Dienstag, 22. Januar 2013

Wassermann?

          Das Leben unter Ukrainern und Russen ist interessant. Nicht immer einfach - aber dafür nicht langweilig. Ein Beispiel: mein heutiger Besuch auf dem Markt (Rynok, Basar). Die Verkäuferin, bei der ich einzukaufen vorziehe, war noch beim Auspacken der Ware, hatte sich etwas verspätet. Das Glatteis auf den Straßen tut einiges dazu. Nachdem sie mich bedient und bei mir kassiert hatte, sagte sie: "Dass die Mädchen sie  lieben mögen!" Ich war verdattert. Und antwortete, dass diese Zeit wohl vorbei sei. "Das ist nur eine Bemerkung für den potschin (den ersten Kauf, den ersten Kunden am Tag). Da muss man doch etwas Nettes sagen." Gehört hatte ich schon davon - passiert war es mir erstmalig. Aber die gute Laune für den Morgen war erst einmal gesichert.

          Dann hatte ich am Vorabend zufällig eine Sendung gesehen, in der ein bärtiger Mann sehr eigenwillige Kommentare gab. Gefragt, mit welchem seiner Opponenten der Vergangenheit er gern einen Disput führen würde, gab er auf einem Bildschirm mit Fotografien einem russischen Fernsehjournalisten den Vorzug.
          Dessen Frage: "Was sagen sie zu meiner Beobachtung, dass wir früher mit den jungen und auch älteren Menschen einen "kulturellen Bezugspunkt" hatten. Ein Zitat aus einem Film unserer Regisseure oder aus einem Buch unserer Klassiker wurde als solches erkannt. Wir kamen ins Gespräch. Heute sind diese kulturellen Bezugspunkte nach meiner Auffassung verschwunden."
         
          Anatolij Wassermann, geboren in der Ukraine, heute politischer Kommentator und Fernsehjournalist in Russland, stimmte seinem Gesprächspartner bedauernd zu. Er nannte auch seine Gründe für diese bedauerliche Erscheinung.
          Die leider nur Teile der Diskussion hatten mich neugierig gemacht. Also schaute ich heute in aller Frühe im Internet nach. Wer Russisch spricht und interessante Ansichten hören will - hier ist ein Link: http://vassermans.ru/reakcija/reakciya-vassermana-20-01-2013/

          Wer leider darauf angewiesen ist, dass ich die Vermittlung übernehme - sie wird nur teilweise geschehen. Denn Wassermann spricht rasch, konzentriert und zielgerichtet, um in verfügbarer Sendezeit so viel wie möglich an die Zuschauer zu übermitteln. Allerdings werde ich mit ihm in eine Richtung gehen. Meine Bildung an der Hochschule habe ich in Moskau bekommen, lebe in der Ukraine.

          Aber Kulturverfall in aller Welt unter dem Einfluss des "american way of life" beobachte ich wie Wassermann mit Sorge. In anderer Hinsicht eile ich ihm vielleicht etwas voraus. Aber die russischen Zaren haben schon vor Jahrhunderten verarmenden, nur fleißigen Westeuropäern Siedlungsraum angeboten. Ohne soziale Absicherung. Die Bedingungen sind heute anders. Und es werden nicht nur Abenteurer in das "Land der neuen unbegrenzten Möglichkeiten" kommen. Die ersten Schwalben sind schon da. Da meine ich nicht Herrn Depardieu.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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