Dienstag, 25. September 2012

Enttäuschung ... oder nicht?

        Ein russischer Bürger wurde durch mich begleitet - sachlich und sprachlich. Von Hannover aus. Dort wollte er, erstmals im westlichen Ausland, sich gerne ein Paar Schuhe kaufen. Auf der Einkaufsmeile besuchten wir fünf große Geschäfte - nicht passte. Weder von Form und Farbe, besonders aber nicht zum Geldbeutel.Das ist nicht neu. Die relativ hohen (?) Löhne wollen doch über den Preis hereingeholt werden - zumindest beim Qualitätsschuh. Die Argumentation griff.
        Zum Hotelservice gab es keine Fragen - da waren über Internet die Kosten schon bekannt.

        Dass die Deutsche Bahn über einen namentlich gekennzeichneten Fahrschein die Doppelfahrt nur um etwa 18 % teurer verkaufte als einen Einzelfahrschein - das wunderte natürlich auch. Und dass zum Fahrkartenkauf kein Ausweis vorgelegt werden muss ...

        Angenehm war ihm - mir auch - der Komfort der Sitze und das kaum hörbare Fahrgeräusch. Rundum positive Erfahrungen - eine Reise nach Wunsch im mit Vorschusslorbeeren schon in Russland bedachten Deutschland.
        Dann kam der jähe Absturz. Auf einem kleinen Bahnhof wurden wir höflich aus dem Zug gebeten. Vandalen hätten Kupferkabel gestohlen - die Reise musste mit Schienenersatzverkehr weiter gehen. Bis zum Einstieg in den Bus zeterte Sergeij, dass im doch so ordentlichen Deutschland plötzlich "russische Zustände" eingetreten seien. Lediglich die Tatsache, dass der Bus wartete und nicht erst nach Stunden kam, versöhnte ihn.

        Eine ältere Frau und ich bekamen von jungen Leuten deren Sitzplätze angeboten. Wir nahmen herzlich dankend an. Es gibt sie noch - diese Art von Jugendlichen. Wie angenehm. Auch meine Nachbarin. Sie bemerkte als erstes, dass sie ein wenig redselig sei - von mir gekontert mit der Bemerkung, ich wäre auch nicht erst seit drei Tagen verheiratet.
        Im Verlauf des Gespräches kam sie auf einen Nachbarn, einen Russen, der für sie häufig kleine Reparaturen sehr gut und mit einfachsten Mittel erledigt. Für mich die Chance, mein "Insiderwissen" an die Frau zu bringen. Die Jahrzehnte lange Mangelwirtschaft in der Sowjetunion hat bei deren Einwohnern die Fähigkeit entwickelt, mit bescheidensten Mitteln fast alles im Haushalt und nicht nur dort zu reparieren. Die Meister darin heißen "kulibin" - die Wurzel des Wortes habe ich noch nicht finden können.
        Was aber noch angenehmer war - sie lobte in dieser Beziehung auch noch die "Ossis" - politkorrekt die Bürger der neuen Bundesländer. Es gäbe da einen, der ihr die noch recht gut aussehenden Möbel, deren Scharniere aber nicht mehr so richtig wollten, ganz auf neu gemacht hätte. Ich gab mich, um vom Lob zu profitieren, zu erkennen.
        Am Ende erfuhr ich noch, dass die Dame nach Hamburg in die Oper fuhr - es wurde "Fürst Igor" gegeben in einer - wie sie sagte - völlig umgedrehten, aber dadurch besonders interessanten Fassung.

        Als wir in Uelzen ankamen, dem Bahnhof, welchen der bekannte Architekt Hundertwasser geschaffen hat, war unsere Zeit für eine ordentliche Besichtigung leider stark zusammengeschmolzen. Das tat mir echt leid. Aber dahin komme ich noch - wenn auch ohne Sergej.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



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