Es ist so, dass der Begriff „Maidan“ – was aus dem Ukrainischen übersetzt
einfach nur „der Platz“ bedeutet – in
den letzten Wochen zum Symbol wurde. Nicht nur für den zumindest an Wochenenden wieder stärker
aufflackernden Unmut über viele Reaktionen der Staatsmacht. Sondern auch für
die mit den Aktionen dieser Macht verbundenen neu auftauchenden Probleme.
Mir wird
immer unwohler bei dem Gedanken, dass der „Volkswille“ außer Rand und Band
gerät. Die letzten erlassenen Bestimmungen, darunter das Verbot zum Tragen von
Helmen, haben den Unwillen der Massen geschürt. In eigener Familie der
Kommentar meiner einstigen Bautechnikerin: „Auf Baustellen darfst du nicht ohne
Helm, auf dem Motorrad ist er Pflicht – was hat man sich bloß dabei gedacht?“
Allerdings wird die letztgenannte Einschränkung von den Leuten erfinderisch umgangen.
Das reicht von der Verwendung von Kochtöpfen und Pfannen als Kopfbedeckung –
auch mit der Aufschrift „Dies ist kein Helm!“ darauf – bis zu anderen fantastischen
Kopfschützern. So handeln Menschen, die zu ihrem Wunsch nach Veränderungen im
Lande auch Humor haben.
Dazu kommt leider der zweite Teil der Menge – die Radikalen. Es
ist offenes Geheimnis, dass dies vor allem die Anhänger des Herrn Tjagnibok
sind. Die verwerfliche Schändung von Kriegergräbern im Gebiet Lwow (Lviv) oder
in Kiew die besonders aktive Teilnahme dieser Personengruppe am Sturz des
Lenindenkmals beweist das Gewaltpotential, welches mich beunruhigt. (Den Fakt
als solchen kommentiere ich nicht).
Denn am gestrigen Abend (19.01.2014) gingen
in Kiew einige KFZ des „Berkut“ oder anderer Sicherungskräfte in Flammen auf. Wenn hier
das von J. W. v. Goethe beschriebene und bei Situationen in Libyen, Ägypten,
Syrien und anderen Regionen zu beobachtende Prinzip „Zauberlehrling“ zu wirken
beginnt, wird es zu spät.
Für jene, welche das Gedicht nicht kennen, das
Kernzitat: „Die ich rief, die Geister, werd ich nicht mehr los!“
Bei aller Mühe
– was vorher geschürt wurde, geht ab bestimmter Aufputschung „der Straße“ in
unkontrollierbare Handlungen über. Leider sind die Berichte der meisten Massenmedien wenig beschwichtigend. Wer sein Brot mit Sensation verdient, sollte die mit jener verbundene Gefahr nicht zusätzlich verschärfen...
Als dritte Komponente sehe ich zum Glück auch
immer mehr Plakate, welche nach einem „Lider“ rufen. Leider lässt sich das Wort
ins Deutsche nur als „Führer“ übersetzen – ein Ausdruck aus unserer deutschen Vergangenheit
mit für mich zweifelhafter Ausstrahlung. Dessen aufgehetzte Horden 1933 – aber auch
davor und später – zeigten, wozu irre geleitete unzufriedene Menschen in der
Lage sind.
Die Suche nach einem „Leiter“ (die Verwandschaft des Wortes mit „Leittier“
fiel mir soeben auf) ist der Trend hin zu dem, was ich in meinem gestrigen Post
„Ein aufrechter ukrainischer Politiker“ schrieb. Was wohl in der „Washington
Post“ auch als Fehlen eines echten „Leaders“ für die kommende Entwicklung im
ukrainischen politischen Alltag sehr zutreffend ausgedrückt wurde.
Am gestrigen
Abend formulierte der wortgewaltige Herr Jazenjuk für mich seine innere Abkehr
von aller politischer Verantwortung, als er von den geplanten Verhandlungen
Opposition-Staatsmacht berichtete. Er sähe in dieser Verantwortung für das eigene Schicksal „das
ukrainische Volk“.
Glänzend!
Schon vor gut 60 Jahren wurde mir erklärt, dass
entsprechend der Sozialismusidee der „Klassiker des Marxismus/Leninismus“ die
Köchin zur Lenkung des Staates befähigt sei. Von den Köchinnen sahen wir immer
recht wenig – und die Köche haben uns mit in den „kalten Krieg“ genommen. Mit allen
daraus resultierenden historischen Ergebnissen. Stark vereinfacht – aber vielleicht
doch verständlich.
Gewisse Hoffnung gibt mir schon, dass die Suche nach dem „Leiter“
schon auf der Straße angekommen ist. Nur: ob er dort zu finden sein wird?
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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