Wer aus Westeuropa
ohne die notwendige Einstimmung auf slawische, in Jahrhunderten und besonders den
letzten Jahrzehnten entwickelte Mentalität urteilt, liegt meistens im Ergebnis
völlig falsch. Das gilt vor allem auch bei der Beurteilung von Beiträgen aus
den so genannten „Sozialen Netzen“. Die weltweit für mich zunehmend zu „Asozialen
Netzen“ mutieren. Von ihren Gründern so nicht gedacht – von leider nicht wenigen
Nutzern dazu gemacht. Deshalb empfehle ich meinen deutschsprachigen Lesern das Buch von Max
Scharnigg „Herrn Knigge gefällt das!“. Da bekommen sie ein recht gutes Hilfsmittel
gegen die unsensiblen und gewissenlosen Typen im Netz.
Zurück zu den Slawen. Die nicht nur hier in
der Ukraine häufig „nach Ansichten“ leben – also denken. In Russisch: „po
ponjatijam“. Sie finden ihre Ansicht von Gesetzen oder Vorschriften – danach handeln
sie. Weil sie hochgestellte Vorbilder haben.
Ein ukrainischer
Fernsehsender stellte nach einer Sendung zu Alkohol am Steuer und ähnlichem am
Folgetag Reporter vor das ukrainische Parlament. Eine nach dem anderen kamen
die „Volksvertreter“ gefahren und hielten im eindeutig ausgeschilderten
Halteverbot. Die Frage der Journalisten wurde lässig oder frech beantwortet.
Von „Für die paar Minuten?“ bis „Bin ich am Lenkrad gewesen?“ reichte die Skale
der Antworten. Für die Bürger des Landes die Aufforderung, wegen der Gleichheit
aller vor dem Gesetz ebenfalls die Regeln zu missachten – oder?
Das Risiko der
Gefährdung Unschuldiger – wen interessiert das? Für mich erstmals ein extrem bewegendes
Beispiel von Verachtung menschlichen Lebens. In der Sendung zum “Tag des
Vaterlandsverteidigers“ wurde auch der staatlich genötigten Liquidatoren von
Tschernobyl gedacht. Nur mit einer mich überraschenden und bestürzenden
Bemerkung. Dass das Ensemble der ukrainischen Armee unmittelbar nach dem
schrecklichen Vorfall im Katastrophengebiet aufzutreten veranlasst wurde. Die
Bühne und der Zuschauerraum: Erdboden. Das Ensemble hatte nach dem Auftritt
alle Kleidung einschließlich Unterwäsche und Schuhwerk zur Vernichtung
abzugeben! Ja, Oberkommandierende haben mit jeder militärisch begründeten Entscheidung
Verantwortung für einzelne oder viele Leben. Davon befreit sie nicht einmal ihr
Gewissen. Aber dieser Entschluss…
Nur aus dem Wissen
um diese und ähnliche menschenverachtende Handlungen der Entscheidungsträger in
Russland unter den Zaren und später der Sowjetunion ist die Gleichgültigkeit zu
verstehen, mit welcher heute noch viele einstige Untertanen nicht zu einfach
bürgerlicher Haltung gefunden haben.
Als ich heute in der Frühe mit Hund
spazieren ging, fiel in unserer zum Fluss Ros leicht abschüssigen Straße erneut
ein starker Wasserstrom auf. Da es nicht regnete, schaute ich nach der Quelle. Etwa
400 m stadteinwärts sprudelte sie unter einer Bordsteinkante hervor. Ein uns entgegenkommender
Hundehalter schimpfte darauf, dass keine Kräfte des Katastrophenschutzes zu
sehen wären. Ob er denn dort angerufen habe? „Nicht mein Bier!“ – in etwa so
auf Deutsch.
Ich hatte weder mein Handy dabei noch eine erforderliche Nummer
parat. Als ich nach etwa einer Stunde zurückging, liefen weiter Kubikmeter
Trinkwasser aus dem Loch – von Einsatzkräften nichts zu sehen. Weil heute Sonntag
ist? Nach „Ansicht arbeitsfrei?“ Wenigstens das Abstellen der Zuleitung hätte
möglich sein müssen…
Dass eine recht große Anzahl „Kritiker“ die Situation beobachtet,
aber offensichtlich keine zweckdienlichen Informationen an verantwortliche
Institutionen gegeben hatten, schien deutlich. Natürlich kann auch dort ein
vordringlicherer Fall bearbeitet werden… Aber mehr als eine Stunde ohne Reaktion
ist für mich unverständlich. Nur die auch auf höheren Ebenen nicht selten erlebbare Gleichgültigkeit gegen
gesellschaftlich vordringliche Abläufe ist für mich ein unbefriedigender Erklärungs-Hintergrund…
Bleiben Sie recht
gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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