Der ehemalige
deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in seinem Buch „Religion in der
Verantwortung – Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung“ im
Kapitel „Ethos des Politikers“ einige Ausführungen gemacht, welche mich bewegt
haben, den heutigen Post zu schreiben. Jedem ernsthaft an Politik und ihren
Voraussetzungen interessierten Personen rate ich deshalb, dieses Buch zu lesen.
Wenn in der heutigen
Ukraine sich Dinge ereignen, welche ich als minimal unzivilisiert bezeichne,
will ich meine Haltung dazu an einem Beispiel aus eben der Ukraine erläutern. Vor
rund 23 Jahren fuhr ich mit einem Koffer voll Dollars – von einer Bank aus
Deutschland überwiesen – über 450 km in eine nordostukrainische Stadt. Die 220.000 $ waren
der Preis für vier Fuhren Trockenvollmilch, welche mein Auftraggeber kufen wollte Damals gab es in der Ukraine als
Währungseinheit noch die Karbowanzen. Nach dem aktuellen Kurs hatte ich etwa
3,2 Milliarden Karbowanzen im Gepäck. Auf dem Hinweg am Vormittag hatte ich mir
noch wenig Sorgen gemacht, obwohl die kriminologische Situation im Lande
angespannt war. Unser Partner, der Molkereidirektor, hatte mit dem Direktor der
kleinen örtlichen Bank abgesprochen, dass man mir die nachweislich rechtlich
empfangenen Dollar in Karbonwanzen umtauschen würde – denn die Molkerei durfte
keine ausländische Währung zur Bezahlung entgegennehmen.
In dem
Städtchen angekommen, fuhr ich zur Molkerei. Gemeinsam mit dem Molkereidirektor
ging es dann zur Bank. Da damals Geldzählautomaten nicht existierten, wurden
drei Kassiererinnen dazu angestellt, die von mir gebrachten Dollars zu zählen.
Als das erledigt war, fuhren wir mit dem Molkereidirektor zurück in sein Büro.
An meinem Auto hatten seine Schlosser einen Defekt entdeckt und Auftrag
bekommen, den zu reparieren. Ich schaute zu – bis die Sekretärin kam und mich
zu ihrem Chef bat. Er eröffnete mir, dass wir zurück müssten in die Bank. Dort
erfuhren wir, dass eine „wachsame“ Mitarbeiterin bei der Nationalbank angerufen
hatte. Denn sie hielt sich an die Anweisung, dass kleine Banken Beträge über
50.000 $ nicht eintauschen dürften. Das, was der Bankdirektor auf eigenes
Risiko getan hatte, wurde von „oben“ zurückgepfiffen. Ich bekam das gesamte
Geld zurück. Unser Vertrag war auf diese Weise geplatzt. Die Frauen, welche das
Geld zweifach gezählt hatten, weinten fast. Denn mit der Wechselgebühr hätte
die Bank drei Monate lang ihnen die Löhne zahlen können.
Auf dem
Rückweg wurde mir erst recht mein Risiko klar. Was, wenn über den Vogel mit goldenen federn jemand geplaudert hatte?Deswegen fuhr ich extrem schnell
und wäre beinahe in eine Katastrophe gerast.
Wenn in der
Ukraine gegenwärtig Filialen der Sparkasse von sogenannten Aktivisten
zugemauert werden, vergleiche ich das von der Überlegung her mit dem, was die
übereifrige Dame vor Jahren drei Partnern angetan hat: wir bekamen die
Trockenmilch nicht, die Molkerei nicht die Bezahlung dafür und die Bank nicht
die Wechselgebühren. Misserfolg auf der ganzen Linie.
Von der
Bezeichnung her sind die Sparkassen in der Ukraine wirklich Überbleibsel der
Sowjetunion. Allerdings steckt in ihnen auch eine Menge russisches Kapital. Nur
die Bevölkerung (wie die Bankangestellten im Erlebnis) haben bislang einen Teil ihrer
Einlagen bei dieser Großbank gelassen. Mit deren erzwungener Schließung haben
sie keinen Zugriff auf ihre Ersparnisse.
Mit diesem
Ereignis sind auch andere Dinge verbunden. Beispielsweise gab es gestern erste
SMS, welche über Einschränkungen im Zahlungsverkehr auf Geldkarten berichteten.
Dass das Falschmeldungen waren, konnte ich an einem Geldautomaten meiner Frau
beweisen. Aber die Sache als solche kann dazu ausgenutzt werden, die innerpolitische
Situation in der Ukraine weiter zu destabilisieren. Ob das die Aktivisten
beabsichtigt hatten?
Bleiben Sie
recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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