Freitag, 7. September 2012

Wieso?

        Fernsehfilme sehe ich mir selten an. Lieber unterhalte ich mich selbst, als mich unterhalten zu lassen. Ein intelligent gemachter Film aus einer vernünftigen russischen Serie enthielt diesen Dialog:
 
        - Warum mögen die Leute uns nicht?
        - Weil das Tradition ist. Im Land hat ein riesiger Anteil der Bevölkerung für kleinste Vergehen "gesessen" oder war im GULAG. Die haben alle Familienangehörige. Wer soll also uns "Ordnungshüter" besonders lieben?

        Einige Tage später gab es einen Dokumentarfilm "Der Hundekrieg". Beruhte auf Tatsachen.
        Es gab in der sowjetischen Roten Armee den Befehl mit der Nr 298 vom 28. September 1942 "Über Strafbataillone". Nur das für diesen Post wesentliche: es war die Bereitstellung von wahrem "Kanonenfutter" aus Männern, die irgendwie straffällig geworden waren oder dazu gemacht wurden. Schlecht bewaffnet und ausgerüstet sowie versorgt, wurden sie häufig regelrecht militärisch wenig sinnvoll und effektiv einfach hingeopfert.

        Für Strafgefangene in Lagern bestand die Möglichkeit, sich freiwillig zur "Verteidigung des Vaterlandes" zu melden. Um "die Schuld mit Blut zu sühnen".
        Die Hierarchie der Verbrecher in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten war und ist sehr ausgeprägt. Schon damals gab es den "wor w sakone" - auf Deutsch etwa "Dieb nach dem Gesetz" (mein Wort: Oberdieb). Rechtskräftig verurteilte Verbrecher, waren diese die winzige, mächtige Oberschicht in der Verbrecherwelt. Arbeiteten nicht, ließen sich bedienen, bekamen von den selten zugestellten Päckchen der anderen streng befolgt einen Teil von Lebensmitteln und Rauchwaren, regelten die Dinge, welche die Leitung der Strafeinrichtung nie in den Griff bekam. Also waren sie deren Herren im Hintergrund. Sie trafen Entscheidungen bis hin zu denen über Leben und plötzlichen Tod Aufsässiger, Aufrechter. Die gemeinsame "Kasse" (obtschag) wurde auch von ihnen verwaltet.

        Diese "Herren" machten "die Gesetze" - welche streng einzuhalten waren. Jede Zusammenarbeit mit Machtorganen außer durch und/oder über sie selbst galt als Verrat. Strafe: das Leben!

        Nun gab es aber auch unter diesen Leuten einzelne, wie den "Oberdieb" Tscherkassow (Spitzname: Tscherkass), welcher sich freiwillig an die Front meldete, dort im Strafbataillon heldenhaft kämpfte, sogar Orden bekam - aber nach Kriegsende keine Arbeit fand und wieder straffällig wurde (er nicht allein ...). In der Haftanstalt begann für ihn und alle anderen "Frontkämpfer" der "Hundekrieg". Die ehemaligen Freiwilligen waren den anderen Verbrechern die "Hunde". Die ausgerottet werden mussten ...
        Die damaligen Machthaber setzten darauf, dass die mit dem gegenseitigen Abschlachten beschäftigten Verbrecher den Behörden weniger Sorgen machten. Makaber ...

        Im Zuge der Amnestie nach Stalins Tod 1953 kam auch Tscherkassow frei, der die Mordwelle in den Straflagern überlebt und seine Autorität gefestigt hatte. Er und viele andere Straftäter überfielen nun ihr Vaterland "von innen". Teils alleine, häufig in Banden. Die Fantasie sträubt sich nachzuvollziehen, was die einfachen Menschen des Landes zu ertragen hatten.
        Das weitere Schicksal des "Banditen-Helden" ist etwas verschwommen, inclusive einer mysteriösen Umbettung seiner Leiche. Wichtiger: die durchgreifende Kriminalisierung des Landes, von der ich nur etwas geahnt habe. Dazu folgt ein weiterer Post. Die Frage: wieso konnte so etwas beginnen? sollte mit diesem ein wenig beantwortet sein.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





       

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