Samstag, 17. Dezember 2016

Nadija und ich



Beginnen werde ich mit mir. Als vor langen Jahren in unserer Parteiorganisation die Entscheidung getroffen werden sollte, welche Losungen – bei den Waidleuten ist Losung der Mist der Jagdtiere – aus der großen Menge der vom „Zentralorgan der Partei“ vorgeschlagenen bei uns am und im Gebäude prangen sollten, schlug jemand auch diese vor: Überholen ohne einzuholen! (Wirtschaft DDR gegen BRD!) Nun war ich nicht der Revolutionär, welcher gegen das Zentralkomitee aufstand. Aber ich gab denen, welchen die Kürze des Satzes lobten, zu bedenken, dass die physikalische Logik anders ist. Wer auf einen Punkt vor dem sich bewegenden Objekt kommen will, muss ihm entgegenlaufen. Weil die Erde rund ist, muss man dem nach Osten rasenden auf Westkurs begegnen. Das könne von uns doch nicht gewollt sein. Also wurde eine weniger idiotische Phrase ausgewählt.

Ein Hubschrauberführer erzählte: wir waren im Anflug auf einen Landeplatz. Im Laderaum einige Passagiere. Plötzlich ein Knall, der Drehzahlmesser eines Triebwerkes der Mi-8 ging auf Null. Eindeutig Triebwerksausfall. Die Drehzahl der Tragschraube verringerte sich ebenfalls. Vor und unter uns eine Erdbeerplantage. Ich leitete einen steilen Sinkflug ein. Erst kurz vor unserer von mir geplanten Flugzeuglandung bemerkte ich die aufrechten Metallrohre der Bewässerungsanlage. Da machte ich etwas, das ich unter normalen Umständen nie gewagt hätte. Das einzige Triebwerk jagte ich auf eine absolut unzulässige Drehzahl hoch, wodurch die Leistung an der Tragschraube stieg und ich eine Punktlandung zwischen zwei Wasserrohren hinbekam. Etwas derb – aber ohne Schaden für Passagiere und Besatzung. Der Hubschrauber jedoch war im Eimer.

Dieser Post wurde geschrieben, weil ich heute einen ehemaligen Offizier der Sowjetarmee traf, der mit seiner Familie nach Kiew umzog, als ich einmal nicht in Bila Tserkva war. Er hatte mir davor etwas zu einem erstaunlichen Vorgang erzählt, versprochen, genaueres bei Gelegenheit dazu zu fügen. Das bekam ich heuten dank meiner zielstrebigen Fragen. Beim Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan war er Oberleutnant und Stellvertreter des Kommandeurs einer Aufklärungskompanie. Er hatte den Befehl, diese als Vorauskommando durch die letzte Schlucht auf afghanischem Gebiet zu führen. In der wurden sie plötzlich heftig beschossen. Dann kamen plötzlich Parlamentäre. Sie boten sehr nachdrücklich an, ihnen einen Teil der Schützenwaffen dieser Kompanie mit dazu gehöriger Munition zu überlassen. Bei Weigerung würden die Afghanen gezielt schießen. Der junge Offizier traf eine schwere, aber vernünftige Entscheidung. Er gab dem ehemaligen Feind die geforderte Bewaffnung. Dafür brachte er seine Einheit ohne einen einzigen Toten zur Brücke über den Fluss.
Auf sowjetischer Seite sah die Militärstaatsanwaltschaft sein Verhalten als verräterisch an. Er sollte verurteilt werden. Der Einspruch vernünftiger und einflussreicher Personen bewahrte ihn vor dem Tribunal.  

Die oben erwähnten Personen handelten „nach ihrem Gewissen“ – das hat mit Regeln und Vorschriften konkreter Art recht wenig zu tun.

Nun zu Nadija Sawtschenko. Diese schmucke Frau ist Offizier, Pilotin höchster Klasse. Ihr Angst zu machen ist kaum denkbar. Vor allem nicht von jungen Damen, welche in einem ukrainischen Fernsehprogramm ihren „Stil“ bemängeln, ihn als PR-lastig definieren. Nadija trägt ihre Kleidung so, wie es ihr passt. Aus Erfahrung in Hubschraubereinheiten weiß ich, dass der Umstieg vom Starrflüger Jagdflugzeug auf den Drehflügler Kampfhubschrauber extrem schwierig ist. Sie hat das gepackt. Interessant war für mich, wie sie in einer Talkshow den lautesten Teilnehmer fragte: „Haben sie schon auf Menschen geschossen?“ danach sich ruhig bekannte: „Ich aber ja.“ Anders gesagt – was weißt denn du von Krieg? Das Geschrei um ihre nach diplomatischen Regeln fehlerhaften Gespräche in Minsk wird abebben. Ich hoffe und wünsche, dass die mutige Abgeordnete Nadija Verständnis für ihre vom Gewissen veranlasste Handlung findet. Als ich gestern vor dem Einschlafen einen ukrainischen Fernsehkanal abschaltete, waren dort 68 % der Zuschauer für Nadija – Julia Timoschenko erhielt nur 32 %. Das freut einen denn ja auch...

Bleiben Sie recht gesund!    

Ihr

Siegfried Newiger





       

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen