Donnerstag, 30. Juli 2015

Etappe



Zurzeit laufen die innenpolitischen Ereignisse in der Ukraine den Beobachtern fast davon. Wer nicht wenigstens Russisch im Grunde kennt, muss höllisch aufpassen, dass er bzw. sie nicht informatorisch überrollt wird. 
Das ist unter anderem Ergebnis des „Kampfes um die informatorische Vorherrschaft“, welcher seit einiger Zeit von ukrainischer Seite intensiver geführt wird. Allerdings auch mit Haken und Ösen. Ein Beispiel: vorgestern wurden im Fernsehen unter Berufung auf Quellen der UNO und OSZE bekannt gegeben, dass seit Beginn der Kämpfe im und um den Donbass rund 6800 Menschen getötet und weit über 17.000 Personen verwundet wurden. 
Meine ständigen Leser werden sich gewiß daran erinnern, dass ich unter http://mein-ostblock.blogspot.com/2015/07/sind-soldaten-morder.html schrieb, dass die militärischen Todesopfer seit Beginn des unerklärten Krieges mit 2300 Soldaten aller Ränge beziffert wurden. Diese recht glaubwürdigen Angaben stammen aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium. 
In einer Sendung zum politischen Alltag bemerkte denn auch ein ukrainischer Journalist, dass er die Angaben von UNO und OSZE zwar verwenden werde, weil ihm andere nicht bekannt seien. Allerdings meine er, dass die ukrainischen Bürger, welche unter anderem auch die große Anzahl an Volontären stelle (ebenfalls unter den Opfern) ein Recht darauf habe, aus ukrainischen Quellen informiert zu werden. Seine etwas provokative Frage: Oder gibt es bei uns kein Monitoring der Menschenverluste? 
Sie werden verzeihen, dass ich hier Fakten und Erscheinungen etwas abseits von den Schlagzeilen kommentiere, die mir dazu geeignet scheinen, die innenpolitische Situation auch in anderen Facetten zu zeigen. 
Ein weiteres Beispiel dafür: der Chef der Radikalen-Partei Ljaschko hat vorgestern vor der Generalstaatsanwaltschaft mit einigen seiner Anhänger ein wenig randaliert. Verlangte einerseits eine Begegnung mit dem Generalstaatsanwalt, andererseits unter Verwendung einer Reihe sehr grober – also radikaler – Formulierungen dessen sofortigen Rücktritt. Nun weiß der ausgebildete Jurist Ljaschko natürlich, dass diese Art des Protestes ihm wieder einige Anhänger zuführt (was er bei seinem fallenden Rating nötig hat), andererseits weder juristische noch andere unangenehme Folgen für ihn haben wird. Die Aktion geht in der gegenwärtigen „Reformwelle“ mit den deutlich eingelegten „Antikorruptions-Beilagen“ einfach unter. 
Besonders eindrucksvoll erscheint in diesem Zusammenhang die Fernsehsendung „Lustrator 7,62“ mit ihrem Symbol – dem einsehbaren gefüllten Magazin einer Kalaschnikow-MPi (Patronen vom Kaliber 7,62 mm) und einem Teil der Schusswaffe im Hintergrund. In ihr werden recht eigenwillig ständig Tatsachen zu besonderen Bestechungsfällen und anderen Unrechtshandlungen von Personen aus dem einstigen und teilweise noch existierenden Machtapparat gezeigt und kommentiert. 
Eine weitere Facette: die Informationen des Rechtsanwalts von Nadija Sawtschenko zu ihrem Schicksal. Mich beeindruckte die Aussage, dass in der Zeit ihrer Überführung aus Moskau in ein Gefängnis der Stadt Rostow am Don sie für die Verteidigung „informatorisch nicht existent“ gewesen sei. 
Seine Formulierung in etwa: „Nach der in Russland heute noch geltenden sowjetischen Festlegung wird zu Strafgefangenen „auf Etappe“ grundsätzlich keine Auskunft erteilt.“ 
An anderer Stelle räumte er ein, dass auch der ukrainische Strafvollzug reformbedürftig sei. Die sowjetische Vergangenheit ist also in beiden Staaten noch nicht bewältigt. Ein Vierteljahrhundert nach Ende des Kalten Krieges! 

Nun noch etwas ebenfalls aktuelles, jedoch mit für die Menschen hier typischer humoriger Note. Gefunden am 29.07.2015 um 09.41 Uhr im Internet, „Ukrainisches politisches Forum“.

 Es wurde gesagt, dass alles so war. 
Vor einigen Tagen in Ushgorod… 
Selbst wenn erfunden, dann immer noch schön…

Wer seid ihr, Söhnchen… 
Im Hof schrammte ein „Merc“ (Mercedes – d. Ü.) die Tür eines „Slavuta“ (Saporoshets-Version). Aus dem „Slavuta“ krabbelte ein alter Herr heraus und schrie… Aus dem „Merc“ stieg ein Bursche, schlug dem Alten ins Gesicht: 
„Mein Familienname ist Helzer. Mein Vater ist Richter.“ 
Der Opa zwängte sich in den „Slavuta“ mit den hörbaren Worten: „Im Krieg habe ich Panzer gerammt – und hier wird mich irgend so ein Deutscher ohrfeigen.“ Holte Schwung und rammte den „Merc“. 
Helzer sprang mit wüsten Flüchen aus dem Auto und, einen Baseballschläger schwingend, auf den „Slavuta“ zu. 
Von der Bank im Hof erhoben sich drei junge Männer. Einer von ihnen lief sehr rasch auf das ausgeflippte „Richtersöhnchen“ zu und schickte das mit einem kurzen Kinnhaken zu Boden. 
„Wer seid ihr, Söhnchen?“ interessierte sich der Greis. 
„Partisanen, Väterchen, Partisanen.“ 
Die Beobachter auf den Balkonen des Hochhauses applaudierten stehend.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

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