Donnerstag, 30. Juli 2015

Dilemma?



Es gab einige Bemerkungen zum Post „Sind Soldaten Mörder?“. Auf diese ist zu reagieren.
Als ich noch Uniform trug, gab es zu unserer ideologischen Beruhigung den Begriff „gerechter Krieg“ – und natürlich sein Gegenteil. Damit habe ich Tucholsky zu den moralischen Akten gelegt. Weil ich mich dafür entschieden hatte, durch meinen Anteil an militärischer Abschreckung Krieg in Westeuropa mit zu verhindern. Was  uns seit langen Jahren ja auch gelungen ist – oder? Die Gegenseite behauptet das ebenfalls – ich weiß. 
Nur lenkt dieses Argument davon ab, dass die Meinungen des  Bischofs Cyprian und des Schriftstellers Tucholsky im Prinzip eine Verurteilung beliebiger Kriege sind. 

Da gibt es die Ablehnung der Auffassungen beider aus Gründen der Definition. Diese ist vor allem im deutschen Recht dadurch gekennzeichnet, dass sich das Delikt „Mord“ von der „Tötung“ durch besondere Verwerflichkeit des Beweggrundes, der Begehungsweise oder der Absicht unterscheidet. Aber in vielen anderen nationalen Rechtsräumen sind dazu die Betrachtungsmerkmale andere. Zur Verständigung schlage ich vor, hier im Weiteren die Formulierung „Tötung“ zu nutzen. 
Es wird rechtlich-definitorisch schwierig, wenn im Zusammenhang mit meinen Überlegungen solche Begriffe wie Massenmord, Völkermord und Terrorismusfolgen genutzt werden müssen. Halten wir also definitiv fest: Soldaten werden zum Töten vorbereitet, d. h. befähigt. 
Prinzipiell hat deren überwiegender Teil keine die deutsche Morddefinition erfüllenden verwerflichen Ziele. Die moralischen Bedenken vieler Soldaten aller Rangstufen werden durch zweckdienliche Wortwahl zu beseitigen versucht. Im militärischen Sprachgebrauch ist nicht von „Tötung der Menschen auf der anderen Seite“ die Rede, sondern verniedlichend von „Ausschalten lebender Kraft“ und ähnlich. 
Außerdem wurde uns und wird heute Jüngeren eingetrichtert: „Wenn du nicht schießt (sprich: tötest oder verwundest), dann macht das der (natürlich) gewissenlose (?) Gegner mit dir.“ Sofort wirkt der Überlebensinstinkt. 
Wer die Geschichte der Menschheit unter Einschaltung des eigenen Kopfes betrachtet, sollte zu der Auffassung kommen, dass alle Kriege nicht von den Soldaten vorbereitet wurden und werden. Die wahren Motive der Tötungsorgien wurden und werden dort deutlich genannt, wo die verwerflichen Ziele wohl bekannt, aber als sachlich berechtigt betrachtet werden. 
Bei Bischof Cyprian liest sich das so: „Also nicht mehr Unschuld sichert Straflosigkeit zu, sondern die Größe des Verbrechens!“ Denn die Planer der Kriege erleben nur selten ihre Verurteilung. Nürnberg und Den Haag sind die Ausnahmen – nicht die Normalität. 

Eine zweite, bedingt berechtigte Kritik: laut ukrainischen Quellen hat Nadija Sawtschenko den Befehl zur Vernichtung des Hauses, in welchem sich unter anderen die russischen Journalisten aufhielten, nicht ausführen können, weil sie zu dem Zeitpunkt schon in Gefangenschaft war.

Weil, wie schon Aischylos vor rund 2500 Jahren sagte, im Krieg als erstes die Wahrheit stirbt, kann ich diese Variante nicht nachprüfen. Bleibe also bei meiner Meinung, dass sie von russischer Justiz verurteilt werden soll, weil sie wie jeder Soldat, der seine Heimat verteidigt, von der Zweckmäßigkeit des ihr übermittelten Befehls überzeugt war. Weil sie „lebende Kraft“ auszuschalten befähigt und im Sinne obigen Satzes bereit war. 
Nebenbei: wer sich in der Ukraine seiner Wehrpflicht entzieht, wird wie in vielen anderen Ländern zu strafrechtlicher Verantwortung gezogen. Das angesprochene Problem ist ein Dilemma, dass auf unterschiedliche Weise alle Soldaten betrifft. Diese können das in den seltensten Fällen lösen. 
Aber eine ewig friedvolle Erde sehe ich bei allem persönlichen Optimismus nicht.     

 Bleiben Sie recht gesund. 

Ihr 

Siegfried Newiger





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