Wenn ich mich richtig entsinne, hat der Kubaner Ernesto Cardenal sehr
poetisch formuliert: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“
Diese Worte
kommen mir in den Sinn anlässlich von zwei mich berührenden Ereignissen. Das
erste: nach langer diplomatischer Arbeit der russischen Spitzenpolitiker und
ihrer Spezialisten ist es dazu gekommen, dass die Syrien-Resolution des
UNO-Sicherheitsrates zustande kam, welche von allen seinen Mitgliedern
unterschrieben wurde. Diese nicht nur auf russischer Seite sehr wünschenswerte
Entwicklung wurde aber nur möglich, weil Russland und seine Sympathisanten
sowohl Kraft als auch Intelligenz einbrachten, um nicht nur dem syrischen Volk
zu helfen, sondern anderen Völkern Leid zu ersparen. Von den materiellen
Verlusten rede ich nicht einmal. Als einfacher User des Netzes danke ich allen
Beteiligten für ihre Haltung, politische Fantasie und eingebrachte positive Energie.
Der vergangene Sonntag war im Vielvölkerstaat Russland der „Tag der
Solidarität“ – vielleicht für die Organisatoren genauer ein „Tag der Einheit“. Er
verlief unter der Devise des alten slawischen Sprichworts: „Von aller Welt ein
Fädchen webt dem Armen ein Hemd.“ Verkürzt als Motto auf „Alle Welt!“ Es ging darum, neben den für die Überschwemmungsgebiete im Fernen Osten eingesetzten staatlichen
Hilfsmaßnahmen in Milliardenhöhe ein Scherflein der im weiten Land nicht vom
Hochwasser Betroffenen für die mehr als 100 000 Menschen beizutragen,
welche im regelrecht monatelangem Kampf gegen die doch übermächtigen Naturgewalten
trotz heldenhaftem Einsatz von Hilfskräften wirklich nur noch das nackte Leben
retten konnten.
Die Telefongesellschaften nahmen den ganzen Tag SMS von
Teilnehmern entgegen, welche den Code „Wir sind eins!“ trugen und mit 50 Rubeln
abgerechnet wurden. Auf dem Roten Platz begann um 10 Uhr Ortszeit ein
Freiluftkonzert führender und auch anderer Künstler der „Szene“, dessen Erlös
in den Solidaritätsfond einfloss. Der 1. Kanal des Russischen Fernsehens hatte
passende Sendungen dazu gestaltet und blendete die Sammelergebnisse ein. Die
Gesellschaft zahlte alle Einnahmen aus der Reklame dieses Tages in den
Spendentopf ein. Als ich letztmalig diesen Kanal einschaltete, waren dort rund
142 Millionen Rubel (etwa 3,4 Millionen Euro) zusammengekommen.
Was heute
Morgen als vorläufiges Ergebnis fest stand: wirklich alle Welt, die Länder der
ehemaligen Sowjetunion, aber auch US-amerikanische und deutsche Bürger, viele
hier Ungenannte brachten mit ihren Spenden mehr als eine halbe Milliarde Rubel
zusammen. Ein Asherbaidschaner, Emin Medshidow, schickte 600 SMS!
Was hier nicht berichtet werden kann, sind genaue Angaben zu den
Spenden an Sachwerten, welche jetzt noch ständig im Katastrophengebiet eintreffen: warme
Kleidung, Schuhe, Bettwäschen, Decken, Lebensmittelkonserven und vieles andere
mehr.
Berührend und andererseits zukunftsweisend eine Szene aus der Sendung des bekannten Moderators Andreij Malachow: „Lasst sie reden“. Bei ihm zu Gast im Studio eine
knapp 90 Jahre alte Frau, Teilnehmerin am 2. Weltkrieg, der hier bekanntlich
Großer Vaterländischer Krieg genannt wird. Sie hatte fast bis zuletzt in ihrem
Häuschen ausgehalten, um ihre Ziegen nicht zu verlassen, ihre Ernährerinnen,
welche nun im Dachgeschoss leben mussten. Ihre Tochter war dort geblieben, sie
wegen doch gewisser Gebrechlichkeit fast mit Gewalt evakuiert worden.
Man hatte
für kurze Zeit eine Fernsehbrücke zur Tochter geschaltet, welche der Mutter die
lebenden Ziegen zeigen konnte. Außerdem war eine Tochter mit Enkelin aus der
Ferne herbeigeflogen worden – Oma hatte die Tochter lange nicht und die Enkelin
noch nie gesehen. Eine tief bewegende Begegnung. Gelungene Regie.
Nur eins
hatte man nicht gekonnt – vorhersehen, was die Kriegsveteranin sagen würde. Sie
war mit Unterbringung und Versorgung zufrieden, wollte aber dennoch unbedingt
ihren in Kürze zu erwartenden 90. Geburtstag daheim feiern. Eine junge Frau,
Schriftstellerin, übergab ihr etwas Geld in einem Umschlag und versprach
öffentlich, mit der Familie in Verbindung zu bleiben. Obwohl Oma sich herzlich
bedankte, sagte sie doch auch – in einem anderen Zusammenhang: „Das Geld
brauche ich nicht. Wenn nur Frieden bleibt.“
Weil ich plötzlich von meinen Russisch nicht
verstehenden Schutzbefohlenen gebraucht wurde, konnte ich die sich um diese
Antwort entwickelnde Diskussion leider nicht verfolgen.
Nur: was ich zum
Verständnis der russischen Bevölkerungsmehrheit und auch der meisten russischen
Politiker bezüglich Krieg schon in meinen vorherigen Post´s formuliert habe,
bestätigte sich unverhofft und öffentlich.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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