Sonntag, 11. November 2012

Fußball-Nachlese


        Die Ärzte der Intensivstation im Krankenhaus „Kalinin“ in Donezk erzählten folgende merkwürdige Geschichte. Ich habe sie auch von Dritten gehört.
        Während der Fußballeuropameisterschaft wurde mit der Schnellen medizinischen Hilfe ein relativ junger Engländer eingeliefert. Mit einer augenscheinlich starken Vergiftung. Der sehr temperamentvolle junge Mann versuchte ins Koma zu fallen, was die Ärzte verhindern konnten. Immerhin ist Donezk als Industriestandort vom Engländer John James Hughes gegründet worden. Da musste man seinen Landsmann unbedingt wieder auf die Beine bringen. Vor dem Viertelfinale stand der Bursche wieder auf eigenen Füßen.
        Der war einige Schritte vor der Ewigkeit aufgewacht und fluchte als erstes unflätig. Es stellte sich heraus, dass er in einen Supermarkt gegangen war und erstmalig in seinem Leben eine so riesige Kollektion an „harten Getränken“ gesehen hatte – alle zu Preisen zwischen 5 bis 10 Euro. Dazu außerdem preiswerten roten Kaviar, soviel der Geldbeutel erlaubte. Also richtig ran …

        Immerhin hatte er 70 Pfund Sterling für „kleine Ausgaben“ dabei. Also kaufte er einige Flaschen „Weißen“ und eine größere Menge Kaviar ein und begann ein Gelage zu Ehren des englischen Fußballs. Er machte das mit englischer Großzügigkeit: einen Becher roten Kaviar spülte er mit einen großen Glas Wodka herunter. Den Zyklus wiederholte er.
        Nach dem vierten oder fünften Durchgang machte sein Magen-Darm-Trakt nicht mehr mit. Die Intensivmediziner mussten die Erzengel Gabriel für ihn spielen, um ihn auf die Erde zurück zu holen.
        Allerdings nicht für sehr lange …

        Einen Tag später brachte die „Schnelle Medizinische“ ihnen den Knaben wieder. Mit eben jenen Anzeichen der Vergiftung und intensivem Wodka-Kaviar-Duft. Bevor er das Bewusstsein verlor, begrüßte er die schon bekannten Ärzte höflich, um danach ins Nirwana abzutauchen. Mit großer Mühe holten sie ihn von dort zurück. Nach einem mächtigen Einlauf rieten die Mediziner ihm, doch wenigstens auf Trennkost umzusteigen – nicht Unmengen von Eiweiß mit großen Bechern Alkohol zu mischen.

        Der Angelsachse schien verstanden zu haben. Er erkannte seine Schuld an.

        Zwei  Tage später war er wieder da – mit der „Schnellen Medizinischen“ und einer schon gewohnten Weißkittel-Mannschaft. Aus seinen Worten war zu entnehmen, dass er das „neue Leben“ mit einem zünftigen Abschied vom vergangenen begehen wollte – die Reste mussten weg.
        Die Intensivstation bebte vom Gelächter der diensttuenden Mediziner. Vor allem, als der Engländer einen von ihnen mit „Guten Tag Igor!“ begrüßte und herzhaft rülpste. Zur dritten Magenspülung in einer Woche kamen sogar die Kollegen aus dem Leichenschauhaus herbei gelaufen.

        Besonders lustig fanden alle, als der erwachende Engländer die Frage stellte, wohin er das Geld überweisen könne, welches seine mehrfache medizinische Behandlung koste. Als er erfuhr, dass diese Dienstleistung in der Ukraine kostenfrei ist, versuchte er, ein viertes Mal ins Koma zu fallen. Man konnte ihn überreden…

Es gibt hier auch lustige Ereignisse.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger





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