Montag, 15. September 2014

Vom Krieg eingeholt...

Gestern in der Frühe las ich eine Ankündigung an unserer Haustür auf Ukrainisch. Das fällt mir immer noch schwer. Aber wenn das örtliche Militärkommissiariat in dieser Zeit etwas auf diese Weise veröffentlicht, muss es dringend sein. 

Das war es denn auch. Der Aufruf an alle wehrfähigen und auch wehrbereiten Männer dieser Stadt Belaja Zerkov, rund 80 km südlich der Hauptstadt Kiew und etwa 500 km Luftlinie westlicher Lugansk und Donetzk. Von der Linie des gegenwärtigen, sehr unsicheren Waffenstillstandes.
 
Im Interesse der gegen die Aggressoren erforderlichen Verteidigungsbereitschaft sollen sich alle bisher noch nicht mobilisierten, aber wehrfähigen Personen zur Aufstellung von Freiwilligeneinheiten zur Heimatsverteidigung beim Militärkommissiariat melden. Damit sie eine Ausbildung an vorwiegend Handfeuerwaffen bekommen könnten. In ihrer Freizeit und auch in den Abendstunden. 
Gleichzeitig wurden Offiziere der Reserve aufgerufen, sich zu melden. Besonders solche, welche Erfahrungen im Straßen- und Häuserkampf gesammelt hätten. 

Vor rund 70 Jahren hatte ich meinen letzten Kontakt mit einer ähnlichen Situation. Als in Deutschland der "Volkssturm" aufgestellt wurde. Das allerletzte Aufgebot. Als Achtjähriger sah ich ausgemergelte Männer und Jungen nicht viel älter als ich mit geschulterten Karabinern und den sogenannten Panzerfäusten ihre Übungen abhalten. Sie konnten die Niederlage nicht abhalten.

Die Situationen einfach zu vergleichen ist falsch. Denn hier geht es um mehr. Präsident Poroshenko formulierte auf der Sitzung der ukrainischen Regierung mit etwas anderen Worten: "Die meisten Länder dieser Welt sind mit uns solidarisch. Weil wir hier auch Europa verteidigen. Die Ukrainer müssen sich jedoch darüber im Klaren sein, dass in unserem Lande für uns keine ausländischen Einheiten gegen den Aggressor kämpfen werden. Das ist unsere heilige Sache, unser Kreuz. Aber wir werden, wenn das nötig sein sollte, auch Partisanenkrieg führen."

Weshalb die Überschrift? Wir haben in Westeuropa, schließt man den Balkan einmal aus, rund 70 Jahre in Frieden gelebt. Die persönliche Situation von Kriegsflüchtlingen und überlebenden Kriegsopfern, die deren Familien sind für uns kaum nachvollziehbare Erfahrungen. Diese hatte ich aber zu Ende des Zweiten Weltkrieges. Deshalb gehen mir die Vorgänge hier besonders nahe. Denn mich hat der verfluchte Krieg auf diese Weise eingeholt.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger




 

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