Dienstag, 5. Mai 2015

Erneut Odessa...



Odessa ist eine weltoffene Stadt. Wird gesagt. Die Anbindung ans Schwarze Meer, Schiffe, Reisende, Matrosen… Hier sind also auch die vielfältigsten Meinungen präsent. So zum Beispiel meine – wenn ich hier bin. 
Vor allem auch deswegen, weil ich vor kurzem an der Nordsee war. In Wyk auf Föhr. Wo mich eine Information überraschte. Dass dort eine kleine, fleißige Organisation existiert, welche alles das sammelt, was für bedürftige Personen und Familien an Waren und Lebensmitteln vor allem durch Privatpersonen und Geschäftsleute gespendet wird. In ihrer Effektivität ein Beispiel für ganz Deutschland.

Aus dem aktuellen „Insel-Bote“ zitiere ich (Jahresbericht der Tafel Föhr): „Wurden anfangs 100 Personen versorgt, so sind es heute 149, und die Zahl der Kunden werde auch künftig stetig steigen.“ 
Bei rund 8500 Einwohnern auf der Insel sind grob gerechnet 1,7 % der Bevölkerung bedürftig. Da Kinder bei Ausgabe der „Tafel“ dort gewöhnlich nichts empfangen, darf ich davon ausgehen, dass die Familien mit Bedarf an Mildtätigkeit nicht direkt erfasst sind – also etwa  2 % der Bevölkerung schon heute nicht genug zum einfachen Leben haben. 
Der fett hervorgehobene Satzteil ist ein leider negatives Vorzeichen. Das ganz mit anderen Tendenzen in unserer Heimat übereinstimmt. Das besonders Positive: ein Dank an alle fleißigen Ehrenamtlichen der Tafel! 

Was hat das alles mit Odessa zu tun? 
Hier ging es in einer Diskussion um meine Einstellung zur Ukraine und zu den USA. 
Die zur Ukraine hatte ich durch meine Rückkehr aus Deutschland hierher praktisch bewiesen. Mein Verweis darauf beendete diesen Teil der Unterhaltung. 
Auch, weil ich Verständnis für Premier Jazenjuk habe, selbst für Präsident Poroshenko. Welche beide zunehmend in der Kritik stehen. Poroshenko, weil die hier „selbsternannten Oberkommandierenden“ alle eigene und nach persönlicher Auffassung wirksamere militärische Operationen zur Beendigung der Krise im Donbass anbieten. 
Jazenjuk, weil gegenwärtig eine Kommission untersucht, ob wirklich während seiner Amtszeit durch Mitglieder seiner Regierungsmannschaft bisher mehr als 7 Milliarden Hrywna (entsprechen zurzeit etwa 310 Millionen Euro) verschleudert oder veruntreut wurden. Damit ist ein Vorwurf der persönlichen Bestechlichkeit verbunden. 
Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass es seit einiger Zeit ein „Telefon des Vertrauens“ in Kiew gibt, welches in besonderen Fällen Abhilfe von Missständen vor Ort tatsächlich bewirkt. 
Meine Argumentation: 25 Jahre Praxis in „Bestechlichkeit als Hebel“ für viele Vorgänge im Apparat des seither souveränen Staates und im täglichen Leben sind nicht einfach mit Dekret aus der Welt zu schaffen. Zumal dieses Mittel auch schon zu Sowjetzeiten angewendet wurde – selbst im zaristischen Großreich. 
Dann verwies ich auf Berichte aus deutschen Massenmedien. Die von Bestechlichkeit und verwerflichen, sogar sträflichen Handlungsweisen in den Chefetagen deutscher Konzerne und Banken berichten. Aber nicht nur dort, sondern auch in Etagen darunter. Das sind für mich die markantesten Vorbilder aus dem Bereich der hier viel gepriesenen „westeuropäischen Werte“! 
Danach wurde mir durch einen Gast aus den USA ein Beispiel serviert, das mich später zu diesem Post anregte. Seine aus der Ukraine stammende Ehefrau ist als Krankenschwester tätig. Seit der von Präsident Obama gegen großen politischen Widerstand durchgesetzten Reform der Krankenversicherung sei der Anteil bisher nicht behandelter Patienten deutlich angestiegen. Allerdings würden viele US-Amerikaner diese Reform als „staatlichen Eingriff in die persönliche Freiheit“ werten. (siehe dazu auch den Artikel http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/obamas-gesundheitsreform-licht-und-schatten-von-obamacare-12926445.html). 

Aber es bleiben eben noch rund 45 Millionen nicht Versicherte übrig. Die Reform ist also nicht besonders geglückt. Dazu kommen etwa ebenso viele, welche daheim und im Frieden auf Lebensmittelkarten angewiesen sind (s. Föhrer Tafel, nur ganz anders). 
Außerdem der für mich unsinnige „amerikanische Freiheitsbegriff“ mit privatem, fast unkontrolliertem Waffenbesitz und dessen blutigen Folgen, der weltweit höchsten Anzahl von Gefängnisinsassen im Verhältnis zur Bevölkerung des Landes (s. Statistiken im Internet).

Hier wurde ich unterbrochen. Man könne meine antiamerikanische Haltung nicht akzeptieren. Ich solle bitte auch daran denken, dass die USA Deutschland und ganz Europa mit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich wieder auf die Beine gestellt hätte. Dazu andere „Beweise" des „american way of life“… 

Nun musste ich energisch etwas gerade rücken. Gegen die US-amerikanischen Bürger habe ich mich nicht ausgesprochen. Sondern bin für alle sozial unterprivilegierten Menschen eingetreten! Dafür, dass mir und vielen anderen in West- und Osteuropa ein sehr unvollkommenes Wertesystem in einer Mogelpackung untergejubelt wird. 
Denn ich wünsche mir für die Ukraine ein vollkommeneres Rentensystem, ein besseres Gesundheitssystem ähnlich den ebenfalls nicht vollkommenen deutschen und anderes mehr… 
Ebenfalls den durch ihre Geheimdienst ausgespähten US-Amerikanern doch ein wenig mehr Abstand vom kritikwürdigen altüberkommenen Freiheitsbegriff. Das ist er für mich. Der gegenwärtige „american way of life“ ist nicht mein Weg.

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger





   

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