Montag, 30. September 2013

Zärtlichkeit...

           Wenn ich mich richtig entsinne, hat der Kubaner Ernesto Cardenal sehr poetisch formuliert: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“ 
            Diese Worte kommen mir in den Sinn anlässlich von zwei mich berührenden Ereignissen. Das erste: nach langer diplomatischer Arbeit der russischen Spitzenpolitiker und ihrer Spezialisten ist es dazu gekommen, dass die Syrien-Resolution des UNO-Sicherheitsrates zustande kam, welche von allen seinen Mitgliedern unterschrieben wurde. Diese nicht nur auf russischer Seite sehr wünschenswerte Entwicklung wurde aber nur möglich, weil Russland und seine Sympathisanten sowohl Kraft als auch Intelligenz einbrachten, um nicht nur dem syrischen Volk zu helfen, sondern anderen Völkern Leid zu ersparen. Von den materiellen Verlusten rede ich nicht einmal. Als einfacher User des Netzes danke ich allen Beteiligten für ihre Haltung, politische Fantasie und eingebrachte positive Energie.

        Der vergangene Sonntag war im Vielvölkerstaat Russland der „Tag der Solidarität“ – vielleicht für die Organisatoren genauer ein „Tag der Einheit“. Er verlief unter der Devise des alten slawischen Sprichworts: „Von aller Welt ein Fädchen webt dem Armen ein Hemd.“ Verkürzt als Motto auf „Alle Welt!“ Es ging darum, neben den für die Überschwemmungsgebiete im Fernen Osten eingesetzten staatlichen Hilfsmaßnahmen in Milliardenhöhe ein Scherflein der im weiten Land nicht vom Hochwasser Betroffenen für die mehr als 100 000 Menschen beizutragen, welche im regelrecht monatelangem Kampf gegen die doch übermächtigen Naturgewalten trotz heldenhaftem Einsatz von Hilfskräften wirklich nur noch das nackte Leben retten konnten. 
            Die Telefongesellschaften nahmen den ganzen Tag SMS von Teilnehmern entgegen, welche den Code „Wir sind eins!“ trugen und mit 50 Rubeln abgerechnet wurden. Auf dem Roten Platz begann um 10 Uhr Ortszeit ein Freiluftkonzert führender und auch anderer Künstler der „Szene“, dessen Erlös in den Solidaritätsfond einfloss. Der 1. Kanal des Russischen Fernsehens hatte passende Sendungen dazu gestaltet und blendete die Sammelergebnisse ein. Die Gesellschaft zahlte alle Einnahmen aus der Reklame dieses Tages in den Spendentopf ein. Als ich letztmalig diesen Kanal einschaltete, waren dort rund 142 Millionen Rubel (etwa 3,4 Millionen Euro) zusammengekommen. 
            Was heute Morgen als vorläufiges Ergebnis fest stand: wirklich alle Welt, die Länder der ehemaligen Sowjetunion, aber auch US-amerikanische und deutsche Bürger, viele hier Ungenannte brachten mit ihren Spenden mehr als eine halbe Milliarde Rubel zusammen. Ein Asherbaidschaner, Emin Medshidow, schickte 600 SMS! 
          Was hier nicht berichtet werden kann, sind genaue Angaben zu den Spenden an Sachwerten, welche jetzt noch ständig im Katastrophengebiet eintreffen: warme Kleidung, Schuhe, Bettwäschen, Decken, Lebensmittelkonserven und vieles andere mehr. 
         Berührend und andererseits zukunftsweisend eine Szene aus der Sendung des bekannten Moderators Andreij Malachow: „Lasst sie reden“. Bei ihm zu Gast im Studio eine knapp 90 Jahre alte Frau, Teilnehmerin am 2. Weltkrieg, der hier bekanntlich Großer Vaterländischer Krieg genannt wird. Sie hatte fast bis zuletzt in ihrem Häuschen ausgehalten, um ihre Ziegen nicht zu verlassen, ihre Ernährerinnen, welche nun im Dachgeschoss leben mussten. Ihre Tochter war dort geblieben, sie wegen doch gewisser Gebrechlichkeit fast mit Gewalt evakuiert worden. 
         Man hatte für kurze Zeit eine Fernsehbrücke zur Tochter geschaltet, welche der Mutter die lebenden Ziegen zeigen konnte. Außerdem war eine Tochter mit Enkelin aus der Ferne herbeigeflogen worden – Oma hatte die Tochter lange nicht und die Enkelin noch nie gesehen. Eine tief bewegende Begegnung. Gelungene Regie. 
            Nur eins hatte man nicht gekonnt – vorhersehen, was die Kriegsveteranin sagen würde. Sie war mit Unterbringung und Versorgung zufrieden, wollte aber dennoch unbedingt ihren in Kürze zu erwartenden 90. Geburtstag daheim feiern. Eine junge Frau, Schriftstellerin, übergab ihr etwas Geld in einem Umschlag und versprach öffentlich, mit der Familie in Verbindung zu bleiben. Obwohl Oma sich herzlich bedankte, sagte sie doch auch – in einem anderen Zusammenhang: „Das Geld brauche ich nicht. Wenn nur Frieden bleibt.“ 
     Weil ich plötzlich von meinen Russisch nicht verstehenden Schutzbefohlenen gebraucht wurde, konnte ich die sich um diese Antwort entwickelnde Diskussion leider nicht verfolgen. 
     Nur: was ich zum Verständnis der russischen Bevölkerungsmehrheit und auch der meisten russischen Politiker bezüglich Krieg schon in meinen vorherigen Post´s formuliert habe, bestätigte sich unverhofft und öffentlich.  

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger








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