Donnerstag, 24. Juli 2014

Persönlichkeit

Heute muss ich etwas nachreichen. Weil ich Ukrainisch nur ausreichend verstehe, wenn eine Person langsam und deutlich spricht, habe ich erst beim zweiten Anhören des Auftritts von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk vor der Werchownaja Rada (dem ukrainischen Parlament) völlig verstanden, worum es ging. Deshalb ziehe ich meinen gestrigen Post "Kettenreaktion" aber nicht zurück. Sondern ergänze ihn mit diesem hier.

Die Tätigkeit des Herrn Jazenjuk habe ich intensiv verfolgt. Nur nicht darüber geschrieben. Mit jedem seiner öffentlichen Auftritte hat er mich mehr davon überzeugt, dass der körperlich kleine Mann eine recht große Persönlichkeit ist. Auf der Skala meiner Wertschätzung gibt es als obersten den Ausdruck "Kerl". Jazenjuk ist einer.

Seine öffentlich sichtbare bisherige Arbeit als Premier war für mich immer davon geprägt, nicht egoistische Ziele zu erreichen, sondern real die Möglichkeiten des Staates Ukraine einzuschätzen und pragmatische Vorschläge zur Überwindung der Probleme in den heruntergewirtschafteten Bereichen aller Art zu machen und zu realisieren. Seine Vorgänger haben ihm da ein unsäglich miserables Erbe hinterlassen. Einen Staat im Prinzip direkt vor dem Bankrott.
Er hat sich vom ersten Tag an nicht gescheut, den Ukrainern die traurige Wahrheit zu sagen. Dass für diese und jene geplante Maßnahme nicht die Mittel da sind. Ich erinnere mich an seinen Auftritt vor eben dieser Rada, als er etwa Folgendes formulierte: "Sie beschließen unverantwortlich Gesetze, welche lediglich Populismus sind. Wo sind die hunderte von Millionen Hrywna, welche sie die Regierung in 2014 und 2015 auszugeben zwingen wollen? Haben sie das vor ihren Beschlüssen nicht bedacht?" Harte, aber gerechte Kritik.

Im weiteren folgt, was ich seiner Rede gestern entnommen habe. Er wird verzeihen, dass es nicht exakt seine Worte sind.
Aus den Berichten ukrainischer Massenmedien klingt heraus: "Jazenjuk hat eine stark emotional gefarbte Rede gehalten." Mit dem Ton einer Kritik darin. Ich würde mich freuen, wenn ich bei so wichtigen Themen so relativ ruhig und bestimmt bleiben könnte. 
Er stellte den Abgeordneten unter anderem die Frage, wie sie zwei wichtigen Gesetzentwürfen nicht zustimmen konnten. Die Regierung hätte so keine Möglichkeiten, zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen. Und ohne ein zum Gesetz erhobenes staatliches Budget ist sie nicht in der Lage, in den nächsten Tagen Soldaten, Polizisten, Ärzten, Lehrern die denen zustehenden Bezüge zu zahlen.

"Wir brauchen für unsere Armee neun Milliarden Hrywna (etwa 600 Millionen Euro) und für die Wiederherstellung der Infrastruktur in der Ostukraine sieben  Milliarden Hrywna (etwa 480 Millionen Euro). Ich war in Slawjansk. Dort lieben viele die Zentralmacht in Kiew nicht besonders. Aber das sind unsere Ukrainer, die Recht auf unsere Unterstützung haben." 

Die Arbeit des Parlaments sei nicht geeignet, den Glauben des Volkes in Kompetenz, Volksverbundenheit  und Verantwortungsbewusstsein der höchsten Leitungsgremien zu stärken.

"Nicht wir haben die Revolution gemacht, sondern jene, die auf dem Maidan gestorben sind."
"Die Durchsetzung eigener tagespolitischer Ziele gegen die politische Notwendigkeit ist eine Schandtat."
"Über dies heutige Verhalten wird man sich in der russischen Duma freuen. Manche werden gar feiern."

Hier versuche ich, seine abschließenden Worte wiederzugeben. "Die Koalition ist zerfallen. Ich bin gezwungen, den Rücktritt zu erklären, weil es unmöglich geworden ist, vernünftige Aktivitäten der Regierung mit Hilfe dieses Parlaments durchzusetzen."

Wir werden von Jazenjuk noch hören.

Spät am Abend bekam ich mit, dass der ukrainische Präsident Poroshenko einen für mich sehr staatsmännisch vernünftigen Kommentar zu Haltung seines Ministerpräsidenten abgab. Meine Meinung: beide werden auch weiter miteinander etwas für dieses Land tun.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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