Sonntag, 22. Februar 2015

Gegensätze...

Für alle deutschen Leser: mit den örtlichen, ukrainischen Bedingungen kommen selbst Ukrainer nicht immer zurecht. Was hier folgt, ist aus Sicht eines Deutschen formuliert, der versucht, vorurteilsfrei die Situationen zu schildern, welche er erlebt und seit fast zwanzig Jahren hier mit erleben darf. 

Vorgestern, am 20. Februar 2015, wurde der Jahrestag der militärischen Gewaltanwendung gegen die Demonstranten auf dem "Maidan" begangen. 

Zur Erklärung für neue Leser: das Wort "Maidan" ist die Abkürzung für "Platz der Unabhängigkeit". Auf dem fanden die Proteste gegen die nach damaliger Lesart demokratisch (?) gewählten Machthaber unter deren Repräsentanten Janukowitsch statt. 
Alles das, was dort geschah, war von beiden Seiten nicht eben formell demokratisch. Die heute so genannte "Revolution der Würde" (revoluzija gidnosti) hatte ihre Berechtigung. Wenn die Masse der Wähler auf andere Weise es nicht erreichen kann, dass ein System verändert wird, bleibt ihr nur noch die Straße übrig... 

An Änderungen in einem Staat können unterschiedliche Gruppen in diesem und außerhalb Interesse haben. Das zu untersuchen erfordert etwas mehr Wissen und auch mehr Geduld von allen Seiten. Hier reicht mir die Feststellung. Denn sie sagt lediglich aus, dass Interessengegensätze da sind. Dass deren Träger folglich den Wechsel in der Ukraine gegensätzlich beurteilen. Also bereit sind, auch die beiden Seiten des Geschehens aktiv und passiv zu unterstützen. Wohlgemerkt: anscheinend im Interesse des Staates, in welchem Veränderungen vorgehen. Sachlich genauer: zur Durchsetzung eigener, im Grunde vor allem ökonomischer Interessen.  Das ist genauer nachzulesen bei John Perkins, "Bekenntnisse eines Economic Hit Man", ISBN  978-3-442-15424-1 

Hier geht es im Weiteren darum, wie bestimmte Gegensätze heute offenbar werden. Im Fernsehen läuft ein Werbespot: durch einen Wartesaal geht eine Gruppe Militärs. Beginnend mit einem älteren Herrn erheben sich die Leute und begleiten "ihre Kämpfer" mit Beifall durch den Raum. 

Nichts gegen die Idee. Die tapferen Verteidiger des Flughafens von Donezk, der Kessel von Iloweisk und Debalzewo haben heldenhaft gekämpft. Nur wer nach Verwundung die bescheidenen finanziellen Vergünstigungen von staatlicher Seite beantragen will, weil er das zum Überleben braucht, steht vor unangebrachten bürokratischen Hürden. Nichts mit Beifall... 

Wenn die nach "Frontbegradigung" aus Debalzewo abgezogenen Kampftruppen, meist vor Ort aus Freiwilligen aufgestellt, in Basislager abgerufen werden, müssen sie ihre Unterkünfte erst einmal selbst in den Stand Bewohnbarkeit versetzen. Vom Fernsehen gezeigt: der Standort vor eineinhalb Jahren aufgelöst, der Zugang zu Gebäuden frei, alles nicht niet- und nagelfeste von geschäftstüchtigen Anwohnern entfernt und wie auch immer verwendet, einschließlich Sanitär- und Heizanlagen - die traurige Wirklichkeit.   

Dorthin kommen auch sehr wenige Volontäre. Denn die haben genug damit zu tun, viele Einheiten an der Front und noch mehr notleidende Bürger in der Krisenregion mit dem Notwendigsten zu versorgen, was jede Person braucht: mit Essen und Trinken vor allem. Wie die Einheiten es schaffen, unter diesen Umständen Menschen und Technik unterzubringen, zu versorgen und zu bewachen, ist mir nur deshalb begreiflich, weil ich den Erfindungsreichtum ukrainischer Männer kennenlernen durfte.

Das Geschehen in der Ukraine ist hier nur punktuell geschildert. Es insgesamt und langfristig einzuschätzen, fehlen mir die historischen Informationen und die ukrainischen Sprachkenntnisse. Denn hier ist es wie überall in der Welt: neben den herausragenden Persönlichkeiten gibt es die weit weniger befähigten Erfüllungsgehilfen aller Art. Leider sind auch hier von den ersteren überall extrem wenige zu finden. 

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

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