Odessa
ist eine weltoffene Stadt. Wird gesagt. Die Anbindung ans Schwarze Meer,
Schiffe, Reisende, Matrosen… Hier sind also auch die vielfältigsten Meinungen
präsent. So zum Beispiel meine – wenn ich hier bin.
Vor allem auch deswegen,
weil ich vor kurzem an der Nordsee war. In Wyk auf Föhr. Wo mich eine
Information überraschte. Dass dort eine kleine, fleißige Organisation
existiert, welche alles das sammelt, was für bedürftige Personen und Familien
an Waren und Lebensmitteln vor allem durch Privatpersonen und Geschäftsleute gespendet
wird. In ihrer Effektivität ein Beispiel für ganz Deutschland.
Aus dem aktuellen „Insel-Bote“ zitiere ich (Jahresbericht der Tafel Föhr):
„Wurden anfangs 100 Personen versorgt, so sind es heute 149, und die Zahl der Kunden werde auch künftig
stetig steigen.“
Bei rund 8500 Einwohnern auf der Insel sind grob gerechnet
1,7 % der Bevölkerung bedürftig. Da Kinder bei Ausgabe der „Tafel“ dort
gewöhnlich nichts empfangen, darf ich davon ausgehen, dass die Familien mit
Bedarf an Mildtätigkeit nicht direkt erfasst sind – also etwa 2 % der Bevölkerung schon heute nicht genug
zum einfachen Leben haben.
Der fett hervorgehobene Satzteil ist ein leider
negatives Vorzeichen. Das ganz mit anderen Tendenzen in unserer Heimat übereinstimmt.
Das besonders Positive: ein Dank an alle fleißigen Ehrenamtlichen der Tafel!
Was
hat das alles mit Odessa zu tun?
Hier ging es in einer Diskussion um meine
Einstellung zur Ukraine und zu den USA.
Die zur Ukraine hatte ich durch meine
Rückkehr aus Deutschland hierher praktisch bewiesen. Mein Verweis darauf
beendete diesen Teil der Unterhaltung.
Auch, weil ich Verständnis für Premier
Jazenjuk habe, selbst für Präsident Poroshenko. Welche beide zunehmend in der
Kritik stehen. Poroshenko, weil die hier „selbsternannten Oberkommandierenden“ alle
eigene und nach persönlicher Auffassung wirksamere militärische Operationen zur
Beendigung der Krise im Donbass anbieten.
Jazenjuk, weil gegenwärtig eine Kommission
untersucht, ob wirklich während seiner Amtszeit durch Mitglieder seiner
Regierungsmannschaft bisher mehr als 7 Milliarden Hrywna (entsprechen zurzeit
etwa 310 Millionen Euro) verschleudert oder veruntreut wurden. Damit ist ein
Vorwurf der persönlichen Bestechlichkeit verbunden.
Daran ändert auch nichts
die Tatsache, dass es seit einiger Zeit ein „Telefon des Vertrauens“ in Kiew gibt,
welches in besonderen Fällen Abhilfe von Missständen vor Ort tatsächlich
bewirkt.
Meine Argumentation: 25 Jahre Praxis in „Bestechlichkeit als Hebel“
für viele Vorgänge im Apparat des seither souveränen Staates und im täglichen Leben sind nicht
einfach mit Dekret aus der Welt zu schaffen. Zumal dieses Mittel auch schon zu
Sowjetzeiten angewendet wurde – selbst im zaristischen Großreich.
Dann verwies
ich auf Berichte aus deutschen Massenmedien. Die von Bestechlichkeit und
verwerflichen, sogar sträflichen Handlungsweisen in den Chefetagen deutscher
Konzerne und Banken berichten. Aber nicht nur dort, sondern auch in Etagen
darunter. Das sind für mich die markantesten Vorbilder aus dem Bereich der hier
viel gepriesenen „westeuropäischen Werte“!
Danach wurde mir durch einen Gast aus
den USA ein Beispiel serviert, das mich später zu diesem Post anregte. Seine
aus der Ukraine stammende Ehefrau ist als Krankenschwester tätig. Seit der von
Präsident Obama gegen großen politischen Widerstand durchgesetzten Reform der
Krankenversicherung sei der Anteil bisher nicht behandelter Patienten deutlich
angestiegen. Allerdings würden viele US-Amerikaner diese Reform als „staatlichen
Eingriff in die persönliche Freiheit“ werten. (siehe dazu auch den Artikel http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/obamas-gesundheitsreform-licht-und-schatten-von-obamacare-12926445.html).
Aber es bleiben eben noch rund 45 Millionen nicht Versicherte übrig. Die Reform ist also nicht besonders geglückt. Dazu kommen etwa ebenso
viele, welche daheim und im Frieden auf Lebensmittelkarten angewiesen sind (s. Föhrer Tafel, nur ganz
anders).
Außerdem der für mich unsinnige „amerikanische Freiheitsbegriff“ mit privatem, fast
unkontrolliertem Waffenbesitz und dessen blutigen Folgen, der weltweit höchsten
Anzahl von Gefängnisinsassen im Verhältnis zur Bevölkerung des Landes (s. Statistiken
im Internet).
Hier wurde ich unterbrochen. Man könne meine antiamerikanische
Haltung nicht akzeptieren. Ich solle bitte auch daran denken, dass die USA
Deutschland und ganz Europa mit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg
wirtschaftlich wieder auf die Beine gestellt hätte. Dazu andere „Beweise" des
„american way of life“…
Nun musste ich energisch etwas gerade rücken. Gegen die
US-amerikanischen Bürger habe ich mich nicht ausgesprochen. Sondern bin für alle sozial unterprivilegierten
Menschen eingetreten! Dafür, dass mir und vielen anderen in West- und
Osteuropa ein sehr unvollkommenes Wertesystem in einer Mogelpackung untergejubelt
wird.
Denn ich wünsche mir für die Ukraine ein vollkommeneres Rentensystem, ein
besseres Gesundheitssystem ähnlich den ebenfalls nicht vollkommenen deutschen
und anderes mehr…
Ebenfalls den durch
ihre Geheimdienst ausgespähten US-Amerikanern doch ein wenig mehr Abstand vom kritikwürdigen
altüberkommenen Freiheitsbegriff. Das ist er für mich. Der gegenwärtige „american way of
life“ ist nicht mein Weg.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen