Sonntag, 19. Januar 2014

Führer gesucht...


           Es ist so, dass der Begriff „Maidan“ – was aus dem Ukrainischen übersetzt einfach nur „der Platz“ bedeutet –  in den letzten Wochen zum Symbol wurde. Nicht nur für  den zumindest an Wochenenden wieder stärker aufflackernden Unmut über viele Reaktionen der Staatsmacht. Sondern auch für die mit den Aktionen dieser Macht verbundenen neu auftauchenden Probleme.
           Mir wird immer unwohler bei dem Gedanken, dass der „Volkswille“ außer Rand und Band gerät. Die letzten erlassenen Bestimmungen, darunter das Verbot zum Tragen von Helmen, haben den Unwillen der Massen geschürt. In eigener Familie der Kommentar meiner einstigen Bautechnikerin: „Auf Baustellen darfst du nicht ohne Helm, auf dem Motorrad ist er Pflicht – was hat man sich bloß dabei gedacht?“
         Allerdings wird die letztgenannte Einschränkung von den Leuten erfinderisch umgangen. Das reicht von der Verwendung von Kochtöpfen und Pfannen als Kopfbedeckung – auch mit der Aufschrift „Dies ist kein Helm!“ darauf – bis zu anderen fantastischen Kopfschützern. So handeln Menschen, die zu ihrem Wunsch nach Veränderungen im Lande auch Humor haben.
        Dazu kommt leider der zweite Teil der Menge – die Radikalen. Es ist offenes Geheimnis, dass dies vor allem die Anhänger des Herrn Tjagnibok sind. Die verwerfliche Schändung von Kriegergräbern im Gebiet Lwow (Lviv) oder in Kiew die besonders aktive Teilnahme dieser Personengruppe am Sturz des Lenindenkmals beweist das Gewaltpotential, welches mich beunruhigt. (Den Fakt als solchen kommentiere ich nicht).
         Denn am gestrigen Abend (19.01.2014) gingen in Kiew einige KFZ des „Berkut“ oder anderer Sicherungskräfte in Flammen auf. Wenn hier das von J. W. v. Goethe beschriebene und bei Situationen in Libyen, Ägypten, Syrien und anderen Regionen zu beobachtende Prinzip „Zauberlehrling“ zu wirken beginnt, wird es zu spät. 
       Für jene, welche das Gedicht nicht kennen, das Kernzitat: „Die ich rief, die Geister, werd ich nicht mehr los!“
           Bei aller Mühe – was vorher geschürt wurde, geht ab bestimmter Aufputschung „der Straße“ in unkontrollierbare Handlungen über. Leider sind die Berichte der meisten Massenmedien wenig beschwichtigend. Wer  sein Brot mit Sensation verdient, sollte die mit jener verbundene Gefahr nicht zusätzlich verschärfen...

          Als dritte Komponente sehe ich zum Glück auch immer mehr Plakate, welche nach einem „Lider“ rufen. Leider lässt sich das Wort ins Deutsche nur als „Führer“ übersetzen – ein Ausdruck aus unserer deutschen Vergangenheit mit für mich zweifelhafter Ausstrahlung. Dessen aufgehetzte Horden 1933 – aber auch davor und später – zeigten, wozu irre geleitete unzufriedene Menschen in der Lage sind.
         Die Suche nach einem „Leiter“ (die Verwandschaft des Wortes mit „Leittier“ fiel mir soeben auf) ist der Trend hin zu dem, was ich in meinem gestrigen Post „Ein aufrechter ukrainischer Politiker“ schrieb. Was wohl in der „Washington Post“ auch als Fehlen eines echten „Leaders“ für die kommende Entwicklung im ukrainischen politischen Alltag sehr zutreffend ausgedrückt wurde.
           Am gestrigen Abend formulierte der wortgewaltige Herr Jazenjuk für mich seine innere Abkehr von aller politischer Verantwortung, als er von den geplanten Verhandlungen Opposition-Staatsmacht berichtete. Er sähe in dieser  Verantwortung für das eigene Schicksal „das ukrainische Volk“.
              Glänzend!
         Schon vor gut 60 Jahren wurde mir erklärt, dass entsprechend der Sozialismusidee der „Klassiker des Marxismus/Leninismus“ die Köchin zur Lenkung des Staates befähigt sei. Von den Köchinnen sahen wir immer recht wenig – und die Köche haben uns mit in den „kalten Krieg“ genommen. Mit allen daraus resultierenden historischen Ergebnissen. Stark vereinfacht – aber vielleicht doch verständlich.
            Gewisse Hoffnung gibt mir schon, dass die Suche nach dem „Leiter“ schon auf der Straße angekommen ist. Nur: ob er dort zu finden sein wird?

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger






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