Vor einigen Tagen
habe ich ernsthaft überlegt, diesen Blog zu schließen. Die Ereignisse im Land
Ukraine überschlagen sich regelrecht. Habe es mir dann aber doch anders
überlegt. Wie an der Überschrift zu sehen. In der Fernsehsendung „Zu Gast bei
Gordon“ war der erste Präsident der Ukraine, Herr Leonid Krawtschuk. Ihm
stellte Dimitri Gordon eine erstaunliche Frage: „Stimmt es wirklich, dass die ukrainische
Seite die Übernahme der Krim in den ukrainischen Staatsverband 1953 zurückgewiesen
hat?“ Leonid Krawtschuk überlegte lange. Gab dann eine sehr interessante
Antwort. Er war als Student in dieser Zeit – 1953 – auf der Krim. Im Sommerurlaub.
Fast wörtlich sagte er: „Die Armut der Bevölkerung war selbst für die damalige
Zeit für uns Studenten etwas unerträgliches.“ Setzte danach fort: „Nikita Chrustschow
(damals Erster Sekretär der KPdSU) hatte, wie ich später erfuhr, dem Ersten
Sekretär der ukrainischen KP Kiritschenko den Vorschlag unterbreitet, wegen der
geographischen Nähe die Halbinsel Krim mit zu regieren. Jener lehnte ab. Das
Budget der Ukraine könnte die Belastung nicht tragen.“ Kiritschenko wurde
anschließend nach Moskau bestellt. Im Politbüro der KPdSU wurde der Vorschlag
von Chrustschow als Weisung durchgesetzt. Die Ukraine hat in den Folgejahren geschätzt
etwa rund 100 Milliarden US-$ in die Entwicklung der Halbinsel eingebracht.“ Diese
Gelder seien zum größten Teil in der Ukraine erwirtschaftet worden. Diesen
geschichtlich belegten Fakt lasse ich ohne Kommentar.
Nach meiner
Auffassung stellen die ökonomischen Probleme der Ukraine die gegenwärtige
Führung des Landes vor Aufgaben, welche sie nicht vorausgesehen hat. Da ist
beispielsweise die Versorgung der Bevölkerung und eines großen Teils der
Industrie mit sehr anthrazithaltiger Kohle aus dem Donbass extrem gefährdet.
Der Heizwert eben dieser Kohle ist seit Jahrzehnten beim Bau von Heizwerken und
Industrieanlagen zur Grundlage genommen worden. Die Förderung fand in der Nähe
statt, die Anlieferung war sicher. Letzteres ist anders geworden. Denn eine
Gruppierung ukrainischer Bewaffneter blockiert seit einiger Zeit die
Eisenbahnverbindungen in dieses Gebiet. Ihre Begründung: es ist verwerflich,
bei der militärischen Situation mit diesem Gebiet beliebige
Wirtschaftsbeziehungen aufrecht zu erhalten. Zu den Männern in der Blockade-Gruppierung
gehören nicht wenige, welche im Bereich der antiterroristischen Einsätze ihre
Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Ihre moralische Haltung ist mir
absolut verständlich. Andererseits ist es außerordentlich schwierig für die
Regierung, anderen bewaffneten Kräften klarzumachen, dass ein militärisches
Eingreifen erforderlich sein könnte.
Präsident und
Regierung pochen darauf, dass diese Kohle ukrainischen Bergwerken gefördert wird,
welche ihre Abgaben an den ukrainischen Staat leisten. Gestern nun hat die
Konferenz des Ministerrates endlich die lange erwarteten Festlegungen
getroffen, um das Problem zu lösen. Aus dem Stab der Blockadekräfte kam der
Kommentar: „Wir handeln erst dann weiter, wenn wir die Entscheidungen auf dem
Tisch haben.“ Anders gesagt – das Vertrauen in die Entscheidungsträger ist
minimal.
Diese Haltung des
absolut verständlich. Denn fast alle seit knapp drei Jahren getroffenen
wirtschaftlichen Entscheidungen haben keine grundsätzliche Verbesserung,
sondern im Gegenteil wirtschaftliche Verschlechterungen geschaffen. Deren
Folgen sind Arbeitsplatzmangel, Kaufkraftschwund und zunehmend schlechtere
Stimmung unter der Bevölkerung. Die angekündigten Reformen greifen nur zögernd.
Ich habe Verständnis dafür, dass eine Reihe von Veränderungen Zeit benötigen.
Aber um beispielsweise Gesetzesverletzungen wie zum Beispiel Bestechlichkeit zu
ahnden, müsste bei vorhandenem Willen auch die Zeit reichen. Jedoch an diesem
Willen zweifeln die Menschen im Lande. Die Vetternwirtschaft ist zu deutlich.
In einer der
Fernsehsendungen der vergangenen Tage zitierte jemand den ehemaligen deutschen
Botschafter in Russland, den Fürsten Bismarck. Seine kenntnisreiche
Schlussfolgerung: „Der größte Reichtum Russlands ist die unerschöpfliche Geduld
seiner Untertanen.“ Es ist aber auch das Problem, das mich bewegt. Leidensfähigkeit
ist nicht unendlich. Wenn sie sich Bahn bricht, um die Welt zu ändern, kann Furchtbares
geschehen.
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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