Obwohl ich schon
wieder einige Tage in der Ukraine bin, lässt mich die Situation in Deutschland
nicht los. Denn die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin-Marzahn
besonders werfen ihre Schatten bis hierher. Weil nicht wenige politisch aktiver
Ukrainer mir die Frage stellen: „Wie beurteilst du diese Ergebnisse?“ Sie haben
die AfD als extrem nationalistische Kraft erkannt und vergleichen sie mit
ähnlichen politischen Kräften im eigenen Land.
Dazu kommt, dass die genannten
Bereiche ja vorwiegend in der ehemaligen DDR liegen. In der auch ich von Beginn
bis Ende gelebt habe. Dass „unsere Deutschen“ (psychologisch sind jene mit
selbst geringen Russischkenntnissen fast eingemeindet) solche Entscheidungen
treffen, ist manchem hier unfassbar.
Die meisten meiner Versuche einer
erklärenden Begründung scheiterten und scheitern. Weil in der Ukraine bei
vielen Menschen ein besonders stark idealisiertes Deutschlandbild existiert. Ebenso
besitzen nicht wenige deutsche Normalverbraucher sehr unklare Vorstellungen von
diesem Land, seinen Bewohnern und einfachsten mentalen Unterschieden gegenüber
dem westeuropäischen und in diesen Fall dem deutschen Kulturkreis.
Wenn ich das
„deutsche Ideal“ der Wahrheit entsprechend etwas an die Wirklichkeit annähern
will, komme ich häufig in die Position des „Nestbeschmutzers“. Auch der Hinweis
darauf, dass schon einige Millionen Ukrainer „mit den Füßen abgestimmt“ haben, legal
oder illegal im Ausland sind, also die Entwicklung in ihrer Heimat ebenfalls
sehr kritisch sehen, überzeugt nicht.
Dass in der Ukraine mit dem Argument: „Bleibt
wo ihr herkommt – ihr habt doch Putin gerufen!“ eine Diskussion gegen die etwa 1,5
Millionen Flüchtlinge aus den Ostgebieten existiert, welche sich nicht viel von
jener der AfD unterscheidet, wird anerkannt. Das Gegenargument: „Bei euch
kommen die aber aus Ländern, die materiell und kulturell völlig verschieden
sind.“
Die Turbulenzen in Deutschland und Westeuropa lassen zwar nicht bei den
Offiziellen und Entscheidungsträgern in der Ukraine die Stimmung sinken. Aber selbständig
Denkende in der Bevölkerung beginnen zu ahnen, dass die Option Westeuropa doch
zunehmend nicht nur die versprochene Visafreiheit, sondern dazu einige Probleme
ökonomischer Natur mit sich bringt. Darüber haben zwar alle ukrainischen
Politiker mit unterschiedlicher Intensität gesprochen, teilweise auch
abgewiegelt. Aber wer lässt sich gern seine Hoffnung rauben?
In Berlin habe ich
wieder die Probleme Altersarmut verstärkt behandelt gesehen, außerdem die
Fakten zur Bedürftigkeit von etwa 40 % deutscher Schulkinder. Die Rente von 650
€ nimmt der Ukrainer mit 30 mal. Für ihn – oder sie – sind 18.500 Hrywna eine erstrebenswerte
Rente. Sie sind jedoch mit den Mieten, den Preisen für Waren oder Dienstleistungen in Deutschland nicht
vertraut. Folglich verstehen sie nicht, dass eine einzelne Person mit diesen
alleinigen Einkünften in der BRD unter dem Existenzminimum vegetieren muss.
Dass
in 2014 in Deutschland nach begründeter Schätzung 335.000 Personen wohnungslos
waren, entsprechende Hilfsverbände bis 2018 den Anstieg auf etwa 536.000 Wohnungslose
erwarten, wird mir nicht abgenommen. Das kann und darf deswegen für die meisten
Ukrainer im reichen Deutschland nicht möglich sein.
Die beiderseits vorherrschenden
Auffassungen vom Anderen sind deutlich nicht stichhaltig in allen Fällen. Was die
extremistischen Vertreter beider Nationen anbetrifft: Extremismus ist auch bei
denjenigen vorhanden, welche die Flüchtlingsströme verursacht haben, die eine solche
Haltung bestärken. Zusammenrücken und Teilen ist ein Zeichen humanitärer
Gesinnung. Die gewöhnlich laut auch von ihnen eingefordert wird, wenn es den Extremisten
persönlich schlecht geht.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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