Sonntag, 11. Dezember 2016

Trinkwasserquelle



Wer aus Westeuropa ohne die notwendige Einstimmung auf slawische, in Jahrhunderten und besonders den letzten Jahrzehnten entwickelte Mentalität urteilt, liegt meistens im Ergebnis völlig falsch. Das gilt vor allem auch bei der Beurteilung von Beiträgen aus den so genannten „Sozialen Netzen“. Die weltweit für mich zunehmend zu „Asozialen Netzen“ mutieren. Von ihren Gründern so nicht gedacht – von leider nicht wenigen Nutzern dazu gemacht. Deshalb empfehle ich meinen deutschsprachigen Lesern das Buch von Max Scharnigg „Herrn Knigge gefällt das!“. Da bekommen sie ein recht gutes Hilfsmittel gegen die unsensiblen und gewissenlosen Typen im Netz.
Zurück zu den Slawen. Die nicht nur hier in der Ukraine häufig „nach Ansichten“ leben – also denken. In Russisch: „po ponjatijam“. Sie finden ihre Ansicht von Gesetzen oder Vorschriften – danach handeln sie. Weil sie hochgestellte Vorbilder haben.
Ein ukrainischer Fernsehsender stellte nach einer Sendung zu Alkohol am Steuer und ähnlichem am Folgetag Reporter vor das ukrainische Parlament. Eine nach dem anderen kamen die „Volksvertreter“ gefahren und hielten im eindeutig ausgeschilderten Halteverbot. Die Frage der Journalisten wurde lässig oder frech beantwortet. Von „Für die paar Minuten?“ bis „Bin ich am Lenkrad gewesen?“ reichte die Skale der Antworten. Für die Bürger des Landes die Aufforderung, wegen der Gleichheit aller vor dem Gesetz ebenfalls die Regeln zu missachten – oder?

Das Risiko der Gefährdung Unschuldiger – wen interessiert das? Für mich erstmals ein extrem bewegendes Beispiel von Verachtung menschlichen Lebens. In der Sendung zum “Tag des Vaterlandsverteidigers“ wurde auch der staatlich genötigten Liquidatoren von Tschernobyl gedacht. Nur mit einer mich überraschenden und bestürzenden Bemerkung. Dass das Ensemble der ukrainischen Armee unmittelbar nach dem schrecklichen Vorfall im Katastrophengebiet aufzutreten veranlasst wurde. Die Bühne und der Zuschauerraum: Erdboden. Das Ensemble hatte nach dem Auftritt alle Kleidung einschließlich Unterwäsche und Schuhwerk zur Vernichtung abzugeben! Ja, Oberkommandierende haben mit jeder militärisch begründeten Entscheidung Verantwortung für einzelne oder viele Leben. Davon befreit sie nicht einmal ihr Gewissen. Aber dieser Entschluss…

Nur aus dem Wissen um diese und ähnliche menschenverachtende Handlungen der Entscheidungsträger in Russland unter den Zaren und später der Sowjetunion ist die Gleichgültigkeit zu verstehen, mit welcher heute noch viele einstige Untertanen nicht zu einfach bürgerlicher Haltung gefunden haben. 
Als ich heute in der Frühe mit Hund spazieren ging, fiel in unserer zum Fluss Ros leicht abschüssigen Straße erneut ein starker Wasserstrom auf. Da es nicht regnete, schaute ich nach der Quelle. Etwa 400 m stadteinwärts sprudelte sie unter einer Bordsteinkante hervor. Ein uns entgegenkommender Hundehalter schimpfte darauf, dass keine Kräfte des Katastrophenschutzes zu sehen wären. Ob er denn dort angerufen habe? „Nicht mein Bier!“ – in etwa so auf Deutsch. 
Ich hatte weder mein Handy dabei noch eine erforderliche Nummer parat. Als ich nach etwa einer Stunde zurückging, liefen weiter Kubikmeter Trinkwasser aus dem Loch – von Einsatzkräften nichts zu sehen. Weil heute Sonntag ist? Nach „Ansicht arbeitsfrei?“ Wenigstens das Abstellen der Zuleitung hätte möglich sein müssen… 
Dass eine recht große Anzahl „Kritiker“ die Situation beobachtet, aber offensichtlich keine zweckdienlichen Informationen an verantwortliche Institutionen gegeben hatten, schien deutlich. Natürlich kann auch dort ein vordringlicherer Fall bearbeitet werden… Aber mehr als eine Stunde ohne Reaktion ist für mich unverständlich. Nur die auch auf höheren Ebenen nicht selten erlebbare Gleichgültigkeit gegen gesellschaftlich vordringliche Abläufe ist für mich ein unbefriedigender Erklärungs-Hintergrund…

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger








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