert, schaltet man selber aus.“ Wer das Buch liest, hat sicher einige Einsichten – als Minimum wie gültig gute Sitten doch sogar über Zeiten hinweg sind.

Dann ist da noch – in der Ukraine für mich gänzlich unsichtbar – der einstige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Seine Abrechnung mit der EU in der von ihm neu gegründeten transnationalen Bewegung „Democracy in Europe Movement“ ist hart, aber nach meiner Auffassung gerecht. 
Auch hier zitiere ich: „Fünftens: gemeinsam in den nächsten 18 Monaten die umfassende progressive Agenda von DiEM25 für Europa entwickeln, die vernünftige, bescheidene und überzeugende Vorschläge zur „Reparatur“ der EU (und sogar des Euros) und für einen progressiven Umgang mit dem Zerfall der EU und des Euros umfasst, wenn und falls das Establishment diesen Weg gehen sollte.“ 
Meine ukrainischen Leser werden mir vielleicht verzeihen, wenn ich den Satz „Die EU befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Auflösung.“ wegen der Hoffnungen der meisten Ukrainer auf einen Beitritt zu einer starken, einigen EU hier zum Schluss zitiere. Als Meinung eines mit den Problemen vertrauten Mannes mit Zivilcourage. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger 





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