Montag, 15. Juni 2015

Journalistische Recherchen



Wenn Präsident Poroschenko davon spricht, dass die russische Seite es wegen der stabilisierten Kampfkraft der ukrainischen bewaffneten Kräfte nicht mehr auf eine direkte militärische Konfrontation ankommen lassen wird, sondern auf Auflösungserscheinungen im Inneren des Landes setzt, sollte das kommentiert werden. 

Da ist als erstes die sehr notwendige, aber vor allem bei den Ärmsten am meisten fühlbare Erhöhung der Tarife für Mieten und Energie- sowie Wasserversorgung als auch die relativ umfassende Begrenzung von Renten und Mindestlöhnen. Dazu kommen eine Reihe hausgemachter Probleme. 

Eines der spektakulärsten: die Brand-Katastrophe in einem Tanklager bei Wassilkow, einer Kleinstadt unweit Kiew. Aus einem Luftbild der Umgebung dieses Objekts geht hervor, dass schon mit der Genehmigung zum Ausbau des Tanklagers die ukrainische Gesetzgebung massiv verletzt wurde. Denn in unmittelbarer Nähe liegt eine militärische Kaserne, in deren Lagern Gefechtsmunition aufbewahrt wird. Des Weiteren gibt es auf der anderen angrenzenden Fläche auch noch ein Tanklager. Dieses mit nicht ungefährlichen Chemikalien. Leider habe ich nicht genau erfassen können, was dort konkret eingelagert ist. Aber die Reporter haben unter Berufung auf Experten des Bauwesens klar machen können, dass die geschilderte Konzentration von gefährlichen Objekten eindeutig den ukrainischen Sicherheitsbestimmungen widerspricht. Vor allem betrifft das an den Behältern des Tanklagers fehlenden Überlaufschutz und geforderte Löschautomatik… Da die Anlagen schon vor längerem gebaut wurden, können diese „Altlasten“ der neuen Staatsmacht allerdings nicht angelastet werden. 
Der Grund für die Katastrophe war angeblich der wie gewohnt praktizierte Versuch, gepanschtes Benzin herzustellen, um an der Preisdifferenz zu verdienen. Ein Schlauch sei geplatzt, hätte die Beteiligten sowie ihre unmittelbare Umgebung mit Benzin durchnässt. Durch Funkenflug aus dem Bereich der elektrisch betriebenen Pumpe wäre das Feuer entstanden. Die erste Reaktion: es mit eigenen Mitteln löschen, damit nichts von der Panscherei an die Öffentlichkeit dringt. Dadurch ist die weitaus mächtigere Feuerwehr erst gerufen worden, als es zu spät war. 

In einem Fernsehprogramm zur Veröffentlichung von Ergebnissen journalistischer Untersuchungen ein Fall, der mich erschauern lässt. 
In Donezk gab es ein Unternehmen, das mit seiner patentierten Technologie preisgünstig Borsäure höchster Qualität herstellte. Diese wird als so genannte „Bremsflüssigkeit“ in der ersten Kontur von Atommeilern in Kernkraftwerken verwendet. Um die dort frei werdenden Elektronen zu bremsen, also unkontrollierte Kernreaktionen zu verhindern. 
Weil die Produktion in Donezk nicht aufrechterhalten werden konnte, ist der entscheidende Unternehmer mit seinem Stab in eine andere Stadt gezogen. Wenn ich recht erinnere, nach Tscherkassy. Um sein Werk im Interesse auch des Landes dort neu aufzubauen, dessen Produktion fortzusetzen. Das durch diese Tatsache allein schon widerlegte Gerücht, er sei ein „offener Separatist“, hat den Sicherheitsdienst auf den Plan gerufen. Obwohl die Reserven der Atomkraftwerke an Borsäure beginnen, langsam ihre kritische Grenze zu erreichen, die Konkurrenten zu höheren Preisen minderwertigere Ware liefern, muss der Mann, der Arbeitsplätze schaffen und ein strategisch wichtiges Produkt produzieren lassen will, von einem Amt zu anderen rasen und auch noch den Sicherheitsdienst von seiner Rechtschaffenheit überzeugen. 
Eine moderne Variante der Arie „Die Verleumdung, sie ist ein Lüftchen …“ aus dem „Barbier von Sevilla“. Nur untergräbt dieses Vorgehen das Vertrauen in die Staatsmacht weiter… So bekommt unlauterer Konkurrenzkampf eine politische Komponente… 

Wie gefällt das folgende Schema? Mit einem oder einigen Federstrichen verwandelte der damalige Beamte und heutige Bürgermeister einer idyllischen Kleinstadt nahe Kiew einige hundert Quadratmeter Boden in einem begehrten Areal in Bauland, das er seinem einstigen Unternehmen zum Spottpreis zuschanzte. Danach brachte er diese Fläche zum wahren Marktwert als seinen Anteil in ein Bauunternehmen ein. Als Gegenleistung bekam er laut Steuererklärung von 2013 nach deren Fertigstellung 47 Wohnungen übereignet. Davon waren zum Zeitpunkt der gesendeten Reportage schon 24 verkauft. Selbst wenn sich die Immobilienpreise in der Ukraine sehr von deutschen unterscheiden – für die erlöste Summe müsste eine ukrainische Rentnerin ganz schön lange stricken… 

Auch aus den Ergebnissen der journalistischen Nachforschungen: die eindeutigen Absprachen zwischen am Gewinn aus staatlichen Aufträgen sehr interessierten Firmen führten dazu, dass auf Ausschreibungen für Lieferung von Kraftstoffen an bewaffnete Kräfte der Zuschlag an jene ging, welche mit ihren Lieferungen Sondergewinne aus der Staatskasse einfuhren…

Als letztes trauriges Beispiel eins aus dem Bereich Rechtsprechung. Da gab es das Amtshilfeersuchen italienischer Stellen über Interpol, einen Grusinier (Georgier) auszuliefern, der es geschafft hatte, als Mitglied einer mafiaähnlichen Gruppierung doch in die Ukraine zu entkommen. Hier wurde er festgesetzt. Trotz der erdrückenden Beweise hob ein ukrainischer Richter den Haftbefehl auf. Der Mafiosi ist auf freiem Fuß. Wo - das war unbekannt. 
Nicht nur beim erwähnten Richter tauchen in den Steuererklärungen unter „Geschenke“ Summen wie 1,2 Millionen Hrywna auf. Ein Schelm, der Arges dabei denkt … 
Da ist es sicher noch ein weiter Weg, bis die seit einiger Zeit eingeleiteten Antikorruptionsmassnahmen und die so genannte „Lustration“ (Durchleuchtung ehemaliger dienstlicher Tätigkeit von Amtsinhabern) so greifen, dass die Bevölkerung deren Wirkung deutlich spürt. Zu dem Staat, den viele aktiv verteidigen, eine begründetere Bindung findet. Den damit Beschäftigten wünsche ich Erfolg und Rechtschaffenheit. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





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