Weil ich auf Vadim
Rabinovich gewartet habe, der bisher gewöhnlich am Sonntag seine eigenwillige politische
Wochenauswertung im Fernsehen präsentierte, war ich am Montag etwas ratlos. Jedoch
ist der Altweibersommer für vernünftige ältere Leute eine günstige Zeit für ihren
Urlaub. Auch andere Gründe sind denkbar. Also meine eigene sehr begrenzte Analyse
der Situation anbieten.
Da war ein
Interview mit dem ukrainischen Verteidigungsminister Armeegeneral Poltorak. Die intelligente und hübsche Reporterin war sehr
bissig. Er konnte ihr beweisen, dass die kämpfende Truppe an der „Ostfront“ inzwischen schon nicht nur von den freiwilligen
Volontären versorgt und ausgerüstet wird, sondern sogar nicht nur
Steinschleudern vom Verteidigungsministerium bekommt.
Auf die Frage der
jungen Frau, ob die Ukraine wie Israel und andere Staaten von den USA nicht als
„besonderer militärischer Partner“ anerkannt und unterstützt werden könne,
antwortete Pan Poltorak, dass kein amerikanischer Boy in Israel kämpfe – also die
personelle Sicherstellung der Verteidigung dort und in der Ukraine nur mit
örtlichem Personal denkbar sei. Sie wies darauf hin, dass im Kontext ihrer
Frage das nicht gemeint war, sondern die besonderen Bedingungen der Lieferung „letaler
Bewaffnung“. Eine in meinen Augen verniedlichende Bezeichnung. Minister Poltorak
sagte, dass Verhandlungen darüber laufen. Die ukrainische Seite erwarte nach Abschluss
der erwähnten Besprechungen die Lieferung von Flugabwehr- und Panzerabwehr-Bewaffnung.
Dann kam die Rede
auf die neue Militärdoktrin der Ukraine. Dass sie in fünf speziellen Dokumenten
schon festgelegt sei, darüber aber keine öffentliche Diskussion erfolge. Die
Einzelheiten sind mir in der ukrainisch geführten Unterhaltung nicht so klar
geworden, dass ich sie hier kommentieren kann.
Die Reporterin fragte,
wann in der Ukraine wie in anderen Staaten denn der Verteidigungsminister eine Zivilperson
würde. Auch das wäre in den Dokumenten geplant, antwortete der Armeegeneral. Die
Frage ist für mich nebensächlich. Man kann einen Berufsmilitär in Ehren
entlassen, danach als Minister (wieder) einsetzen…
Die Stimmung im
Land ist kritisch. Eine Journalistin drückte das im Fernsehen etwa so aus: „Dem
Wahlvolk wurde die Visafreiheit mit Westeuropa versprochen. Wir wollen
abwarten, was das Europaparlament in den nächsten Tagen dazu sagen wird. Bisher
hat man uns nur in die Seele gespuckt.“ Wenn sogar Vertreter der Massenmedien
so auftreten, ist das erstaunlich. Denn von westeuropäischer Seite sind nie terminliche
Zusagen gekommen. Immer war von noch erforderlichen Verhandlungen und Reformen
die Rede. Auf übertriebene Hoffnungen haben vorwiegend hiesige Politiker
gesetzt. Ich meine, dass auch Präsident Poroshenko bei mancher Äußerung nicht
deutlich genug gemacht hat, dass er das wünscht, ohne sicher zu sein. Die junge
Frau, welche von der Volksseele sprach, setzte nämlich auch sinngemäß so fort: „Wenn
es keine befriedigende Entscheidung gibt, wird der Präsident abwiegeln und
dafür Gründe an den Haaren herbeiziehen.“
Die Masse der
einfachen Ukrainer wird von den Visaerleichterungen nichts haben – sie sind die
bekannte Mohrrübe, welche vor dem Maul des Zugtieres hängt und bei jedem
Schritt ebenso weit wie der Wagen vorrückt. Für die meisten Bewohner des Landes
ist die bevorstehende Heizperiode wesentlich wichtiger. Die Bereitschaftsmeldungen
über den Brennstoffvorrat und die Einsatzfähigkeit der Rohrleitungssysteme klingen
im Fernsehen für den daran gewöhnten Bürger optimistisch, selbst wenn er weiß,
dass der nächste große Warmwasserausbruch in einem langsam abkühlenden
Wohngebiet irgendwo bald gemeldet wird. Der Verfall von Versorgungs- und Entsorgungssystemen
ist weltweit vorprogrammiert. Überall. Von der Regierungsform unabhängig. Verschleiß,
Alterung.
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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